Rückkehr der Gerechtigkeit. Anno Dazumal

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Der merkt schon, wenn da etwas faul ist.“ „Du mußt es wissen. Nathu, ich habe Angst. Ich meine, in der Fabrik war es schon fürchterlich, aber jetzt sind wir in der Freiheit und sind doch nicht frei.“ „Wie meinst Du das?“ „Es gibt immer etwas, das wir brauchen. Ob das Wasser ist oder Nahrung, ganz egal. Dann noch einen Platz zum Schlafen. Es wird nie sein, daß wir einfach so leben können, ohne etwas zu benötigen.“ „So ist das halt mal auf dieser Welt. Damit mußten schon Milliarden Menschen vor uns fertig werden. Wir sollten froh sein, daß wir endlich aus dieser Fabrik weg sind, die uns unsere ganze Kindheit und Jugend geraubt hat.“ „Das ist wahr. Aber wir werden unser ganzes Leben lang Angst haben müssen, wieder an so einen Ort zu kommen.“ „Normal schon. Und genau deshalb ist es wichtig, daß Du lernst zu vergessen. Das wird am Anfang nicht so leicht und so schnell gehen, aber wenn Du es erst mal geschafft hast, dann ist das alles kein Problem mehr. Versuche, die Vergangenheit zu vergessen!“

      Auch in der Höhle hatte man die Vergangenheit inzwischen abgehakt und widmete sich lieber der bevorstehenden Zukunft. „Es wird nicht leicht werden in Neu Delhi zu überleben“, vermutete Sardar. „Lieber in Freiheit sterben, als in Knechtschaft leben“, entgegnete Indira. Hochachtungsvoll blickten die Anderen auf sie. „Das waren weise Worte“, bemerkte Bharat. Shankar spürte, daß man einen Plan brauchte, um in Zukunft bestehen zu können. „Wir werden uns also heute Nacht auf den Weg machen. Vielleicht schaffen wir es sogar, bis nach Neu Delhi zu kommen. Wenn nicht, dann ist das auch nicht weiter schlimm. Ich muß jetzt einen Vorschlag machen, der verdammt blöd klingt, aber ich halte ihn trotzdem für richtig. Wir sollten in Neu Delhi unser Aussehen verändern“, schlug er vor. „Wozu soll das gut sein? Bei Deinem Gesicht verstehe ich es ja, aber bei uns“, scherzte Tejbin. Alle lachten, auch Shankar. „Nicht schlecht. Um Dich brauchen wir uns keine Sorgen machen, Du wirst problemlos beim Fernsehen unterkommen. Ihr wißt doch, daß der Fabrikchef unsere Ausweise hat. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, daß die davon ausgehen, daß wir nach Neu Delhi geflohen sind. Darum werden sie dort sicherlich Steckbriefe aushängen und vielleicht persönlich nach uns suchen. Deswegen sollten wir unser Aussehen verändern, damit sie uns nicht mehr erkennen“, erläuterte Shankar. Die Anderen nickten zustimmend. „Soll ich mir etwa eine Brust abnehmen lassen?“ spottete Indira. „Nein, aber so eine Einäugige wäre nicht schlecht“, erwähnte Shankar grinsend. „Oder wäre es vielleicht doch besser, nicht nach Neu Delhi zu gehen?“ überlegte Bharat laut. „Quatsch! Natürlich müssen wir dorthin. Oder willst Du Dein Leben lang in so einem Höhlenloch vegetieren?“ fragte Shankar provozierend. „Besser als die Fabrik ist es allemal.“ „Das ist unbestritten. Aber nur in Neu Delhi haben wir eine Überlebenschance auf längere Sicht hin. Im ganzen Land geht es den Menschen schlecht. Aber in Neu Delhi geht es den Menschen nicht ganz so schlecht. Zwar nicht gut, aber immerhin besser als an allen anderen Orten in Indien.“ „Schon klar. Weil in Neu Delhi die reichsten und mächtigsten Leute des Landes sitzen und, wenn sie gut gelaunt sind, auch mal für die Bettler was springen lassen.“ Interessiert hörten die Anderen dem Dialog von Shankar und Bharat zu. „So ist es, Bharat. Ich weiß nur noch nicht, wie wir unseren Lebensunterhalt bestreiten können. Jedenfalls denke ich, daß ich Euch überzeugt habe, daß wir zunächst unser Aussehen verändern sollten.“ Alle nickten. Es war nicht hell in der Höhle, aber man konnte sich ziemlich gut sehen. „Wieso können wir nicht hier schon unser Ausehen verändern?“ forschte Parwez. „Ganz einfach: Weil uns die Sachen, die man dazu braucht, fehlen“, antwortete Raja. Auf einmal hörten sie vor der Höhle ein Geräusch. Sofort zogen sie sich in das Innere zurück. „Bleibt da, Leute! Wir sind’s!“ rief Nathu und natürlich erkannten sie ihn an seiner Stimme wieder. Man stellte sich gegenseitig vor und dann leerte Nathu die Tüte. „Was hast Du denn da mitgebracht?“ wunderte sich Sonia, die bisher noch fast nichts gesagt hatte. „Ein paar Sachen aus dem Lastwagen, die wir vielleicht brauchen können“, berichtete Nathu. „Cool. Ein Rasierapparat, ein paar Sonnenbrillen, eine Schere und was zu saufen und fressen. Nathu, Du bist ein Genie“, lobte ihn Sardar. Man begab sich in die Nähe des Eingangs, wo es mehr Licht gab. Dort begannen die flüchtigen Jugendlichen dann damit, sich zu verwandeln. Während Shankar und Nathu keine wesentlichen Änderungen an sich vornahmen, sondern beschlossen, sich einen Bart wachsen zu lassen, schnitten sich die Anderen ihre Haare. „Wenn wir jetzt noch Haarfarbe hätten, dann wäre es noch besser“, glaubte Hirabai. „Man kann nicht alles haben. Aber schaut mal in die Tüte. Ich glaube, da ist noch was für Euch“, mutmaßte Nathu. Sekunden später kamen sie mit Perücken auf dem Kopf zurück. „Wer hätte gedacht, daß männliche Aufseher Frauenperücken mit sich tragen?“ wunderte sich Indira, die man fast nicht wiedererkannte. „Tja, vielleicht wollen sie sich so an Lesben ranmachen“, mutmaßte Raja lachend. „Da bräuchten sie aber noch zwei ausgestopfte Gummibällchen“, fügte Tejbin hinzu. „Na ja, ein paar Tennisbälle habe ich auch gefunden und mitgenommen“, erinnerte sich Nathu.

