Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba
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Damit wandte sie sich mit Blicken und Gedanken ihrem nächsten Ziel zu. Auch wenn die Tage inzwischen länger waren, würde sie die Hütte nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen. Doch zu ihrem Vorteil musste sie dafür die Straße nicht mehr verlassen, außer beim allerletzten Stück, der über eine Wiese führte und an den Wald heran. Für alle Fälle bereitete sie eine kleine Laterne vor, füllte das Öl nach und entzündete den Docht. Solange sie noch halbwegs etwas sehen konnte, trieb sie die Stute an, um Zeit zu gewinnen. Je schneller sie bei der Hütte ankam, desto schneller konnte sie schlafen, desto eher konnte sie am kommenden Morgen aufstehen.
Der graue Mond, auch bekannt als das Chaosgestirn und der rote Mond des Feuers waren bereits am Himmel zu sehen, während die übrigen drei im Zwielicht nur zu erahnen waren. Feli trieb Kari zur Eile an. Die Stute spürte die Nervosität ihrer Reiterin und eilte die Straße entlang. Feli hoffte zwar darauf, dass die Wölfe es inzwischen einfacher hatten, in den Wäldern Beute zu reißen im Vergleich zum kargen Winter, und ihr nicht entlang des Weges auflauern würden, doch man konnte sich nie sicher sein. Menschen waren nicht die einzigen, die zur dunklen Phase des roten Mondes stärker zu finsteren, blutrünstigen Gefühlen und Taten neigten, auch die Raubtiere waren in dieser Zeit gefährlicher. Darum nannte man das Gestirn in solchen Zeiten auch den Blutmond.
Das Sonnenlicht schwand immer mehr zu einem immer schwächeren Glimmen über den Baumwipfeln und erstarb schließlich ganz. Mit ihm zusammen verstummten die tagaktiven Vögel. Das Licht der Monde war zwar hell genug, um die Straße zu erkennen, sobald sich die Augen darauf eingestellt hatten, doch nicht ausreichend, um eine lauernde Gefahr um sie herum zu bemerken. Immerhin war es nicht mehr weit. Noch ein Paar Meilen über die Straße, dann eine kurze Strecke über den Wiesenpfad. Die von ihr angepeilte Hütte stand unweit eines Bachs, wo sie ihren Wasserschlauch befüllen und Kari tränken konnte.
Feli griff zur Laterne, um das schwach glimmende Licht stärker aufzudrehen, da sah sie, wie sich die Ohren der Stute aufstellten und hörte selbst das Knurren der Raubtiere um sie herum. Von beiden Seiten sprangen die lauernden Wölfe sie an. Im Bruchteil eines Augenblicks zählte sie drei Tiere auf der einen Seite und drei auf der anderen. Mit einem Kampfschrei zog sie ihre Waffe, gab Kari aber mit ihren Oberschenkeln zu verstehen, dass sie nach vorne preschen sollte. Zwei der Wölfe versuchten ihnen jedoch den Weg abzuschneiden. Die Stute bäumte sich auf und schlug mit den Hufen aus. Feli hielt sich mit etwas Mühe im Sattel fest und schlug nach dem anderen Wolf. Den Hufen entgingen die Räuber, doch Felis Säbel fand ihr Ziel und schnitt dem Wolf ins Fleisch, zog eine Spur aus frischem Blut hinter sich, das über die Erde und das Gras spritzte. Das Tier heulte auf vor Schmerz und zog sich zurück. Dann gab sie Kari erneut das Zeichen, weiter zu reiten, brüllte laut und knurrte dann mit gefletschten Zähnen, um den Wölfen begreiflich zu machen, dass sie keine leichte Beute war. Dann verteilte sie Hiebe nach links und rechts, um diejenigen Räuber abzudrängen, die nach ihren Beinen schnappten. Der linke Hieb verfehlte den Wolf, der geschickt nach Hinten zurückwich. Der rechte jedoch traf zielsicher, und der nächste Räuber musste Blut lassen, heulte auf und winselte sogar. Kari schlug noch einmal mit ihren Hinterläufen aus, dann preschte sie nach vorne, bevor die nächsten Wölfe nachrücken und ihr abermals den Weg versperren konnten.
Feli drückte sich an das Tier, um dem Wind weniger Widerstand zu bieten, und warf einen Blick nach hinten über die Schulter, während Karis Überlebensinstinkt sie nach vorne über die Straße trieb. Sie sah, dass die unverletzten Wölfe ihnen zuerst noch nachjagten, doch dann die Verfolgung aufgaben und von der Finsternis der Nacht verschluckt wurden. Kari raste durch die Nacht, und erst als die Hütte in unmittelbarer Nähe war, gab Feli ihr das Zeichen zur Entwarnung. Sie stieg ab und strich der Stute beruhigend über den Hals, während sie ihr leise zusprach. Dann führte sie das Tier zum Bach, hängte die Laterne an einen nahen Ast, und ließ sie trinken, während sie ihr den Sattel abnahm und mit einem Tuch den Schweiß abwischte. Sie nahm sich auch die Zeit, die Läufe der Stute auf Verletzungen zu prüfen, und stellte mit Erleichterung fest, dass das flinke, wendige Tier in der glücklicherweise kurzen Auseinandersetzung mit den Wölfen nichts abbekommen hatte. Sie trank selbst etwas, aufmerksam lauschend, und füllte ihren Wasserschlauch mit dem klaren Wasser auf. Dann führte sie die Stute in Richtung Hütte.
