Geschichten der Nebelwelt. Inga Kozuruba

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Geschichten der Nebelwelt - Inga Kozuruba Geschichten der Nebelwelt

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ließ sich mit der Mahlzeit dennoch Zeit, obwohl es an diesem Tag später geworden war als sonst. Die Dunkelheit und das Licht der beiden dominanten Monde machten ihn nervös. Normalerweise machte er sich nichts aus den Dingen, die von Menschen in die Konstellation der Gestirne hineingedeutet wurde, obschon er von einer geheimen Kunst wusste, die daraus ihre übernatürliche Macht bezog. Doch im Anbetracht der jüngsten Ereignisse erschienen auch ihm der Graue und der Rote sehr unheilvoll in ihrem gemeinsamen Wirken. Als der Richter sich dann schließlich zu Bett begab hoffte er, dass ihn diese Nacht keine bösen Träume heimsuchen würden - doch das war ihm nicht vergönnt.

       Es regnete erneut, noch sehr viel schlimmer als in den Tagen zuvor, und die ganze Stadt schien überflutet zu sein. Karl sah das Wasser in kleinen Wellen über die Schwelle seines Schlafzimmers schwappen. Im Zwielicht des wolkenverhangenen Tages sah er Körper auf dem Wasser vorbeitreiben, das sich in den Straßen aufstaute. Die Flut machte keinen Unterschied zwischen Männern, Frauen, Alten oder Kindern. Er sah auch eine Ordensschwester, ihr Gesicht war nach oben gerichtet und ihr leerer Blick sah anklagend zum Himmel. Warum habt Ihr uns verlassen, oh Götter?

       Das Wasser war dunkel, beinahe schwarz – doch als es dann mit sanften, unerwartet warmen Berührungen seine nackten Füße erreichte und er an sich hinunter sah, waren seine Zehen und die Oberseite der Füße nicht einfach nur nass, sie waren rot. Ein Wimmern des Entsetzens entwich seiner Kehle, das er mit beiden Händen über seinem Mund abzuwürgen versuchte. Dann hörte er ein dumpfes Geräusch und sah sich um – es war der Körper seines Dieners, der mit dem Gesicht nach unten an die Oberfläche des blutigen Wassers aufgestiegen war und gegen die Wand stieß. Dann riss er plötzlich seinen Kopf hoch und fauchte Karl mit einer dämonischen, hassverzerrten Fratze an. Es wurde dunkel.

      ***

      Nachdem Feli sich vom Richter verabschiedet hatte, machte sie sich voller Vorfreude auf den Weg. Egal, was sie herausfinden würde, egal, was noch auf sie zukam – zuerst wartete die Straße auf sie, und die Wiesen und Wälder um sie herum. Das war das wichtigste in ihrem Leben, immerzu in Bewegung zu sein. Ein leichtes Schmunzeln lag auf ihren Lippen, weil sie sich ihrer Wirkung auf den Richter durchaus bewusst war – und es sehr zu schätzen wusste, dass er sich zurücknahm und ihre Beziehung rein geschäftlicher Natur war. Sie hatte schon mehr als einem Mann mit deutlichen Worten erklären müssen, dass sie kein Interesse an einem Heim oder einer Familie hatte. Die Welt war ihr Zuhause. Wer das nicht begreifen konnte, für den hatte sie nichts übrig. Das Haus, in dem sie lebte, war nichts weiter, als eine Zwischenstation, ein Ort zum Lagern von Dingen, die sie nicht immer bei sich brauchte. Sie konnte es sich zwar vorstellen, eine Nacht mit ihm zu verbringen, sowohl aus Sympathie als auch aus der Neugier heraus. Doch sie würde es erst tun, wenn es klar war, dass sie ihn nicht wiedersehen würde, um jegliche Komplikationen zu vermeiden.

      Feli legte nur einen kleinen Umweg ein, um ihren Proviant aufzustocken und auch etwas Hafer für das Pferd zu besorgen. Alles andere war bereits aus der Gewohnheit heraus vorbereitet und musste nur noch eingesammelt und verstaut werden. Wie immer reiste sie mit leichtem Gepäck. Wenig später verließ sie die Stadt über das Westtor. Während sie zunächst noch der Straße folgte, stieg sie in Gedanken hoch wie ein Vogel. Die Truppen des Rächerordens würden sicherlich die Straße nehmen. Die Straße wiederum folgte nicht unbedingt dem kürzesten Weg. Sie musste Ortschaften miteinander verbinden, auf Brücken achten, auf ein Gelände, das geeignet war für Kutschen und Fuhrwerke. In Gedanken legte Feli sich eine Route zurecht, die es ihr erlaubte, eine Abkürzung durch den lichten Wald zu nehmen. Auf diese Weise konnte sie sich selbst und ihrem Pferd eine kurze Rast an einem Bach ermöglichen, und würde dennoch vor dem Einbruch der Dunkelheit ein paar Straßenabschnitte prüfen können. Sollte sie bis dahin auf die Kampftruppen oder ihre frischen Spuren treffen, dann könnte sie spätestens in der Nacht zurückkehren und dem Richter wenigstens mit dem Vorsprung von ein paar Stunden die Informationen bringen. Anderenfalls würde sie ein, vielleicht zwei Tage gewinnen können.

