Wenn die Seelen Trauer tragen. Rose Hardt

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Wenn die Seelen Trauer tragen - Rose Hardt

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sie noch einen Augenblick in dieser Position, bevor es ihr möglich war zu antworten. „Nein, nein“, verteidigte sie sich dann mit abwehrenden Händen, wobei sie nun direkt in das fragende Gesicht des Mannes blickte, der noch vor wenigen Minuten am Nachbartisch saß und seine Ravioli schnabulierte. Im nächsten Moment kehrte die Erinnerung an die Möwe zurück, und der Gedanke daran brachte Nora zum Schmunzeln.

      „Was ist so witzig“?, fragte er sichtlich erstaunt, woraufhin er unaufgefordert seinen durchtrainierten Körper auf die Sitzbank, gleich neben ihr, schwang. Sein geschäftsmäßiger Blick war zwischenzeitlich in ein spitzbübisches Lächeln gewechselt, seine sonnenverwöhnte Haut ließ das Blau seiner Augen noch intensiver erscheinen, der kurze blonde Haarschopf war glatt nach hinten gekämmt, und kleinere Fältchen um Mund- und Augenpartien wirkten äußerst sympathisch – wie sie bei genauerem Hinsehen feststellen konnte. Seine Augen huschten in rasanter Geschwindigkeit über ihr Gesicht, schienen es systematisch erfassen zu wollen, offensichtlich zufrieden mit dem was er sah, formte sich sein Mund zu einem breiten Grinsen, sodass strahlendweiße Zähne zum Mittelpunkt seines Gesichtes wurden.

      Nora sah ihn verwundert an, und das erste was ihr durch den Kopf ging war: Will auch er nur seine Gier stillen? Wird er dich gleich mit Haut und Haaren verschlingen, sowie die gefräßige Möwe seine Ravioli? Sofort schaffte sie die gebührende Distanz zwischen ihnen und rutschte auf der Sitzbank etwas auf Abstand – was er nicht nur bemerkte, sondern sogleich auch kommentierte. „Oh, Entschuldigung, Missus! Ich vergaß mich Ihnen vorzustellen. Mein Name ist Weinberg, Clemens Weinberg. Na, haben Sie nun von meinem Tellerchen gegessen oder nicht?“, gleichzeitig schweifte sein Blick über die menschenleere Terrasse.

      Sie folgte seinem Blick, fühlte sich schuldig und geriet sogleich in Erklärungsnot. „Nein, nein“, verteidigte sie sich erneut, „es war nur eine hungrige Möwe … die … die“, stotterte sie, „die wohl die Gelegenheit ihrer Abwesenheit nutzte!“

      Mit großen Augen und halbgeöffnetem Mund sah er sie fragend an.

      Im gleichen Augenblick wurde ihr bewusst, wie unglaubwürdig ihre Geschichte klingen musste. Aus Verlegenheit hielt sie ihm die Hand zum Gruß entgegen, und sagte: „Ich bin … ich meine, mein Name ist Nora Goldmund“, leichte Röte überzog nun ihr Gesicht.

      „Sieh an, sieh an, das Goldmündchen war hungrig und glaubt nun, es könne mir die Geschichte einer gierigen Möwe auftischen!“, bemerkte er, wobei er ihre Hand zwischen seine Hände nahm und ihr ein verführerisches Lächeln schenkte.

      „Nein, nein, ich schwöre, es war eine Möwe die Ihren Teller leerte!“ Wieso muss ich mich eigentlich verteidigen, ging es ihr plötzlich durch den Kopf. Was will er von dir? Und überhaupt war ihr jetzt diese Anmache zu blöde – und einer ihm völlig fremden Frau gleich einen Kosenamen zu geben fand sie mehr als nur fragwürdig – wenn nicht sogar respektlos, ja, unverschämt.

      Zwischenzeitlich kam die Kellnerin mit ihrer Bestellung. Mit einem freundlichen Lächeln sagte sie: „Ihre Bestellung, Missus Goldmund: Ravioli, auf Rucola und geriebenem Parmesankäse. Bon Appetit.“

      „Sieh an, da ist ja mein Essen wieder“, stellte er mit vorgespieltem Erstaunen fest. „Gebens Sie’s zu“, sagte er augenzwinkernd, „Sie hatten solchen Hunger, dass Sie meine Portion aufgegessen haben, und in der Hoffnung ich würde es nicht bemerken, bestellten Sie sofort wieder eine neue …“ Mit einem herausfordernden Lächeln stützte er lässig seinen Arm auf die Tischplatte, vergrub das Kinn in seiner Handinnenfläche und sah sie dabei herausfordernd an.