      Da waren nun also elf Jugendliche, die aus zwei Kinderfabriken geflohen waren, in einer Höhle zusammengetroffen und hatten sich entschieden, fortan einen gemeinsamen Weg zu gehen. Sie alle waren glücklich darüber, weil sie sich in einer größeren Gruppe doch stärker und sicherer fühlten. Und das war sehr wichtig in jener Zeit, in der Kinder verschleppt und zur Arbeit in Fabriken gezwungen wurden. Es wurde dunkel, aber erst als tiefste Nacht herrschte, machten sie sich auf den Weg. Schon recht schnell merkten Bharat, Sardar, Parwez, Tejbin, Sonia und Hirabai, daß Nathu einen stark ausgeprägten Orientierungssinn hatte, auf den man sich voll verlassen konnte. Als sie Durst hatten, führte er sie an den Fluß, als ein paar Autos zu hören waren, brachte er sie in Sicherheit und als sie am nächsten Morgen ein neues Versteck brauchten, fand er eines in kürzester Zeit. „Sag mal, warst Du schon mal hier gewesen?“ erkundigte sich Bharat bei Nathu. „Nein. Wieso?“ „Du läufst hier herum, als würdest Du diese Gegend wie Deine Westentasche kennen.“ „Das ist doch nicht schwer. Paß auf! Hörst Du den Vogel dort?“ „Ja. Was ist mit ihm?“ „Der verrät mir, daß hier in der Nähe ein Baum ist. Und wo ein Baum ist, da ist meistens auch ein Wald. Und in einem Wald kann man sich hervorragend verstecken.“ „Hört sich einfach an.“ „Ist es auch. Ich schlage vor, daß immer zwei von uns Wache halten, während sich die anderen Neun ausschlafen können.“ Damit waren alle einverstanden und so schliefen sie mitten im tiefen Wald, während zunächst Shankar und Nathu die Wache übernahmen. „Was meinst Du, Nathu? Wie weit ist es noch bis Neu Delhi?“ fragte Shankar. „Nicht mehr weit. Morgen sind wir da.“ „Hey, Dir wächst ja schon ein Bart.“ „Das ist auch gut so. Ich habe keine Lust an meinen kurzen Haaren erkannt zu werden.“ „Ich lasse meine jetzt wachsen. Einmal zur Sicherheit und weil es besser aussieht.“ „Hat das etwa Indira gesagt?“ „Wie kommst Du denn darauf?“ „Na komm, das sieht doch ein Blinder, daß es zwischen Euch gefunkt hat.“ „Findest Du?“ „Aber sicher. Ihr seid auch ein schönes Paar.“ „Erst einmal müssen wir in absoluter Sicherheit sein. Dann kann ich mich damit befassen.“ „Oh Shankar, dann wird es nie was mit Euch. Die absolute Sicherheit wird es für uns wohl nie geben. Es sei denn, Du kannst Dir fünf Leibwächter leisten.“ „Na klar, ich habe ja hier zehn zur Auswahl.“ Beide lachten. Sie waren gute Freunde und sie kannten sich gut. Doch die gemeinsame, bisher geglückte Flucht, schweißte sie mehr als alles Andere zusammen. Man war voneinander abhängig und man mußte einander vertrauen. „Du, Shankar, was machen wir in Neu Delhi?“ „Frag nicht solche Sachen. Wir werden schon etwas finden.“ „Sicher?“ „Ich denke schon. Sei optimistisch. Was haben wir zu verlieren?“ „Nichts. Weil wir nichts haben.“ „Siehst Du? Das ist die richtige Einstellung.“ „Ich bin froh, wenn ich in Neu Delhi bin. Hier ist es scheiße, weil man sich den ganzen Tag verstecken muß.“ „Das ist wahr. Mir wäre es auch lieber, in der Natur herumzulaufen, aber wir wissen ja Beide, wie schlecht Menschen sind.“ „Du sagst es. Aber diese Menschen wird es auch in der Hauptstadt geben.“ „Gewiß. Aber dort sind wir trotzdem sicherer. Vor allem wenn wir in der Gruppe zusammen bleiben.“ „Was hältst Du eigentlich von den sechs Anderen?“ „Die sind voll in Ordnung. Uns verbindet die Flucht. Wir haben alle schreckliche Erfahrungen gemacht und das hält zusammen. Hoffe ich zumindest.“ „Die Typen sind wirklich in Ordnung. Na gut, ich wäre schon gerne mit dem Lastwagen weiter gefahren, aber ...“ „Du hast doch angehalten.“ „Schon. Ich mußte einfach wissen, wer dieser Schatten ist. Sonst hätte ich mich nicht sicher gefühlt. Außerdem

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