      Sie streichelte liebevoll über den Hals ihrer Stute Kari mit dem fuchsfarbenem Fell, die sie wegen ihrer Ausdauer ausgewählt hatte und die mit Sicherheit ihr kostbarster Besitz und ihre treueste Freundin war. Um ein Tier wie sie zu finden, war Feli vor Jahren bis in den Süden des Reiches gereist, ins ferne Fürstentum Kôsian, und hatte zudem Glück, die richtigen Leute zu kennen, so dass sie einen Freundschaftspreis bekommen hatte. Die berühmt-berüchtigten Dragons vergaßen nie ihre Feinde, aber noch weniger ihre Freunde, und Feli hatte genug Gefallen bei ihnen angesammelt für eine solche Kostbarkeit.

      Ein leichter Druck mit den Oberschenkeln genügte, damit die Stute Felis Absichten verstand. Wenig später verschwanden Reiterin und Reittier aus der Sicht, auf einem schmalen Pfad zwischen den mit frischem Grün bedeckten Laubbäumen. Die Luft war frisch, und wurde zusehends wärmer. Das Wetter war ihr gnädig, und vielleicht war das sogar ein gutes Zeichen, ungeachtet der bösen Omen, die die finsteren Mondaspekte bei Nacht mit sich brachten.

      Die erste Unterbrechung legte Feli um die Mittagszeit ein. Während Kari eine kurze Schonzeit hatte, am klaren Wasser eines Bachs und dem frischen Grün am Ufer, nahm Feli sich die Zeit, um die Beschaffenheit der Straße zu prüfen. Der andauernde Regen der vergangenen Tage hatte ganze Arbeit geleistet, die Erinnerung an die vielen Pilger und Händler auszumerzen, die zum Kloster gezogen waren, um nicht mehr von dort zurückzukehren. Auch die Spuren der Glücksritter, die den verschollenen Pilgern gefolgt waren, wurden vom Regen unkenntlich gemacht. Sie sah nur noch vereinzelte Reste von Abdrücken, die zu schwer beladenen Fuhrwerken gehört hatten, und zugehörige Spuren von Zugtieren und Menschen. Doch diese gehörten wohl kaum zu einem bewaffneten Heer mit Hundertschaften von Fußtruppen und Berittenen, sondern eher zu Leuten, die zwischen den Dörfern und Höfen umherzogen, vermutlich fahrende Händler oder Tagelöhner, die Arbeit auf den Höfen suchten. Feli hatte allerdings auch nicht erwartet, an dieser Stelle bereits die Kampftruppen anzutreffen. Es ging ihr vor allem darum, die Beschaffenheit der Straße etwas abseits der Stadt zu prüfen um abschätzen zu können, wie die relativ unberührten Passagen aussahen.

      Die zweite Position prüfte Feli, als der Abend sich anzukündigen begann. Sie hatte ein großes Stück Weg gewonnen, da sie eine ihr bekannte Passage über den Fluss nutzen konnte, während die Straße einen meilenweiten Umweg zu einer Brücke schlug. Auch an dieser Stelle sah sie keine Hinweise auf ein vorbeigezogenes Heer. Nur die üblichen Spuren von einfachen Leuten, die ihren eigenen Tätigkeiten nachgingen und vermutlich nicht die geringste Ahnung davon hatten, in welcher Gefahr sie alle schwebten. Feli seufzte und blickte nach oben, um dem Sonnenstand nach ihre weiteren Möglichkeiten abzuschätzen. Sie hatte die Wahl zwischen einer kleineren Abkürzung, bei der sie noch vor dem Sonnenuntergang in einem kleinen Dorf einkehren konnte, aber nicht viel Zeit für den nächsten Tag gewinnen würde. Sie konnte auch eine längere Strecke einsparen, würde dann aber vom Einbruch der Nacht eingeholt werden. Zudem würde sie sich dann in einer weniger dicht besiedelten Gegend befinden, so dass die Gefahr bestand, an ein Rudel Wölfe zu geraten.

      Während sie ihre Optionen abwog wurde ihr klar, dass sie die riskantere wählen musste, wenn sie mehr Zeit für ihre Rückkehr herausholen wollte. Dann fiel ihr eine Hütte entlang des Weges ein, die am Waldrand lag und Reisenden Schutz bieten sollte, die es nicht mehr rechtzeitig in ein Dorf schaffen würden und in keiner größeren Gruppe reisten, die ihnen Schutz bot. Damit war ihre Entscheidung getroffen, und Feli schwang sich rasch in den Sattel.

      Da sie ihre Kari bisher noch vergleichsweise geschont hatte, nahm sie sich nun heraus, in den verbleibenden Stunden ein etwas höheres Tempo einzufordern. Die schmalen Wege durch die Waldabschnitte, die von Jägern und Waldläufern genutzt wurden, verlangsamten sie zwar im Vergleich zum offenen Feld, da sie auf peitschende Äste und Zweige achten musste und auch die Wurzeln am Boden waren nicht ungefährlich, doch sie kam immer noch schneller voran als über die gewundene Straße.

      Die Sonne senkte sich unaufhaltsam zum Horizont. Als Feli an ihrem letzten Punkt der Straße angekommen war, um dort die Spuren zu prüfen, war sie schon fast hinter den Baumwipfeln verschwunden. Feli hatte gerade noch genug Licht,

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