Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

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kommen müssen. Einige gaben dafür die fehlenden englischen Sprachkenntnisse an, andere sagten gar nichts und liessen die Frage mit dem Gesicht der grössten Selbstverständlichkeit offen im Raume stehn und an der Wand runterrutschen. Da gab es Unebenheiten, die nachdenklich machten in der Vorstellung, dass solche Ärzte, die es sicher schwer hatten, mit mangelhaften Sachkenntnissen ans Krankenbett der Patienten treten, die es nicht leichter haben. Von der Zahl her wurde die Ärzteschaft am Hospital erheblich aufgestockt, von der Qualität her blieb allerdings manches zu wünschen übrig. Da mussten Wissenslöcher ebenso gestopft wie technische Ungeschicklichkeiten geglättet werden. Der Wille aber, und das war das Entscheidende, am Patienten zu arbeiten, der war gegeben, dass man da nicht negativ sehen sollte, wenn es am Anfang Dinge gab, die nicht gewusst, und es technische Probleme gab, die nicht gemeistert wurden. So hatte die Übergangsperiode viele Facetten, die beachtet werden mussten, weil sie einerseits den Weg in ein freies Namibia säumten und andererseits einen vor den Kopf schlugen, wenn man gewisse Begleitumstände nicht begreifen konnte wie das Übel mit der ständigen Stehlerei. Doch gab sich Dr. Ferdinand selbst zu, dass er das Bild mit der Pontonbrücke über den Sambesi mit den unter Wasser stehenden Flachkähnen nicht aus den Augen bekam.

      Es war an einem Donnerstag gegen ein Uhr mittags. Dr. Ferdinand fühlte sich durch einen fieberhaften Infekt geschwächt unf wollte statt Mittagessen im Speiseraum eine kurze Mittagsruhe in seiner Wohnstelle einlegen. Da klingelte das Telefon schon, als er sich die Sandalen in der Veranda abstreifte. Ein Verletzter war gebracht worden, dem eine Handgranate das rechte Bein abgerissen hatte und massiv aus dem Stumpf blutete. Er liess alles stehn und liegen, schlüpfte in die Sandalen zurück, ohne sie zuzuschnallen, und eilte mit dem Auto zum Hospital. Der Verletzte lag auf dem Tisch im kleinen Op-Raum des 'Outpatient departments' und schrie vor Schmerzen. Auf dem Boden hatte sich eine grosse Blutlache angesammelt. Dr. Nestor, der Superintendent, war blutverschmiert, der auf den Beinstumpf mit grossen Kompressen drückte, die blutdurchtränkt tropften. Der kleine Op war von Ärzten und Sehwestern gefüllt, in dem sich die Bullenhitze staute, dass man sich kaum bewegen und nur schwer atmen konnte. Die Begleitumstände waren die miesesten, die es gab, als Dr. Ferdinand die klitschnassen Kompressen übernahm, auf den Boden warf und neue aufdrückte, und Dr. Nestor dem Verletzten die Maske für die Narkose aufs Gesicht drückte. Es gab zu wenig Klemmen für die blutenden Gefässe. Zwei Schwestern rannten und brachten zwei verpackte Nierenschalen mit den wenigen Instrumenten. Sie öffneten sie in grösster Eile. So klemmte Dr. Ferdinand die grossen, dann die kleinen Gefässe am Beinstumpf ab, unterband sie, die grossen Gefässe doppelt, kürzte die heraushängenden Nervenschnüre weit zurück, schnitt das Verschmorte aus den herumhängenden Muskel- und Hautfetzen heraus, begradigte die Ränder nicht ohne Stufen, brach die spitzen Zacken vom Knochenstumpf weg, feilte ihn glatt und nähte über ihm die bizarren Lefzen des Weichteils zusammen.

      Der Beinstumpf war kurz und das Anwickeln des Verbandes schwierig, der mit dicken Pflastersteifen am Körper befestigt wurde. Es sah aus wie auf einem Schlachtfeld, als die Operation beendet war. Dr. Ferdinand war von oben bis unten mit Blut verschmiert. Er sah wie ein Schlächter, nicht aber wie ein Chirurg aus, dem das blutige Operieren ein Horror war. Während er versuchte, sich das Gröbste mit einem nassen Tuch aus Hemd und Hose zu wischen, erfuhr er, was passiert war. Es war gleich hinter dem Hospital auf dem Weg zum Postamt, als die Koevoet versuchte, in das Haus eines 'Architekten' zu dringen, in dem sie versteckte Swapokämpfer vermutete. Da wurde aus dem Haus geschossen, es traf einen Koevoetmann in den Arm. Ein anderer, der sich unter dem Fenster gebückt hielt, warf daraufhin mit über den Kopf erhobenem Arm eine Handgranate durchs Fenster in den Raum. Es gab eine gewaltige Explosion. Türen und Fenster zersplitterten, die Asbestplatten rissen aus der Decke, das Wellblechdach darüber wurde fünfzig Meter weiter auf die Strasse geschleudert. Die explodierende Granate riss dem Verletzten das rechte Bein ab. Zwei andere im Raum waren auf der Stelle tot. Es waren Begleitumstände, wie sie schlimmer nicht sein konnten, die den Weg des Übergangs in die Freiheit säumten.

