Rückkehr der Gerechtigkeit. Anno Dazumal

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Rückkehr der Gerechtigkeit - Anno Dazumal страница 2

Автор:
Серия:
Издательство:
Rückkehr der Gerechtigkeit - Anno Dazumal

Скачать книгу

nämlich damit fest, daß in der Nacht die Kaufleute kommen würden, um sich die von den Kindern hergestellten Waren zu holen. Und da war es üblich, daß jeder Aufseher sich zu den Kaufleuten begab, um von denen ein paar Rupien für die „Betreuung“ der Arbeiter zu bekommen. Das Tor zur Flucht stand also weit offen. Man mußte nur noch den Mut haben, es auch zu durchschreiten.

      Es war mitten in der Nacht, als man draußen Lastwägen herfahren hörte. „Sie kommen!“ zischte Nathu Shankar zu. Es war nun nur noch eine Frage der Zeit, bis alle Aufseher die Fabrik verlassen würden. Auch der Aufseher, der vor den Schlafräumen wachte, hatte die Geräusche der Lastwägen gehört und war darum schnell aufgestanden, um zu überprüfen, ob die Kinder auch alle schliefen. Er stieß einige von ihnen mit einem Stock an und stellte zufrieden fest, daß alle seelenruhig vor sich hin schlummerten. „Kein Wunder, daß die so gut schlafen. Bei der schweren Arbeit, die sie verrichten müssen“, dachte sich der Mann und verschwand dann nach draußen. Es hatte die fünf Fluchtwilligen tatsächlich große Mühe gekostet, um wach zu bleiben. Sie hätten viel lieber geschlafen, aber die Chance zur Flucht wollten sie sich nicht entgehen lassen. Als sie draußen viele Stimmen hörten, standen die Fünf auf und trafen sich vor der Tür des Schlafraumes. „Was jetzt?“ wollte Daya wissen, der man es ansah, daß das Sandmännchen fast gesiegt hätte. „Die sind alle draußen. Wir müssen auf die andere Seite des Gebäudes“, entschied Shankar. So machten sie sich unbemerkt auf den Weg. Plötzlich trat Raja versehentlich auf einen Blechdeckel. „Paß doch auf!“ schimpfte Nathu verärgert ob des Leichtsinns seines Fluchtgenossen. Sie blieben ein paar Sekunden atemlos stehen, um zu lauschen, ob irgend jemand draußen das Geräusch wahrgenommen hatte. Zu ihrem Glück war das nicht der Fall gewesen, weil sich die Aufseher derweil draußen darüber stritten, wie das Geld, das ihnen die Kaufleute gegeben hatten, aufgeteilt werden sollte. Auf einmal blieb Indira stehen. Sie hatte jemanden ihren Namen sagen gehört und wollte deshalb wissen, was über sie gesprochen wurde. Fast zehn Meter von ihr entfernt standen einer der Aufseher und ein Kaufmann, der schon öfter dagewesen war. Nur eine Glasscheibe trennte Indira von den beiden Männern. „Hör mal! Ich hätte da einen Kunden, der eine hübsche junge Frau braucht“, ließ der Kaufmann verlauten. „Oh, da habe ich genau das Richtige für Dich. Sie heißt Indira und wird in drei Wochen 18 Jahre alt. Die ist so schön, daß sie sich von uns nicht mal jemand vergewaltigen getraut hat“, erzählte der Aufseher. „Jawohl, dann komme ich in drei Wochen wieder und nehme sie mit.“ „Und wieviel springt da für mich raus?“ „Kommt ganz drauf an, wie schön sie ist“, entgegnete der Kaufmann. Danach gingen die Beiden wieder zu den Anderen. Während Raja, Nathu und Daya schon längst weiter gegangen waren, war Shankar bei Indira geblieben und hatte alles mitgehört. „Nichts wie weg“, flüsterte sie und er nickte. Wenig später erreichten sie die drei Anderen, die vor einer verschlossenen Tür standen. „Scheiße!“ fluchte Nathu, doch auf einmal fiel ihm etwas ein. Er hatte nämlich die Erfahrung gemacht, daß indische Türen nicht die stabilsten waren. Er holte sein kleines Messer hervor und steckte es zwischen Tür und Angel. Es gab einen lauten Knall, aber die Tür war offen. Da sich die Aufseher und die Kaufleute auf der anderen Seite der Fabrik befanden, hatten sie nichts gehört, so daß Shankar die Tür wieder schloß, als sie alle draußen waren. „Wir sind frei!“ jubelte Raja. „Freu Dich nicht zu früh. Erst wenn wir hier richtig fort sind und sie uns nicht mehr finden können, dann sind wir frei“, erwiderte Nathu, der noch allzu gut wußte, wie leicht man sich täuschen konnte. Bei seiner ersten Flucht mit Shankar waren sie schon 15 Kilometer weit gewesen und trotzdem gefunden worden. Bei der zweiten Flucht waren sie gerade mal sechs Kilometer weit gekommen. Es gab also noch lange keinen Grund zur Euphorie. „Wie spät ist es jetzt?“ erkundigte sich Daya. „Schätzungsweise kurz nach Mitternacht. Wir haben also noch knapp sechs Stunden Zeit. Seid Ihr fit? Wenn wir laufen, dann könnten wir zehn Kilometer in der Stunde schaffen, also bis sie unser Verschwinden bemerken 50 Kilometer“, stellte Shankar fest. „Nein, tut mir leid. Ich bin hundemüde. Laufen ist bei mir nicht drin“, murmelte Indira. „Du hast doch auch gehört, was die mit Dir vorhaben. Na gut, dann trage ich Dich halt“, lenkte Shankar ein und ließ sie auf seinen Schultern aufsitzen. „Wo wollen wir eigentlich hin?“ erkundigte sich Daya. „Nach Neu Delhi. Nur dort haben wir eine Chance, um unterzutauchen“, antwortete Nathu.

