Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba

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Geschichten der Nebelwelt - Inga Kozuruba Geschichten der Nebelwelt

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anzufühlen begann. Sie streckte sich nach oben, dem Himmel und der Sonne entgegen und spürte dann auf einmal das Federkleid um sich herum, die kräftigen Flügel, die sie im Wind trugen und ließ einen Freudenjauchzer los aus der Falkenkehle, die nun für kurze Zeit die ihre war. Sie sah, wie die Welt sich meilenweit in jede Richtung erstreckte, sah Grünau und die Herden der Tiere, sah den Wald und den kleinen Pfad zwischen den Bäumen, der Richtung Fluss führte und auf dem außer einer einsamen Gestalt auf einem Pferd keine Menschenseele zu erblicken war. Und als ihr Blick dem Fluss folgte, da sah sie auch den Staub, den eine große Menschenmenge aufwirbelte. Ihr Inneres zog sich zusammen, weil sie nur selten so viele Menschen auf einmal sah, und noch nie so viele Bewaffnete auf einmal erblickt hatte. Beinahe hatte sie die Fassung und ihre Verbindung zu den Sinnen des Vogels verloren. Doch sie hatte sich schnell wieder im Griff und wandte ihre Aufmerksamkeit ganz und gar dem riesigen Trupp zu, der sich vergleichsweise langsam, aber unaufhaltsam in Richtung der großen Brücke bewegte.

      Feli wusste, dass die Truppen des Klerus vom Brückenzoll befreit waren und daher nur insofern von der Brücke aufgehalten werden würden, als dass sie diese nicht so dicht gepackt passieren konnten, wie sie es auf der Straße taten. Sie wollte dennoch so wenig Zeit wie möglich verlieren. Wenn sie die Lage richtig einschätzte, dann hatte Starogrâd noch bestenfalls drei Tage. Wenn sie gleich umkehren und alle Abkürzungen nutzen würde, die sich ihr boten, dann könnte sie in der Nacht in die Stadt zurückkehren und den Richter in Kenntnis der Truppenstärke und Ankunftszeit setzen. Und dann wollte sie sich so schnell wie möglich aus dem Staub machen, vielleicht tatsächlich zusammen mit der jungen Gattin des wohlbetuchten Händlers, die ihre Mutter besuchen wollte und womöglich noch nicht aufgebrochen war. Feli hatte nichts übrig für die Rächer, auch wenn sie regelmäßig zur Heiligen Familie betete und einen Teil ihrer Bezahlung stets der Mutter und dem Mittler spendete.

      Die scharfen Falkenaugen erkannten allen voran fünfzig Berittene. Die Hälfte von ihnen waren schwer gerüstete Ritter mit deutlich sichtbaren Symbolen des Glaubens an ihren Wappenröcken, Schilden, und den Pferdedecken. Die andere Hälfte trug robuste Reisegewandung, auf der jedoch ebenfalls deutlich die Kirchensymbolik zu erkennen war, und hatten jeder einiges an Schriftrollen und Folianten im Gepäck. Eine ungewohnte, strenge Kälte ging von diesen Männern aus, während die Ritter eine faszinierende und ehrfurchtgebietende Aura umgab, ein Glanz, dem man sich besser nicht näherte. Einer der weniger schwer gerüsteten Kleriker, der von allen der älteste zu sein schien, war etwas aufwändiger gekleidet und hatte einen Bannerträger des Klerus neben sich auf einem einfachen Pferd, ebenso einer der Ritter, der der Gruppe voran ritt.

      Diesen Männern folgten weitere Berittene, die weniger schwer gerüstet waren und sowohl mit Bögen, als auch mit Nahkampfwaffen ausgestattet waren, Lanzen und Speere, die sich vom Pferd aus nutzen ließen. Ihre Rüstungen erlaubten eine größere Beweglichkeit und Feli glaubte zu erahnen, dass diese Truppen nicht zuletzt dazu eingesetzt wurden, um fliehende Gegner einholen oder mit Beschuss niederstrecken zu können. Sie zählte insgesamt an die Tausend Berittene. Diesen folgte eine halb so große Zahl an Bogenschützen, und den Rest bildeten einfache Fußtruppen, die ebenso zahlreich waren wie die Reiter. Den Abschluss bildete der Versorgungstross, der neben Proviant und Zelten noch andere Dinge transportierte.

      Feli spürte wieder, wie sich ihr Inneres zusammenzog, und sie die Verbindung zum Falken verlor. Innerhalb eines Augenblicks stürzte ihr Bewusstsein zurück zu Boden, fuhr wieder in ihren tauben Körper, dessen Arme eingeschlafen waren und sich nur mühsam bewegen ließen. Feli strengte sich an, bis sie schließlich das grässliche Kribbeln spürte, erst in den Fingerspitzen und dann immer weiter über die Arme hin zum Körper. Viel zu langsam ließ die Lähmung nach, aber das tat sie. Feli war sich sicher, dass die Truppen der Rächer auch Werkzeug und Teile von Belagerungsmaschinen mit sich führten. Sie hoffte, dass diese dazu gedacht waren, das befestigte, verseuchte Kloster anzugehen, und nicht die Stadt. Dem Richter würde die Nachricht so oder so bestimmt nicht gefallen.

