Der Weg nach Afrika - Teil4. Helmut Lauschke

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Der Weg nach Afrika - Teil4 - Helmut Lauschke

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geschwollen und der linke Unterarm gebrochen. Ihr Mann hatte sie verprügelt und mit einem Stock auf den Unterarm geschlagen. Das waren Dinge, was sich die Frauen hier gefallen liessen, besonders wenn sie Kinder hatten, was in den meisten Fällen zutraf, damit der Mann und Vater als Brotgeber die Familie nicht verliess und ganz im Stich liess, der dann mit einer andern Frau woanders zusammenlebte und sie auch gleich schwängerte. Das war ein Schicksal, das so viele Frauen und Mütter mit ihren Kindern ungerecht traf. Dr. Ferdinand ging mit dieser Frau in den Gipsraum, wo er sie auf die Liege legen liess, ihr die Betäubungsspritze in den Bruchspalt setzte, die Unterarmknochen richtete und den Arm in einem gepolstertem Rundgips ruhigstellte, der von der Hand bis zum Oberarm reichte. Er schrieb ihr die Schmerztabletten und das Datum der Nachuntersuchung in den Gesundheitspass, mit dem sie den Gipsraum verliess.

      Das neunjährige Mädchen auf dem Schemel war beim Wassertragen in eine Scherbe getreten. Es wickelte das umgebundene Tuch vom linken Fuss und hielt ihn Dr. Ferdinand entgegen. Unter der Schnittwunde steckte noch ein Scherbenstück, das er ihr im kleinen Op in örtlicher Betäubung entfernte und nach Säuberung der Fusssohle mit der braunen Lösung die Wunde vernähte. Die Schwester gab die Tetanusspritze, und das Mädchen sagte keinen Mucks.

      Der alte Mann wurde vom Sohn geführt, weil ihm der graue Star auf die Augen geschlagen war. Der Sohn schob ihm den Schemel unter, und der Alte legte die rechte Hand mit dem gebrochenen Handgelenk auf den Tisch. Da ging es wieder in den Gipsraum, wo dem Alten das Gelenk gerichtet und der Unterarm eingegipst wurde. Der Sohn fasste den Vater am Arm und hielt den Pass in der anderen Hand, als sie den Gipsraum verliessen und zur Theke im grossen Wartesaal gingen, wo ihnen die Schwester das Tütchen mit den Schmerztabletten aushändigen würde.

      Die Mutter brachte ihr nun viereinhalbjähriges Töchterchen zur Nachuntersuchung, dem er, als es drei Jahre alt war, den langen, rechten Daumen verkürzte, aus einem dreigliedrigen Daumen den zweigliedrigen machte. Die Mutter war glücklich, und das Mädchen lächelte Dr. Ferdinand an, dass er es fertigbrachte, einen Daumen menschengerecht zu machen. Das Mädchen nahm den Daumen in volle Funktion und zeigte, wie geschickt es den Kugelschreiber von Dr. Ferdinand zwischen Daumen und Zeigefinger halten konnte. Beim Herausgehen drehten Mutter und Töchterchen vor der Tür ihre Köpfe noch einmal zurück, um mit den Augen dem Arzt für seine Arbeit zu danken, wobei ihm das Töchterchen noch einmal zulächelte.

      Auch kam der alte Mann, dem er vor über einem Jahr das geschwürig zerfallene Hautkarzinom aus dem rechten Oberschenkel geschnitten und den grossen Hautdefekt mit einem freien Transplantat vom linken Oberschenkel gedeckt hatte. Er war zufrieden und brachte als Dank einen selbst gefertigten Krückstock mit ausgewirktem Knauf, den er Dr. Ferdinand wortlos überreichte. Die grossen Gesten der einfachen Menschen ergriffen ihn jedes Mal aufs Neue. Er dankte dem Alten und hielt den Stock in der Hand, als der Patient mit dem andern Stock den Untersuchungsraum verliess und hinter der Tür verschwand. Er legte den Stock auf die linke Seite des Tisches und blickte jedesmal auf ihn, wenn er eine Untersuchung abgeschlossen hatte oder aus dem Gipsraum wieder zurückkam. Da erinnerte er sich an den Gitarrenbauer aus dem Taunus, der ihm eine Gitarre brachte, nachdem er seinen gebrochenen Oberschenkel verplattet hatte. Dieser Patient war glücklich, dass er bald danach so gehen konnte, als sei da nichts gebrochen gewesen. Menschen, die sich fürs Dankesagen noch etwas Persönliches einfallen liessen, gab es hier wie dort.