Feli glaubte zwar nicht, dass das kleine Wolfsrudel ihnen nachsetzen und ihnen womöglich auflauern würde, doch um sicher zu sein ließ sie Feli nicht in der Nacht draußen grasen, sondern nahm sie mit unters Dach. Die Hütte war groß genug, um auch ein Pferd reinzulassen und zu beherbergen. Als kleine Aufmerksamkeit gab Feli ihrer Stute eine Möhre zu fressen, und hing ihr einen Beutel mit Hafer um, während sie selbst noch etwas Dörrfleisch und einen Apfel verspeiste. Danach stellte sie sicher, dass die Tür und die Fensterläden fest verriegelt waren, und hing für sich selbst zum Schlafen eine Hängematte an den in die Wände eingelassenen Haken auf. Sie schlief wie gewohnt schnell ein und wurde bis zum Morgengrauen von keinen Träumen gestört, weder guten noch bösen.
Kapitel 9
Der Richter erwachte am Morgen zur gewohnten frühen Stunde und fühlte sich kaum erfrischt. Die scheußlichen Albträume machten ihm zu schaffen. Mit dieser Art Schreckgespenstern hatte ihn der Schlaf bisher noch nie gequält, und jetzt suchten sie ihn gleich zwei Nächte in Folge heim. Doch da musste er jetzt durch. Leicht benebelt und mechanisch aß er sein Frühstück, verabschiedete sich von seinem Hausdiener, und machte sich auf den Weg zum Rathaus. Er setzte wie gewohnt einen Fuß vor den anderen, nickte gedankenverloren der Bäckerwitwe zu, und bemerkte erst dann, dass er deutlich langsamer unterwegs war im Vergleich zu seinem gewohnten Tempo. Als ob etwas ihn ihm die kommenden Dinge von sich schieben, noch etwas Zeit schinden wollte. Er atmete tief durch, um sich zusammenzureißen, und begann, schneller zu gehen. Er musste noch einiges erledigen, bevor er sich mit der Oberin zum Mittagessen treffen würde. Denn am Nachmittag würde er die Stadtherren aufsuchen müssen, um mit ihnen die noch anstehenden Vorbereitungen zu besprechen. Und auch wenn nur zwei von ihnen derzeit in der Stadt waren, so würde die Angelegenheit dennoch einiges an Zeit benötigen.
Frau Petrana Eisenmeister, eine verbitterte und strenge Witwe, neigte dazu, sich pedantisch mit allerhand Details aufzuhalten. Sie war zudem dem Klerus wohlgesonnen und würde gewiss verlangen, dass die Stadt im besten Licht erscheinen müsste – wozu auch gehörte, dass die hochrangigen Mitglieder des Rächerordens die bestmöglichen Unterkünfte erhielten. Karl hoffte insgeheim, dass sie den ranghöchsten von ihnen eine persönliche Einladung auf ihr Anwesen aussprechen würde. Dann könnte ihr straff geführter Haushalt, in dem es angeblich strenger zuging als in einem Kloster, sicherlich alles nötige dafür tun, damit die Herrschaften des Ordens nichts auszusetzen hätten.
Für Femeon Waldherr würde Karl ebenfalls einiges an Zeit benötigen, allerdings aus anderen Gründen. Dieser Stadtherr war so ziemlich das genaue Gegenteil von Frau Eisenmeister – ein weicher, freundlicher Mann, der dazu neigte, ständig abzuschweifen und nie auf den Punkt zu kommen. Er war eine recht unterhaltsame Gesellschaft bei geselligen Zusammenkünften, doch wann immer es um wichtige Themen ging, war der Mann in seiner Inkompetenz nicht zu ertragen. Seine Frau Daria war diejenige, die sich um alle Geschäfte kümmerte – unglücklicherweise hielt sie sich häufig nicht in der Stadt auf sondern sah persönlich und zusammen mit ihrem Sohn nach den Holzfällern und dem Holztransport über den Fluss. Wenn man der Gerüchteküche glauben konnte, so verließ mit der Hausherrin auch jegliche Disziplin den Haushalt des Waldherr-Anwesens, da Femeon selbst den Leuten allerhand durchgehen ließ und sich nicht im Geringsten um die Dinge kümmerte, die eine Frau Eisenmeister als verderbten Verfall der Sitten bezeichnet hätte.
Auf den Straßen der Stadt war mit dem guten Wetter nun definitiv die gewohnte Geschäftstüchtigkeit eingekehrt. Der Richter achtete nicht