Das ausgewanderte Kreuz. Denise Remisberger

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Das ausgewanderte Kreuz - Denise Remisberger

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      Pfarrer Jacques setzte sich zu den Herren und plauderte fröhlich, als ob er hier nur Urlaub machen würde.

      6

      «Ach, Pfarrer Selri», echauffierte sich Sabine Pfau, das Gesangsbüchlein fest zwischen ihren violett lackierten Krallen. «Wo bleibt denn unser lieber und heiss verehrter Pfarrer Jacques?»

      «Wohl eher heiss begehrt, in deinem Fall, liebe Sabine», giftete eine korpulente Dame dazwischen, in braunem, langem Wollkleid mit sowohl in Farbe als auch in Struktur dazu passendem Schal.

      «Liebes Mariechen», lächelte Sabine süffisant in Richtung Marie Krug, «wenn ich schon so lange verheiratet wäre wie du, und immer mit demselben Mann, würde ich auch alles, was nur ansatzweise an Anziehung erinnert, überinterpretieren.»

      «Anziehung?», giftete die rot angelaufene Marie zurück, «du glaubst doch wohl nicht im Ernst, zwischen dir und unserem Pfarrer Jacques gäbe es auch nur den Hauch einer Anziehung.»

      «Meine Damen, bitte, beruhigen Sie sich», tupfte sich Pfarrer Selri, immer unfreiwilligerer Ersatz für die Leitung der evangelischen Frauensinggruppe Kreis Fünf, mit einer Ecke seines Beffchens den Schweiss von der Stirn. «Pfarrer Jacques kommt bald wieder. Spätestens im Februar, meine Damen.»

      «Was, so lange noch?», kreischte Sabine Pfau jetzt hemmungslos.

      «Ja, das ist wirklich eine Ewigkeit», stimmte ihr sogar Marie Krug zu.

      7

      Renate arbeitete im «Wollkorb», einem Geschäft, das Handarbeitsartikel verkaufte, während Mirabelle, ihre beste Freundin, Geschichte an der Universität Zürich studierte.

      Mirabelle sass zuhause, machte sich Notizen zu Bismarcks Bündnispolitik und ass gleichzeitig ein mit Tofu und Salat belegtes Brötchen.

      Im «Wollkorb» war heute viel los.

      «Ich brauche dringend ein Garnknäuel», fuchtelte eine kleine runde Frau in dunkelblauem Jackenkleid vor Renates Gesicht herum.

      «Welche Farbe und welche Dicke?»

      «Egal, einfach Garn.»

      «Aber …»

      «Nix aber», eilte es der Dame, die noch ganz ausser Atem war.

      «Wofür brauchen Sie denn das Garn?»

      «Für morgen.»

      «Ja, aber, um was damit zu tun?»

      «Na, um ein Geschenkknäuel für den Strumpf der Befana zu wickeln.»

      «Welcher Befana?»

      «Es gibt doch nur eine!»

      «Und was bewirkt die Eine?»

      «Viel, sehr viel. Sie bringt den Kindern, beziehungsweise in meinem Fall der Enkelin, Geschenke. Wissen Sie, ich befestige lauter kleine Sachen wie Bonbons in buntem Papier, Schokoladentäfelchen in glänzendem Papier, ein goldenes Armkettchen mit Sternen und zwei dazu passende Ohrringe an dem Garn, indem ich es abwickle, alles in den Faden einbinde und das Knäuel wieder aufwickle, sodass die Geschenke im Garnknäuel versteckt sind, welches Graziella, meine Enkelin, dann, eins nach dem andern, wieder abwickeln kann.»

      «Dann nehmen wir ein goldfarbenes, sehr dickes Garn, schön strapazierfähig», folgerte Renate und holte es aus einer tiefen Schublade hervor.

      «Ja, das ist genau das Richtige», strahlte die Grossmutter und hastete schnell nach Hause, um ihre Wickelarbeit zu beginnen.

      8

      Um sieben Uhr abends trafen sich Mirabelle und Renate in der «Safari-Bar» auf ein Bier mit Potz, der seinen Kollegen Pascal mitbrachte. Beide waren als Tontechniker beim Schweizer Fernsehen angestellt.

      «Mirabelle, was für eine schöne Kette du an deiner Jacke trägst», meinte Pascal euphorisch.

      Mirabelle verdrehte die Augen: «Pascal, diese Kette hast du schon hundertmal gesehen.»

      «Ach ja? Weisst du, ich finde sie immer wieder, sozusagen von Neuem, begehrenswert, äh, ich meine anziehend, also, ich wollte sagen, toll.»

      «Danke, Pascal, danke», atmete Mirabelle huldvoll aus, während Renate die Hand vor den Mund hielt, um ihr Gegrinse zu verstecken und Potz nicht wirklich verstand, worum es hier gerade ging. Er hatte seit Jahren eine feste Freundin. Derlei Liebesbekundungen wie eben kannte er nicht. Er war leidenschaftslos versorgt, und das würde auch so bleiben.

      9

      «An der Adria lebt es sich eigentlich angenehm», dachte Pfarrer Jacques gerade, «immer vorausgesetzt, ich würde mit diesem sperrigen Fahrrad hier klarkommen.»

      Diesen Morgen, nach mehr als einer Woche so tun, als ob er ein ganz normaler Campinggast wäre, hatte Jacques, nach langem Suchen, ein Fahrradgeschäft gefunden und ein Velo gemietet.

      Das Ding stammte aus früheren Jahrzehnten, war gespickt mit halbrostigen Teilchen und verursachte aufgrund einer fehlenden Federung einen Heidenlärm. Ausserdem war es etwas zu klein geraten für einen grossen Mann, wie Pfarrer Jacques einer war.

      Nachdem sich sein Talar in den Speichen verfangen und er sich, stehenden Fusses, aus diesem herausgewunden hatte, um ihn anschliessend aus Speichen und öliger Kette zu zerren, hatte sich der Geistliche dazu entschieden, schwarze Röhrenjeans und einen dicken Pullover anzuziehen.

      Nun, kurz vor zwölf Uhr mittags, radelte der seiner Amtstracht beraubte notorische Dieb einen Feldweg entlang, der mehr Steine barg als sonst was.

      «Sie werden ja richtig durchgeschüttelt», rief ihm eine hübsche Frau in einem figurbetonenden Kleid auf Italienisch nach, spielte mit ihren schwarzen langen Locken und grinste.

      Jacques drehte sich nach ihr um, während er weiterfuhr und landete direkt in einem Stück Drahtzaun am Wegesrand, sodass er hinfiel, die Hände in den Zaun geklammert, die Füsse im Fahrrad verkeilt.

      «Das tut mir Leid», beteuerte die Frau, die herangeeilt kam und dem gut aussehenden blonden Mann in Jeans und Pullover half, sich aus seiner kritischen Lage zu befreien.

      «Wollen Sie vielleicht zum Essen bleiben oder lieber ein Glas Wein trinken?»

      «Ein Glas Wein genügt, danke, ich muss bald weiter.»

      Sämtlichen Fragen der Einheimischen wich Pfarrer Jacques geschickt aus, genoss das Prickeln trotzdem, weil er halt so war, wie er war, und holperte ein Stündchen später, leicht angetrunken, weiter in Richtung unscheinbare Kirche.

      Der Pfarrer legte sein Fahrrad ins kurze Gras, umrundete die kleine Kirche zu Fuss und trat schliesslich ins Halbdunkel ein.

      Da sich niemand in dem Gebäude befand, konnte er sich genau umsehen.

      Das

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