      Dr. Ferdinand fuhr verdreckt zur Wohnstelle zurück, warf die blutigen Klamotten in die halbautomatische Waschmaschine, wo er sie im Wasser, das sonnenerhitzt aus der Leitung kam, liegen liess, stellte sich unter die Brause, um das Blut aus Gesicht und Haaren, von den Armen und Füssen zu waschen, rieb sich kräftig mit dem Handtuch trocken, zog sich frische Sachen an und ging zum Hospital zurück. Er kam verspätet in den Untersuchungsraum 4, um dem philippinischen Kollegen bei der Durchsicht der Patienten zu helfen, die sich auf den Bänken stauten. Auf den Schemel setzte sich der dreizehnjährige Junge, dem er vor einem Monat den rechten Oberarm und linken Unterarm abgeschnitten und die Wunden im Gesicht und am Körper versorgt hatte. Die Verletzungen trafen ihn, als er der Mutter bei der Feldarbeit half und da etwas aufhob, das in seinen Händen explodierte. Es war die Ausnahme, das wusste der Junge genauso gut wie Dr. Ferdinand, dass er da mit dem Leben davongekommen war. Die Weichteildecke über den Stümpfen war verheilt, doch das Handlose auf der einen Seite und das Armlose auf der andern Seite, das musste mit dem Leben ausgetragen werden, das die Explosion noch überlebt hatte. Der Junge war intelligent und einsichtig genug, um das mit seinem vernarbten Gesicht und dem angerissenen Ohr auf der linken Seite zu verstehen. Er stand auf, stellte sich links von seiner unglücklichen Mutter, der Dr. Ferdinand den Gesundheitspass überreichte, in den er die Schmerztabletten und das Datum für die nächste Nachuntersuchung eingetragen hatte.

      Während er die Tabletten und das Datum in den Pass eintrug, kamen ihm die Kinder in den Sinn, denen er die Arme und Beine abgeschnitten hatte, weil sie die hochgehende Mine überlebten. Er hatte diese Kinder nicht gezählt, doch waren es viele, vielleicht hundert, die das Hand-, Arm- und Beinlose aus demselben Grund mit ihrem Leben auszutragen hatten wie dieser Junge, der links neben seiner Mutter stand. Sie verliessen den Untersuchungsraum, indem ihm die Mutter die Pendeltür öffnete, offenhielt und hinter ihm wieder zuschob. Das Leben fragte eben nicht danach, ob einer noch zwei Hände, oder zumindest eine Hand hatte, um die Tür zu öffnen und wieder zu schliessen. Da waren die Hände anderer Menschen auf Lebenszeit gefordert.

      Die alte Frau auf dem Schemel hatte es mit der rechten Hüfte und beiden Knien. Die Röntgenbilder wiesen den Gelenkverschleiss deutlich aus. Da es sich um eine Patientin mit den leeren Händen handelte, die sich das Private einer Hüftprothese nicht leisten konnte, punktierte ihr Dr. Ferdinand die Ergüsse aus beiden Kniegelenken ab, trug die Tabletten gegen Entzündung und Schmerz in ihren abgegriffenen Gesundheitspass ein. Er erklärte ihr, dass sie damit leben müsse, weil da nichts mehr zu machen sei. Die alte Frau richtete sich an ihrem Stock hoch, nahm den Pass in die eine Hand und humpelte mit dem Stock in der andern Hand aus dem Untersuchungsraum, ohne ihren Kopf seitwärts zu drehen. Das machten ihr an diesem Nachmittag andere alte Frauen und Männer nach, die sich mit der Bemerkung eines Arztes geschlagen gaben, dass sie mit den verschlissenen Gelenken zu leben hätten, die ihnen schmerzten und sie bei der Verrichtung der notwendigsten Arbeiten behinderten. Auch sie drehten die alten Köpfe mit den zersorgten Gesichtern nicht mehr zur Seite, als sie den Untersuchungsraum enttäuscht verliessen und dem Arzt das Vertrauen entzogen, dem sie mehr zugetraut und mehr von ihm erwartet hatten. Es war das leere Los, wenn die Hände leer waren, in denen sich die Falten zwischen den Schwielen der Arbeit und Armut tief eingekerbt hatten.

      Auf den Schemel setzte sich ein Mann, der sich angeblich selbst durch die linke Hand geschossen hatte. Wie er das geschaftt hatte, konnte er nicht recht sagen, weil er es nicht sagen wollte. Das Röntgenbild zeigte den dritten und vierten Mittelhandknochen zertrümmert. Da ging er mit dem Mann zum kleinen Op-Raum, der mittlerweile gesäubert war, setzte ihm die örtliche Betäubung in die durchschossene Hand,, säuberte sie, schnitt die Ränder der Ausschusswunde aus und vernähte die Haut über der Hohlhand und dem Handrücken. Die Schwester gab ihm die Spritze gegen den Wundstarrkrampf, während ihm Hand und Handgelenk auf einer beugeseitig angelegten Gipsschiene ruhiggestellt wurde. Nun wurde auf der Trage ein junger Mann in den Untersuchungsraum gefahren, den Schwester Maria Gottfried vom katholischen Missionshospital in Oshikuku überwies, dem die Koevoet in den rechten Oberschenkel geschossen und den unteren Knochenschaft bis oberhalb der Gelenkknorren zerschossen hatte. Das würde es nicht ohne Beinverkürzung abgehen, so sagte es Dr. Ferdinand dem Mann, der mit der Operation einverstanden war, wenn er nur wieder laufen könne. Er wurde stationär aufgenommen und seine Name auf die Op-Liste gesetzt.

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