...ach, dieses ewige Sehnen. Maxi Hill
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Читать онлайн книгу ...ach, dieses ewige Sehnen - Maxi Hill страница 9
»Ich bin Paul«, sagte er, während sein Kopf mitsamt der Schulter eine leichte Verbeugung andeutete. »Ich wohne hier… ich meine, etwas weiter oben… auf dem Hof meiner Eltern.« Es schien abrupt, wie er seine Vorstellung beendete, aber Maria liebte es, wenn ein Mann höflich war. Und dass sich einer erst vorstellte und erst dann sein Recht einforderte, hatte sie das erste Mal nur von Hannes erlebt, und das blieb so bis zuletzt.
Irgendetwas zog sie vom Stuhl. Er hob seine Arme zur Tanzposition und sie legte sich willenlos hinein und schwebte mit ihm davon, als sei sie von einem Schluck Pfefferminzlikör bereits berauscht. Bei seinen vielen Drehungen, die für seine kräftige Statur federleicht ausfielen, jedenfalls im Gegensatz zu ihrem ersten Tänzer, schaute sie immer wieder zur kleinen Bühne, um ihren Lieblings-Musiker nicht aus den Augen zu verlieren.
»Der Saxophonspieler gefällt dir wohl?«
Aha, dachte sie. So heißt das Instrument also. Dann lachte sie: »Nicht so sehr der Spieler wie das Instrument«, erwiderte sie, obwohl sie aus unerklärlichem Grund nach ein paar Drehungen bereits außer Atem war.
»Wer bist du? Woher kommst du?«
»Ich bin kein Wer«, versuchte sie seine Nähe durch innere Distanz zu vergrößern. »Und ich bin wohnhaft, wo du noch nie warst.«
»Wohnhaft? Ist dein Zuhause auch wie die Haftanstalt?«
Warum sollte sie darauf etwas erwidern. Ihr Zuhause ist keine Haftanstalt, obwohl sie das Leben irgendwie ebenso einengte. Weil sie nichts sagte, zog er sie kräftig an sich heran: » Dann wird es Zeit, dass dich einer aufmuntert.«
Als sie seine starken Arme spürte, wurde sie ganz leicht, ganz biegsam, als sei ihre Zeit mit Hannes zurückgekommen.
»Ich heiße Maria«, sagte sie zögernd, aber noch ehe sie von ihren Kindern oder ihrem Schicksal reden konnte, schob der Mann, der Paul hieß, ihren Oberkörper wieder etwas von sich, schaute durchdringend in ihr Gesicht, lächelte aber süßsäuerlich und sagte: »Maria? Hoffentlich bist du keine Heilige.«
Sie wusste mal wieder nichts zu erwidern. Heilig war sie gottlob nicht, aber das hieß ja nicht, dass sie Gott verdammte, obwohl es nach dieser elenden Zeit nun wirklich einen Grund dafür gegeben hätte.
Ab jetzt tanzte dieser Paul immer wieder mit ihr, blieb gleich an ihrem Tisch sitzen, weil Lotte noch nicht wieder aufgetaucht war. Maria fühlte sich von dem starken Mann wie in den Himmel gehoben. Früher mit Hannes hatten sie oft getanzt, und sie waren sehr gut aufeinander eingespielt, was sie bei diesem Mann noch vermisste, logisch, alles brauchte seine Zeit. Bei seinen wilden Drehungen, wenn er sie über die Spiegelfläche wirbelte, dass ihr Rock zu schweben begann, konnte sie seinen großen Schritten nicht gut folgen und ihre Füße stießen bisweilen zusammen. Jedes Mal entschuldigte sie sich bei ihm, obwohl ja nicht nur sie die Schuldige war, wenn der Rhythmus nicht stimmte. Ihm fehlte die Einfühlung auf ihren Körper, wie ihr das Gefühl für seine Größe noch fehlte. Auch wenn sein Blick mehr zum Spiegel ging als zu ihr, fühlte sie seinen festen Griff, als sei das einer, der sie sicher durchs Leben geleitete. Dennoch stießen ihre Schuhe mal wieder gegeneinander, so ungeübt sie nach den Jahren der Entbehrung von allem Lustvollen war.
»Es tut mir leid…«, rutschte wenigstens ihr heraus. Er sah keinen Grund, sich zu entschuldigen. Im Gegenteil.
»Wenn du dich noch einmal entschuldigst, bist du mir diese Nacht schuldig«, raunte er ihr ins Ohr. »Du ahnst nicht einmal, wie sie dir gefallen könnte.«
Sie lachte, und das Lachen hatte auf einmal einen himmlischen Klang. Als die Musik wieder aufspielte und Maria dem fremden Mann in die Augen schaute, fiel ihr ein Satz ein, den Hannes einmal zitierte und der von einem Nietzsche stammen soll. Was gedacht werden kann, kann auch ausgeführt werden. Aber diese Weisheit des ihr unbekannten Nietzsche lag für Maria gefühlt in großer Ferne.