      Nora war völlig perplex. Eigentlich sollte sie jetzt aufstehen und gehen, doch dann räusperte sie sich, schob den Teller mit einem kleinen Schubs zu ihm hinüber und sagte: „Hier … für Sie … Guten Appetit!“

      „Wirklich? Sie wollen mir ihr Essen überlassen?“, fragte er mit vorgespielter Unschuldsmiene, dabei spitzte er seinen Mund wie ein Kind, das nicht wusste was es tun sollte.

      „Ja, mir ist der Appetit irgendwie vergangen“, im gleichen Moment, und bei seinem Anblick, musste sie feststellen, dass er sie amüsierte. Ein Gefühl, dass sogleich ihre innere Anspannung ein wenig auflockerte – auch das seit Tagen gefestigte Bild des Toten rückte in den Hintergrund.

      Mit einem Lächeln schob er den Teller wieder zurück, „nein, vielen Dank“, sagte er augenzwinkernd, „aber ich habe hinter der Glastür den großen weißen Vogel gesehen, der sich in unverschämter Weise über mein Essen hermachte. Eigentlich hätte ich es mir denken können – hier auf Jersey heißt es: Lass nie etwas Essbares unbeaufsichtigt im Freien stehen, denn eine Möwe ist immer in deiner Nähe die alles beobachtet.“

      Erneut schob sie den Teller wieder zu ihm hin, „hier … bitte“, sagte sie, „Sie sind doch sicherlich in Eile. Sie dürfen gerne essen.“

      Große blaue Augen sahen sie verzückt an. „Nur, wenn Sie mir versprechen mich heute Abend zum Dinner zu begleiten, dann nehme ich Ihr Angebot sehr gerne an?“

      Einen Moment lag ein nachdenkliches Schweigen zwischen ihnen.

      „Bitte“, flüsterte er in einem charmanten Ton, „sagen wir gegen neunzehn Uhr – hier im Hotel. In der Champagner Lounge! Ja? Und danach reserviere ich einen Tisch im Restaurant.“ – In seiner Mimik lag nun die ganze Überzeugungskraft eines Verführers.

      Unschlüssig sah sie ihn an, im Schnelldurchgang ging ihr das dramatische Ereignis, sowie die Aufregungen der letzten Tage nochmals durch Kopf. Eigentlich hatte sie auf diese Art von Verabredungen so gar keine Lust, und außerdem stand ihr der Sinn nicht nach einem Flirt – oder was auch immer er von ihr wollte.

      Ihre Unsicherheit schien er als Herausforderung zu interpretieren. Er neigte den Kopf etwas zu Seite und legte seinen ganzen Charme in sein Lächeln.

      Einen Moment haderte sie noch. Sollte sie? Vielleicht würde eine Abwechslung ihr guttun, ja, sie auf andere Gedanken bringen? „Okay“, antwortete sie schließlich, „aber nur wenn Sie jetzt essen!“

      Im gleichen Moment schob er mit dem Messer eine Ravioli auf die Gabel und ließ sie, mit einem Augenzwinkern, in seinem Mund verschwinden. Danach aß er in gleicher Manier weiter, als ob es keine Unterbrechung gegeben hätte.

      „Sie müssen wissen, ich habe heute noch nichts gegessen – was soll ich machen“, entschuldigte er sich achselzuckend, danach schob er sich hektisch eine Gabel nach der anderen in den Mund. „Jedenfalls habe ich in einer halben Stunde ein wichtiges Meeting … und Geschäfte, Geschäfte mache ich niemals mit leerem Magen“, sagte er kauend. Nach einer Weile hatte er aufgegessen, und noch während er sich den Mund mit einer Serviette abtupfte, verlangte er nach der Rechnung. Beim Abschied sagte er: „Dann bis heute Abend, Goldmündchen“, er kam noch etwas näher an sie heran, so nahe, dass sie seinen Atem in ihrem Gesicht spüren konnte, augenzwinkernd flüsterte er: „ich habe eine Penthousewohnung gleich neben dem Viktoriapark, sie verfügt nicht nur über eine herrliche Aussicht, sondern auch über ein supergroßes King-Size-Bett! … Also bis dann.“ Dann griff er nach seinem Aktenkoffer und schlängelte sich mit seinem athletischen Körper geschickt zwischen der Bestuhlung der Terrasse hindurch. Auf der Türschwelle zur Hotellobby wandte er sich nochmals, und mit einem bestätigenden Lächeln, zu ihr um.

      Sprachlos sah sie ihm nach. Was war das denn?, schoss es ihr durch den Kopf. Für wen oder was hält er sie? Für eine der sogenannten Wochenendfrauen? Frauen, die hier im Hotel und nur an den Wochenenden zu finden waren? Frauen, die auf kurze Abenteuer aus waren? Nein, das hätte sie jetzt nicht von ihm erwartet. Das war also sein Bestreben! Er wollte nur mit ihr in die Kiste! Jetzt ärgerte sie sich, dass sie auf seine blöde Anmache reingefallen war. „Na, da kannst du

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