Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Ein fast perfekter Sommer in St. Agnes - Bettina Reiter страница 8
Annie schaute zum Fenster des Cafés. „Wenn sie das gehört hat, kannst du dich warm anziehen. Am Ende drückt sie dir ihre gefürchteten Stahlkekse aufs Auge.“
Erneut lachte er auf. „Keine Angst, heute hat die Gute ihre Ohren nicht überall. Minnie unterhält sich gerade mit Rose Grant. Die beiden sind neuerdings so.“ Er hob die Hand, wobei er Zeige- und Mittelfinger überkreuzte.
„Meinst du etwa Hokuspokus-Rose, die aus dem Kaffeesatz liest?“, fragte Annie lächelnd. Unter diesem Spitznamen war die Fünfzigjährige im ganzen Ort bekannt, die vor einem Jahr nach St. Agnes gezogen war. Annie kannte die Frau jedoch nur vom Sehen und allein das Erscheinungsbild genügte, um sich nachhaltig im Gedächtnis einzubrennen. Von ihrem Tick – sie sei eine weiße Hexe mit hellseherischen Fähigkeiten – ganz zu schweigen.
„Genau die. Allerdings ist Rose abgesehen von ihrem Spleen sehr nett und wenn Minnie sie akzeptiert, muss sie in Ordnung sein. Du kennst unsere neugierige Nase ja. Jedes neue Gesicht wird auf Herz und Nieren geprüft.“ Ernster werdend musterte er Annie. „Du siehst allerdings nicht aus, als würde dich das sonderlich interessieren. Gibt es Ärger mit deinem Dad?“ Nicht einmal Hermes hatte noch Kontakt zu ihm. Das galt ebenso für den Rest der Clique. Sie alle wollten ihrem Dad beistehen, der sie jedoch ersatzlos aus seinem Leben gestrichen hatte.
„Das Übliche“, wich Annie aus, denn sie wollte nicht jammern. Ohnehin gab es nichts Neues zu erzählen und ihre Sorgen musste sie nicht ständig vor allen breittreten. Egal, wie sehr auch sie die Clique mochte. Ihr einziger Ansprechpartner war Jeremy, der als Gemeindepfarrer sowieso für seine Schäfchen da sein musste. Noch dazu durfte er nichts ausplaudern. Allerdings war Jeremy weit mehr als ein Mann Gottes. Ihm vertraute sie am meisten. „Und bei dir? Fährst du wieder weg?“ Hermes reiste Ende April gerne irgendwohin, seitdem er Witwer war.
Gerade, als er antworten wollte, läutete sein Handy. Ungelenk holte er es aus der Seitentasche seiner braunen Cordhose. „Hallo?“, meldete er sich und wandte Annie den Rücken zu. „Ja, das ist kein Problem.“ Er horchte kurz zu. „Morgen Nachmittag? Meinetwegen. Aber ich habe noch nicht zugesagt. Ja, ja, jetzt hetzen Sie mich nicht, sonst können Sie es gleich vergessen.“ Erneut war er still. Dabei nickte er ein paar Mal. „Hören Sie, das können wir morgen besprechen. Ich bin gerade auf dem Weg in die Kirche. Bis dann.“ Mit einem seltsamen Ausdruck im Gesicht wandte er sich wieder Annie zu und steckte das Handy ein.
„Alles in Ordnung?“, forschte sie nach. „Soll ich vielleicht morgen nach meiner Arbeit zu dir kommen?“
„Warum? Du hast erst gestern bei mir geputzt.“
„Ich dachte nur. Immerhin bekommst du Besuch.“ Ihre zweite Putzstelle hatte sie bei Hermes, der sie vermutlich eher aus Mitleid eingestellt hatte, als dass er tatsächlich jemanden brauchte. „Ich könnte einen Kuchen backen oder dir anderweitig helfen.“
„Nein“, kam es hastig zurück. „Das schaffe ich schon.“ Plötzlich schien er nervös. „Annie, ich bin sehr zufrieden mit deiner Leistung. Nichts desto trotz hoffe ich, dass du über kurz oder lang eine angemessenere Stelle findest.“
„Willst du mir etwas Bestimmtes damit sagen?“, wurde ihr angst und bange.
„Ich denke nur an deine Zukunft, Kleines. Und jetzt muss ich los. Ein alter Mann wie ich braucht ein wenig Schlaf. Wir sehen uns übermorgen.“
„Natürlich. Ich werde pünktlich bei dir sein.“
Sein Grinsen nahm ihr die Furcht, dass sich etwas über ihrem Kopf zusammenbraute. „Ich weiß. Wie immer auf die letzte Sekunde.“ Hermes zwinkerte ihr zu, dann eilte er zum Parkplatz auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Annie blickte ihm kurz nach, bevor sie wieder emsig in die Pedale trat.
