Das einfache Leben. Ernst Wiechert

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Das einfache Leben - Ernst Wiechert

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doch auch schuldig, nicht wahr? Sehen Sie, manchmal im Walde, wenn ich so vor mich hingehe, dann spreche ich für mich, laut und lange, um zu sehen, ob ich es noch kann, und ich lächle auch, denn das will man doch nicht verlernen. Ich spreche mit ihm, wie früher, als wir zusammen durch den Wald gingen. Er war immer fröhlich, und wir lachen, damit er nicht tot ist, verstehen Sie? Hier, im Hause, ist er immer aufgebahrt, wissen Sie, und das will ich nicht. Der Krieg hat ihn genommen, aber er ist immer bei mir, und seitdem Sie das gesagt haben, das von Staub und Asche, da will ich wieder ganz fröhlich sein … so gut ist es, daß Sie gekommen sind …«

      Wenn er sie sähe, dachte Thomas und sah den schweren Mann vor dem hölzernen Christus stehen, aber auch er würde nicht helfen … sieben Jahre, und ich habe mich beklagt? Es war ihm fast, als liebte er diesen alten Mann, der wieder fröhlich sein wollte. Das Haar fiel ihm noch schwarz in die Stirne, nur die Schläfen waren weiß, und nun wußte er auch, weshalb der Sohn zur See gefahren war: die Augen mußten es sein. Er mußte dieselben Augen gehabt haben, denen die Dinge immer zu nahe waren und die erkennen wollten, was hinter den Dingen war. Er hatte geglaubt, daß man das auf dem Meere lerne, dem einzigen Element, das keinen Vordergrund hatte. Aber er hatte wohl nur gelernt, daß der Tod in allen Elementen zu Hause ist.

      »Und … es gibt keine Hilfe?« fragte er.

      Der andere schüttelte den Kopf. »Pfarrer und Ärzte«, sagte er, »die arbeiten immer mit den Dingen, die für sie aufgehört haben, wissen Sie. Gott und Pflicht und guter Wille und so weiter.« Er sah sich vorsichtig um. »Ich bin ein einfacher Mensch«, fuhr er leise fort, »aber ich weiß es. Es gibt Mütter und Kinder, bei denen man die Nabelschnur nicht zerschnitten hat, verstehen Sie? Und so war es hier. Sie bleiben immer eins, sie werden nie zwei. Sie hat es auch gewußt, als das dort geschah. Sie kam zu mir auf den Hof, weiß wie eine Tote, und zeigte mit dem Arm in den Wald. ›Jetzt haben sie ihn fortgerissen‹ sagte sie. ›Mein Blut fließt aus.‹ Und so war es auch, daß ihr Blut ausgeflossen ist … Mein lieber Herr, das muß man nun so lassen, und nun ist es so gut, daß Sie hierbleiben und ich manchmal ein bißchen bei Ihnen sitzen darf … wie ist Ihr Name, lieber Herr?«

      Sein Gesicht war von innen beglänzt, als er sich vorbeugte und lächelnd in Thomas' Augen sah.

      »Orla«, sagte Thomas. »Thomas Orla … es ist ein märkischer Name. Aber weshalb meinen Sie immer, daß ich hierbleiben werde?«

      »Sie sind gesandt, lieber Herr Orla, ja, ich muß es wohl so nennen. Gesandt wie ein Engel des Herrn. Sehen Sie, manchmal in diesen Jahren habe ich gezweifelt, an Gott, ja, das habe ich getan. Aber an den Heiligen nicht. Von Kind auf war ich bei ihnen, das ist in unserem Glauben so, näher bei ihnen mitunter als bei Gott. Er ist so weit, so schrecklich weit. Aber sie sind nahe, an unserer Seite, denn sie haben auch gelitten, ebenso wie wir, mehr noch. Aber Gott leidet nicht, wissen Sie. Nun, und die Heiligen, sie haben Sie gesandt. Sie haben gesehen, daß ich nicht mehr weiter wußte, und da haben sie mir das geschickt, das von Staub und Asche, nicht wahr? Das ist wie ein neues Leben, denn ich glaube es. Und dafür werden Sie hier finden, was Sie suchen. Alles hängt zusammen bei den Menschen, gute Tat und guter Lohn … Der See hier, er ist zu verpachten, oder nicht zu verpachten, sondern der Fischerposten ist zu vergeben, Fischer und Jäger, beides zusammen. Ein ruhiger Posten, auch wenn der General wunderlich ist … alle sind hier wunderlich … man kann leben davon, bequem leben, wenn man einfach ist. Ein kleines Haus auf der Insel, mir gegenüber, einen Büchsenschuß weit, ein Rohrdach, ein großer Herd, ein Netzschuppen. Und ein kleiner Wald, ein schöner Wald, Jungholz mit Fichten und Birken und dazwischen alte Eichen mit trockenen Wipfeln, wo die Reiher abends einfallen. Und ganz allein, verstehen Sie? Ganz allein, nur Wasser und Wald in der ganzen Runde. Man braucht ein Boot, um zu Ihnen zu kommen …«

      »Und der General?« fragte Thomas. Seine Pfeife war ausgegangen, und er lauschte wie in einem Märchen. Ein Zauber fiel von dem alten Mann über ihn.