      Sie waren gut zwei Stunden gelaufen, als sich die ersten körperlichen Entzugserscheinungen bemerkbar machten. „Ich habe Durst“, klagte Raja. „Ich auch“, stimmte ihm Indira zu. „Was soll das? Du wirst hier getragen wie eine Königin und beschwerst Dich? Ich bin der Esel. Wenn hier jemand Wasser bekommen muß, dann bin ich das“, spottete Shankar, dem es gefiel, Indira auf seinen Schultern zu tragen. „Haltet durch, Leute! Wir werden schon noch Wasser finden“, beruhigte Nathu die Anderen. Kurz darauf stellte sich heraus, daß er Recht behalten hatte. Es verlief da ein Fluß in der Nähe von Karnal und genau den erreichten sie. Dort ließen sie sich nieder und konnten zum ersten Mal für einige Augenblicke ihre neu erworbene Freiheit genießen. „Werden die uns suchen?“ forschte Daya, nachdem sie sich erfrischt hatte. „Darauf kannst Du Gift nehmen. Sie werden unsere Spuren suchen und wohl auch finden. Darum wird es das Beste sein, wenn wir jetzt ein paar Kilometer durch den Fluß gehen“, überlegte Shankar. Dagegen hatte niemand etwas, weil man so immer etwas zu trinken in der Nähe hatte. Alle Fünf hatten sich aus der Fabrik nur ein Ding mitgenommen. Nämlich eine Wasserflasche. Die füllten sie, als sie den Fluß nach vielleicht drei Kilometern, die sie gewatet waren, verließen und sich dann wieder mit Laufgeschwindigkeit auf den Weg machten. Die Beine waren erfrischt und auch gegen die Ermüdung war das Wasser gut, so daß es jetzt doch erheblich schneller vorwärts ging als vorher. Indira konnte selber laufen, so daß auch Shankar Kraft sparen konnte. Natürlich suchten sie sich die wenig befahrenen Wege, um nicht von Kinderfängern oder ähnlichem Gesindel erwischt zu werden. Sie sehnten sich danach, in der Hauptstadt untertauchen zu können, doch bis es soweit war, gab es noch einen langen Weg zu meistern. Viele Gedanken schwirrten durch ihre Köpfe, als sie da liefen. Einmal war da die Angst gefaßt zu werden. Alle wußten, daß dies sehr viele Schmerzen nach sich ziehen würde. Außer wahrscheinlich für Indira, die ja schön bleiben sollte. Doch auch sie hatte kein Interesse daran, in die Fabrik zurückzukehren und so liefen sie so schnell sie konnten in Richtung Neu Delhi. Dabei verließen sie sich auf Nathu, der einen erstaunlichen Orientierungssinn besaß. Gerne hätten sie angehalten und sich über die Zukunft unterhalten, aber noch war das nicht möglich. Erst mußten sie in Sicherheit sein, dann konnte man für die Zukunft planen. Vielleicht verwundert es, daß sie nicht nach Hause liefen, doch das hatte seine guten Gründe. Dort hätte man sie sofort wieder in die Fabrik gebracht. Ihren Eltern nämlich kam es nur darauf an, daß ihre Kinder die Schulden abarbeiteten. Sie konnten es sich gar nicht leisten, ihre Kinder bei sich zu behalten, weil sie das eine Menge Geld gekostet hätte, das sie nicht hatten. Zwar wußten sie, daß ihre Kinder dort geschlagen und mißhandelt wurden, aber das konnten sie nicht ändern und darum hatten sie sich damit abgefunden. So war es äußerst verständlich, daß zwischen den fünf Flüchtigen und ihren Eltern keine allzu starke Bindung bestand, weshalb niemand ein Verlangen hatte, nach Hause zurückzukehren. Nathu wählte den Weg so, daß sie immer in der Nähe des Flusses blieben, um Wasser zur Verfügung zu haben. Er wußte von früher her, daß der Fluß an Neu Delhi vorbeilief, so daß man ihm getrost folgen konnte und nur rechtzeitig westlich marschieren mußte. Inzwischen waren sie fast vier Stunden unterwegs. Es war kurz vor halb fünf Uhr morgens und so langsam machte sich der neue Tag daran zu beginnen. Es war ein besonderer Tag für Shankar, Nathu, Indira, Daya und Raja. Der erste Tag in Freiheit. Sie wünschten sich alle von ganzem Herzen, daß es nicht der letzte sein würde, aber sie konnten nicht wissen, was da noch alles auf sie zukommen würde. Erst einmal waren sie froh und glücklich, daß ihnen die Flucht geglückt war. Neu Delhi kamen sie immer näher und so langsam schwand die Angst, doch noch gefaßt zu werden. Aber noch hatten sie es nicht geschafft.

      Wieder war es zehn Minuten vor sechs Uhr, als die Kinder, die in der Kinderfabrik arbeiten mußten, geweckt wurden. So wie jedesmal mußten sie sich aufstellen, um gezählt zu werden. Als einer der Aufseher beim ersten Durchzählen feststellte, daß fünf Kinder fehlten, wollte er es nicht glauben. „Ich hätte gestern nicht soviel saufen sollen“, murmelte er und zählte noch einmal. Als er wieder zum selben Ergebnis kam, meinte er zu einem Kollegen: „Ich glaube, ich habe meinen Rausch noch

Скачать книгу