      Feli atmete tief durch, schüttelte ihre Arme nochmals kräftig durch, streckte ihren Körper und die Gliedmaßen im Sattel und reichte Kari noch eine Möhre, während sie ihr leise zusprach: „So, mein Mädchen, heute müssen wir uns sputen. Du wirst mich sicher nicht im Stich lassen, stimmt's?“

      Die Stute nickte leicht mit dem Kopf und schnaubte leise zur Antwort. Feli lächelte, streichelte dem Tier über den Hals und gab ihr den Befehl zu wenden. Dann nahm sie den Weg zurück durch den Wald, am Waldrand entlang, um dann abermals unter das Baumdach zu tauchen. Den Weg, den sie nun nahm, nutzten nur noch die Waldläufer. Jedem anderen wäre er versperrt gewesen. Feli fühlte sich zwar schon ein wenig ermüdet durch die Übernahme des Falken, doch sie war sich sicher, dass ihre Geisteskraft bis zur Rückkehr nach Starogrâd nicht versagen würde.

      Diesen Pfad durch die Wälder hatten die legendären Waldläufer der früheren Zeiten angelegt, als die Welt noch voller Wunder und noch viel mehr Gefahren war als in diesen Zeiten. Damals, vor Jahrhunderten, als die Menschen noch an eine fünfgestaltete Göttin glaubten und nicht an die Heilige Familie, den Einen oder die Tausend. Damals, als die Welt noch heil war, und nicht zerrissen durch Kriege und Hass und nicht durch die Verderbnis dem Untergang geweiht, wann auch immer er kommen würde. Feli trieb ihre Stute zur höchsten Leistung an und das Tier ließ sich von ihrer brennenden Entschlossenheit anstacheln, so viel mehr als Sporen und Gerten es je zu tun vermochten. Die dicht wachsenden Bäume und Sträucher des Waldes wichen vor ihnen und gaben einen schmalen Weg frei. Nicht ein winziger Zweig und nicht ein Blatt berührte Felis Haut oder das Fell der Stute. Und kaum preschte sie durch, schloss sich die Vegetation wieder, ohne eine Spur zu hinterlassen.

      Feli hörte die Bäume raunen und das Flüstern der Blätter um sie herum und spürte die Gänsehaut auf ihrem ganzen Körper. Sie wünsche, sie hätte jemals die Zeit gehabt, diese Sprache zu erlernen, die den Feen, den Elweni eigen war. Sie kannte nur die wenigen Wörter, die ihr Lehrmeister ihr auf den Reisen beigebracht hatte, bevor sie ihrer eigenen Wege ging. Sie wusste, was sie denken und fühlen, was sie flüstern oder brüllen musste, sie kannte den Sinn der Worte, doch richtig sprechen konnte sie nicht. Und so blieb das Wispern im Wind ein Geheimnis für sie, wie so oft. Ein Geheimnis, das vermutlich für immer verloren war, wie die Feen, die den Menschen den Rücken gekehrt haben wegen all dem Schmerz, den sie erleiden mussten, und dezimiert durch die Seuche Mansum, die der Fluch dieses Volkes war. Feli hatte manchmal die Ruinen ihrer Siedlungen gesehen, manchmal inmitten der Wälder an Orten, von denen Menschen aus einem alten Aberglauben heraus sich fernhielten, manchmal inmitten von Städten, die Menschen an Plätzen im ehemaligen Feenreich errichtet hatten. Selbst im schlimmsten Verfall war noch die Schönheit und die Makellosigkeit in ihnen zu erkennen, die den Orten früher innegewohnt hatten, selbst dort, wo die groben Hände der Menschen so vieles zerbrochen und verunstaltet hatten. Spuren und Erinnerungen, mehr war ihnen nicht geblieben von diesem alten Volk, das einst Seite an Seite mit den Menschen gelebt und ihnen so vieles beigebracht hatte.

      Die Sonne zog über Felis Kopf ihre Bahn über den Himmel, während die Reiterin sich unaufhaltsam ihrem Ziel näherte. Sie spürte, dass ihre Kraft sie nach und nach verließ, hatte ihr Ziel jedoch noch immer klar und deutlich vor Augen und schoss durch den Wald wie ein Fisch durch das Wasser, wie ein Vogel durch die Lüfte. Die Finsternis begann sich erneut über die Welt zu senken, und die Monde erschienen am Himmel. Der große, finstere Feuermond und der mächtig strahlende Chaosmond dominierten noch immer die Konstellation, die sich zu ändern weigerte und die schwachen, hellen Aspekte des Wassers, des Äthers und der Ordnung in den Hintergrund drängte, als wären die Himmelskörper nicht bereit, den Menschen Gnade zu erweisen.

      Es war völlig finster geworden, als Feli endlich auf die Straße hinausschoss, und die Stadt nur noch wenige Meilen entfernt vor ihr lag. Sie spürte die bleierne Müdigkeit in ihren Gliedern und den dumpfen Schleier, der sich immer über ihr Bewusstsein legte, wenn sie sich den ganzen Tag über so verausgabte. Den Trick würde sie in den kommenden Tagen sicherlich nicht wiederholen können. Umso wichtiger war es, dass sie dem Richter schnell Bericht erstatten und sich dann zur Ruhe zurückziehen konnte. Sie griff nach ihrer Satteltasche und gab Kari einen Apfel, während

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