      »Ja, ihm gehört das alles, lieber Herr. Das Schloß und das Gut und der See. Ein armer Mann, beide Söhne gefallen, und ich habe sie beide auf den Knien gehalten. Nur eine Enkelin ist bei ihm, und sie ist wie ein Engel in dem dunklen Haus … und Sie werden die Stelle bekommen, ich selbst will es ihm sagen. Der sie jetzt hat, ist ein Bolschewik, verstehen Sie? Einer, der ›Herr‹ genannt werden will, und seine Mutter hat noch Kartoffeln von meinem Feld gestohlen. Und der den General einen ›Blutsäufer‹ nennt, und jedes Kind weiß, daß er nur Rotwein trinkt. Nur daß Kanonen in der Schloßhalle stehen und zwei Diener in Uniform dabei. Einen Putsch will er machen, sagen die Bolschewiki, aber jeder weiß, daß die Kanonen nicht geladen sind.«

      »Können wir es sehen?« fragte Thomas und stand auf. »Die Insel, meine ich, und alles … der Mond scheint doch, und vielleicht ist morgen früh alles fort, und Sie haben nur geträumt.«

      Der alte Mann lächelte.

      »Auch er war so«, sagte er, »alles gleich und sofort, damit es nicht verschwunden ist am nächsten Tag. Aber nichts verschwindet, lieber Herr. Wenn man alt geworden ist, weiß man, daß nichts verschwindet. Aber wir können gehen … beim Mondlicht wirft es die Netze über Sie, mehr noch als am Tage.«

      Die Luft war noch wärmer geworden, und ein paar Regentropfen aus einer verlorenen Wolke fielen schwer in das trockene Laub unter den Eichen. »Geht dort wer?« fragte Thomas leise. Nein, nein, das sei nur der Regen und eben der Zauber. Immer klinge es hier so, als gehe wer durch die Nacht. Aber niemand gehe, ganz still und leer sei der Wald. Außer daß die Toten umgingen aus Land und Meer, aber darüber wisse er nichts.

      Der Mond stand noch tief, vor ihnen, und sie sahen nur sein Licht. Der Himmel war sanft beglänzt, wie aus einem fernen Tor, und mitunter blitzte es im Walde auf, ein einzelner Strahl, der durch ein Lücke im Geäst auf feuchte Rinde fiel. Eulen riefen, und vom Wasser schrie ein unbekannter Vogel. Es war, als frage jemand nach dem Wege.

      Der Fußpfad senkte sich, und dann war das Wasser zu sehen. Es lag als eine matte Scheibe in einem dunklen, vielfach gesprungenen Rahmen. Es dehnte sich, weit hinaus, und in der Ferne wurde es grauer und matter, bis es mit der Schwärze verfloß. Eine schmale Mondbahn lief bis zu ihren Füßen, und in der Höhe, zwischen dunklen, leise treibenden Wolken, standen die Sterne. Nichts bewegte sich, nicht einmal die Brücke des Mondlichts, und die Schilfhalme standen wie Speere mit glühenden Spitzen am Ufer. Und doch war es wieder, als ginge jemand leise durch den Wald und über das Wasser hin, verstohlen und atemlos, bald zur Rechten und bald zur Linken.

      »Dort ist sie«, sagte der Förster leise.

      Thomas sah die Insel, einen Büchsenschuß weit. Sie lag in vollkommener Schwärze auf der matten Scheibe, nur um die Wipfellinie war ein fließender, weißer Schein, und die trockenen Äste der Eichen standen wie Gittermasten gegen den Mond. Dunkle, schwere Vögel saßen regungslos in ihrem Netzwerk.

      »Hier ist der Kahn«, sagte der Förster.

      Aber Thomas wollte nicht fahren. Er wußte, daß es hier war, wo er leben und wahrscheinlich auch sterben würde. Seine Augen sahen es, und mehr noch sagte es sein Herz. Aber er wollte nicht hingehen wie in einem Zauber. Zuviel stand auf dem Spiel. Er war fünfundvierzig Jahre alt und brauchte den Tag, um dies zu sehen. Auch am Morgen würde es noch dasein, und es würde gut sein, wenn es regnete und ein harter Wind ginge, daß alles grau und wirklich aussähe. »Nein, morgen früh«, sagte er.

      Sie standen noch eine Weile und sahen hinaus. Einer der großen Vögel über der Insel richtete sich auf und schlug mit den Flügeln. Ein heiserer Ruf kam über das Wasser herüber. Dann war alles wieder wie zuvor.

      »Das sind die Reiher«, sagte der Förster. »Der General liebt sie nicht, aber es sind edle Vögel, und außer ihnen haben Sie niemand auf der Insel.«

      »Ich hoffe, daß das

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