      Die Dämmerung war angebrochen, als Dr. Ferdinand sich auf den Rückweg zur Wohnstelle machte. Er hatte noch kurz nach den Patienten geschaut, die am Tage operiert wurden, und einiges auf den Verlaufsbögen nachgetragen. Auf dem Vorplatz blickte er zur Rezeption zurück, wo sich nun keine Menschen mehr mit ausgelegten Pappen, Zeitungspapier, Decken und Tüchern auf dem Betonboden für die Nacht einrichteten, da mit dem Kommen der UNTAG die nächtliche Sperrstunde aufgehoben war, es auch keine Koevoetkontrollen in den Krankensälen und auf dem Hospitalgelände mehr gab. Er ging den kürzeren Weg zwischen dem ausgerollten Stacheldraht und den stehenden Resten des zerfledderten Lattenzauns entlang, an den fünf, hochgestelzten Blockhäusern vorbei, die weiterhin leerstanden, an denen einige Fenster eingeschlagen waren. Er hob die Füsse über die abgebrochenen Baumäste, die weiterhin quer über dem Weg lagen, um sich nicht die Zehen an ihnen aufzureissen, wie er es in der Dunkelheit einige Male tat, bevor die UNTAG kam. Am Dorfeingang passierte er das verwaiste Kontrollhäuschen neben dem das Warnschild 'For Whites Only', obwohl die Schwarzen den freien Zugang zum Dorf hatten und sich ungebührlich den freien Zugang zu den leerstehenden Häusern durch Aufbrechen der Türen und Einschlagen der Fenster nahmen, um sie von innen bis aufs Mauerwerk auszuräumen. Dabei blieben auch die bewohnten Häuser nicht verschont, wenn die Bewohner bei der Arbeit waren oder zu tief schliefen. Es waren jene neuen, negativen Begleitumstände, die mit dem Übergang einsetzten, eigentlich nicht erwartet wurden und im Ausmass, wie da geplündert und ausgeräumt wurde, schockierten. Er streifte sich die Sandalen in der Veranda ab, durchging den Wohnraum und das Schlafzimmer, ob da noch alles so stand, wie er es verlassen hatte, bevor er sich das Gefühl zu eigen machte, dass es sein 'zu Hause' war. Er setzte den verbeulten Wasserkessel auf die Gasflamme, goss das kochende Wasser über den Teebeutel vom 'rooibos'-Geschmack in die Tasse, rührte zwei Teelöffel Zucker ein und setzte sich mit der Tasse auf die Stufe vor der Veranda. Dazu zündete er sich eine Zigarette an und blickte in den aufkommenden Sternenhimmel, der ihm allabendlich zum Finden der Ruhe verhalf:

       Sterne, Sterne, kommt herunter, kommt herunter, seht's euch an, da gibt's an allen Ecken was zu sehn, ich zeig es euch, wenn ihr nur kommt.

       Sterne, Sterne, ihr geht weiter, wollt ihr an den Ecken es nicht sehn, was hier im Dunkeln vor sich geht? Ihr würdet es nicht glauben!

       Sterne, Sterne, dann macht doch, was ihr wollt, euer Funkeln, das genügt hier nicht, hier wird geklaut, dass die Fetzen fliegen, die Fenster halten's nicht mehr aus, und die Türen krachen. Sterne, Sterne!

       Freiheit, die ich meine, gegen Freiheit, wie sie's verstehn.

      Vor dem 'International Guesthouse' war es totenstill. Auch das hing mit dem Übergang zusammen. Da wollte man sich verdecken und nicht das Geld noch falsch vertun. Er setzte sich ins Wohnzimmer zurück, dachte nach, wie schwer es der Übergang mit der Freiheit oder die Freiheit mit dem Übergang hat, wenn schon im Normalgang die Freiheit nicht ohne Probleme ist. Er knipste das Licht an und blätterte im ‘Das Prinzip Verantwortung’ (Hans Jonas, Suhrkamp Taschenbuch 1085). Da geht es auf Seite 392/93 "Um die Hütung des >Ebenbildes<": "Auch Ehrfurcht und Schaudern sind wieder zu lernen, dass sie uns vor Irrwegen unserer Macht schützen (zum Beispiel vor Experimenten mit der menschlichen Konstitution). Das Paradoxe unserer Lage besteht darin, dass wir die verlorene Ehrfurcht vom Schaudern, das Positive vom vorgestellten Negativen zurückgewinnen müssen: die Ehrfurcht für das, was der Mensch war und ist, aus dem Zurückschaudern vor dem, was er werden könnte und uns als diese Möglichkeit aus der vorgedachten Zukunft anstarrt. Die Ehrfurcht allein, indem sie uns ein >Heiliges<, das heisst unter keinen Umständen zu Verletzendes enthüllt (und das ist auch ohne positive Religion dem Auge erscheinbar) wird uns auch davor schützen, um der Zukunft willen die Gegenwart zu schänden, jene um den Preis dieser kaufen zu wollen. So wenig wie die Hoffnung darf auch die Furcht dazu verführen, den eigentlichen Zweck – das Gedeihen des Menschen in unverkümmerter Menschlichkeit – auf später zu verschieben und inzwischen eben diesen Zweck durch die Mittel zuschanden zu machen. Solches würden Mittel tun, die den Menschen ihrer eigenen Zeit nicht respektieren. Ein degradiertes Erbe wird die Erben mit degradieren. Die Hütung des Erbes in seinem >ebenbildlichen< Ansinnen, also negativ auch Behütung vor Degradation, ist Sache jeden Augenblicks; keine Pause darin zu verstatten die beste Garantie der Dauer: sie ist, wenn nicht die Zusicherung, gewiss die Vorbedingung auch künftiger Integrität des >Ebenbildes<. Seine Integrität aber ist nichts anderes als das Offensein für den immer ungeheuerlichen und zu Demut stimmenden Anspruch an seinen immer unzulänglichen Träger. Dies durch die Fährnisse der Zeiten, ja, gegen das eigene Tun des Menschen heil zu erhalten, ist nicht ein utopisches, doch ein garnicht so bescheidenes Ziel der Verantwortung für die Zukunft des Menschen." (aus: "Die negative Folie des Traumes, oder von

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