Zuhause angekommen stellte sie das Rad in den Schuppen und schaute auf das Surfbrett, das vor sich hin rottete, bevor sie hinausging und die Tür hinter sich schloss. Als sie zum Eingang eilte, warf sie einen schnellen Blick zur Bucht hinunter. Hinter den Fenstern des Breakers Beach Café brannte Licht, da es mittlerweile dämmrig war. Ob Roger die Frechheit besaß und mit seiner Trish sogar in ihrem Stammlokal verkehrte? Ihr Ex wusste, wie viel ihr dieser Ort bedeutete, der mit unzähligen wunderbaren Erinnerungen gespickt war. Häufig waren sie dort gewesen, obwohl Roger lieber auf seinem Fahrrad saß, als in einem Lokal. Oder er pumpte im Fitness-Studio seine Muskeln auf, die er auf dem Tennisplatz spielen ließ. Wer brauchte ein T-Shirt, wenn man mit nacktem Oberkörper auf dem Platz glänzen konnte? All das und vieles mehr tat er lieber, statt sich mit ihr einen malerischen Sonnenuntergang oder das Sternenzelt bei klarem Nachthimmel anzusehen. Ließ er sich dennoch dazu überreden, zerstörte er nicht selten die Stimmung, indem er die Sache mit dem Karussell aufwärmte.
Nein, romantisch war Roger nie gewesen. Zumindest nicht während ihrer Beziehung. Seitdem Trish und er ein Paar waren, hatte er sich scheinbar geändert und tat mit dieser dummen Pute alles, was er bis dahin verpönte. Das Schlimmste war jedoch, dass Annie nach wie vor an Liebeskummer litt. Immerhin war er der erste Mann gewesen, mit dem sie sich alles hätte vorstellen können. Leider entpuppte er sich als Mistkerl. Monatelang hatte er sie mit Trish betrogen. So einem trauerte man nicht nach, so einen wünschte man höchstens zum Mond. Dennoch tat es weh. Sehr sogar …
♥
Am nächsten Morgen fühlte sich Annie an einen Film erinnert: Und täglich grüßt das Murmeltier. Zum einen hatte sie sich wegen Roger die halbe Nacht um die Ohren geschlagen, zum anderen suchte sie gerade das Cottage nach Bier und Schnapsflaschen ab. Eine tägliche Routine, da sich ihr Dad immer wieder neue Verstecke einfallen ließ. Ob im Wohnzimmer-Kamin oder in diversen Schubladen, in leeren Aftershave-Flaschen oder hinter der Heizanlage, sie wurde meistens fündig. Auch vorhin hatte sie eine Flasche Schnaps in einem seiner Winterstiefel im Schuhschrank entdeckt. Vielleicht sollte sie sich das Suchen abgewöhnen, denn er würde trotzdem sturzbetrunken sein, wenn sie nach Dienstschluss heimkam.
Helfen konnte sie ihm ohnehin nicht, solange er es nicht zuließ oder von selbst einsah, was er sich damit antat. Ein Arzt hatte ihr sogar knallhart dazu geraten, ihn links liegen zu lassen. Erst wenn niemand mehr die Kastanien für ihn aus dem Feuer holte und er ganz unten angekommen wäre, würde er vielleicht zur Besinnung kommen. Ein nachvollziehbarer Ratschlag, der im Augenblick jedoch keine Option war.
Ein Blick auf die Wohnzimmeruhr zeigte Annie, dass sie sich sputen musste. Schnell eilte sie in die Diele, nahm die braune Korbtasche und den Schlüssel vom Haken, versperrte das Haus und lief zum Auto. Kurz darauf war sie unterwegs und ärgerte sich, dass sie ihre Jeansjacke vergessen hatte, denn die Morgentemperaturen waren ziemlich frisch. Deshalb stellte sie die Heizung bis zum Anschlag und freute sich bereits jetzt auf den Dienstschluss. Obwohl die Arbeit an sich in Ordnung war. Die Kollegen ebenfalls. Bis auf eine, die es mit dem Putzen nicht so genau nahm. Mit ihrem Chef wurde Annie auch nicht warm. Harry hatte einen lauten Kommandoton und ließ jeden deutlich spüren, dass er von ihm bezahlt wurde.
Das Last Inn war ein Drei-Sterne-Hotel und lag etwas außerhalb von St. Agnes. Gott sei Dank funktionierte die alte Rostlaube ihrer Eltern tadellos, was Annie eine gewisse Freiheit schenkte.
„Was soll das denn?“, entfuhr es ihr, als sie den Wagen zu den Parkplätzen hinter dem Hotel lenkte. Irgendein Vollidiot hatte eine weiße Luxuslimousine auf ihrem Platz abgestellt und besetzte sogar den zweiten dahinter. Dabei parkte hier ausschließlich das Personal. Typisch VIP. Die glaubten alle, ihnen würde die Welt gehören!
Verärgert manövrierte Annie ihren roten Alfa Romeo in die winzige Lücke zwischen die Limousine und Harrys Geländewagen, was ihr erst nach einigen