Sie tanzten noch eine Stunde zusammen und tranken miteinander. Paul war nicht geizig. Sie spürte die Kraft eines Bauernburschen in seinen Armen und in seinem Leib, die nicht einmal Hannes hatte, und der war sehr sportlich gewesen. Und sie spürte das watteweiche in ihm, das er bekam, wenn er sagte: »Augen hast du, die könnten einen schon um den Verstand bringen.«
Dass er dabei mehr auf ihre Bluse als in die Augen schaute, wunderte sie, erklärte es sich aber mit einer gewissen Scheu eines jungen, unerfahrenen Mannes. Dieses Bild verflüchtigte sich schnell, wenn Paul sie kraftstrotzend und zielsicher über das Parkett wirbelte. Ob ihrer Fehleinschätzung kam ein sonderbares Gefühl in sie, das lauwarme Glück flüchtiger Paare, das sie zu verdrängen suchte. Was sollten jetzt ihre tiefen Gedanken? Es gab viel mehr Frauen als Männer, hübsche und weniger hübsche, jüngere als sie und ältere. Manch eine ließ diesen Paul nicht aus den Augen, andere schickten wütende Blicke zu Maria. Er aber wich nicht von ihrer Seite. Maria fühlte sich nicht nur innerlich hochgehoben, sie war zum ersten Mal so voller Mut und fühlte sich so wichtig, dass sie nur noch singen wollte. Die Kapelle spielte Lilli Marlene, und Maria sang mit. »Vor der Kaserne vor dem großen Tor stand eine Laterne und steht sie noch davor. So wolln wir uns da wiedersehen, bei der Laterne wollen wir stehen, wie einst Lilli Marlen. Unsre beiden Schatten sah‘n wie einer aus, dass wir uns so lieb hatten, das sah man gleich daraus. Und alle Leute sollen sehen, wenn wir bei der Laterne stehen, wie einst Lilli Marlen…
Die beiden Schatten hatten es Paul angetan. Wenn sie in sein Gesicht sah, schien es ihr, als sei er sehr zufrieden, wie einer, der etwas genau dort haben wollte, wo es momentan war.
»Wollen wir nicht woanders hin gehen, wo unsere Schatten… ich meine, wo man ungestört …reden kann?«
Das klang zwar nicht sonderlich überlegen aber immerhin vernünftig. Vermutlich wollte er sich der anderen Frauen erwehren, die ihn belauerten. Auch wenn ihr die Musik ausnehmend gut gefiel, zu reden war immer erstrebenswert. Zudem musste sie nicht mehr ständig darauf achten, dass sie von Paul nicht ausschließlich auf der Spiegelfläche herumgewirbelt wurde, bis ihr Rock sich aufblähte und er dabei seine Blicke nicht vom Spiegelboden ließ. Das war das Einzige, was sie jetzt nicht länger brauchte. Zumal man bei der lauten Musik nicht einmal richtig miteinander reden konnte. Das Reden war die Seite des Lebens, die sich von ihr verabschiedet hatte, das wahre Reden jedenfalls. Nicht der Plausch mit den Nachbarn, nicht der mit den Kindern. Das Reden, wie sie es mit Hannes so gut konnte… Sie hob mit beiden Händen ihr welliges Haar an und ließ es langsam wieder in den Nacken fallen. Jetzt bloß nicht an Hannes denken, befahl sie sich. Jetzt lag ihr am Herzen, etwas von Paul zu erfahren, wie er lebte, wie er dachte, was er plante. Also mussten sie reden. Nicht mehr ganz so widerwillig verließ sie den Saal und ging mit ihm mit. Draußen wird sie von sich selbst sagen, sie folge nur dem Wunsch, es Lotte gleichzutun, die sich offenbar irgendwo anders als auf der Tanzfläche prächtig amüsierte. Wann hatte sie sich zuletzt einmal amüsiert?
Es war stockdunkle Nacht. Nicht eine helle Laterne gab es weit und breit, aber Paul führte sie sicher über die Straße und nach ein paar Schritten durch ein Tor in einen offenbar großen Hof. Die Fenster vom Wohnhaus waren alle dunkel. Also schliefen die Leute, die darin wohnten.
»Hier wohnen wir«, flüsterte er wie ein Kind, das sich heimlich aus dem Bettchen schlich. »Meine Eltern und ich. Wir haben viel Land und einen Stall voller Vieh. «
Paul öffnete eine hölzerne Tür. Sie quietschte in den Angeln, aber er hatte offenbar den Bogen raus, das Geräusch zu verhindern.
»Wo sind wir hier…?«
»Bei