Der Mörder gibt ein Rätsel auf. Rainer Ballnus

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Der Mörder gibt ein Rätsel auf - Rainer Ballnus

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Depression so zu begegnen, dass sie ohne eine stationäre Therapie aus den vielen, vielen Tiefs immer wieder herausfinden konnte? Und wie lange hatte seine Frau selbst noch die Kraft dazu? Seine Gedanken wurden abrupt durch das Klingeln seines Handys in der Freisprechanlage unterbrochen. Auf dem Display war zu lesen: „Werner Hansen“. Werner war sein Vertreter, ein Kollege, auf den er sich hundertprozentig verlassen konnte. Wenn er sich meldete, dann hatte das seinen Grund.

      „Na, Werner, kommt jetzt der Sturm, auf den wir so lange gewartet haben?“

      „Glaub’ nicht, Jörg, und ich bin mir auch nicht sicher, ob du das wissen musst. Ich weiß ja, dass Karin dich…“

      „Stopp, alter Junge! Was hatten wir abgemacht? Wenn es knallt, dann…“

      „Na ja, geknallt hat es eigentlich in unserem Sinne gar nicht, es ist eher etwas zum Schmunzeln. Und ich denke, du solltest es dir zumindest mal anhören“, unterbrach ihn sein Vertreter.

      „Na, dann schieß mal los, ich bin ganz Ohr!“

      Der Arbeitslose zündete sich eine Zigarette an. Er saß in der Schrottkiste seines Kumpels auf dem Beifahrersitz, schwitzte und hielt ein Rätselheft auf seinen Knien. Der Innenraum dieser Rostlaube strotzte vor Dreck und das widerte ihn an. Außerdem stank dieser Mensch aus allen ‚Knopflöchern’. Doch obwohl er sich mit solchen Typen im Allgemeinen nicht abgab, konnte er im Augenblick nicht auf ihn verzichten. Der leidenschaftliche Kreuzworträtsler hatte etwas vor, was ihm eine gehörige Portion Geld einbringen würde. Und für diesen Job brauchte er nun mal jemanden, der ihm die Drecksarbeit abnahm. Und leider erlaubte es seine momentane Lebenssituation nicht, sich für diese Art von Arbeit einen Menschen auszusuchen, der ihm sympathisch war. Und dieser Asoziale neben ihm hatte auch sein Gutes. Er war absolut zuverlässig und konnte sein Maul halten, war also nicht so geschwätzig wie andere, die nach einem gedrehten Ding, das am nächsten Tag in der Zeitung nachzulesen war, nichts Besseres zu tun hatten, als damit zu prahlen. Solche Typen waren einfach zu dämlich zu begreifen, dass es unter ihresgleichen auch Neider gab und wenn dann noch eine Belohnung ausgesetzt war, dann konnte sie niemand davon abhalten, selbst ihren besten Kumpel zu verpfeifen. Nein, so ein Mensch war sein Nebenmann auf dem Fahrersitz nicht. Aber dafür hatte er noch eine Eigenschaft, über die er selbst nicht verfügte und die jetzt für seinen Job dringend benötigt wurde: Er kannte keine Skrupel. Als er darüber ernsthaft nachdachte, auf diese miese und feige Art Geld zu verdienen, kamen ihm schwerste Bedenken. Einige Male war er vor den Spiegel getreten, hatte den Kopf geschüttelt und gemurmelt: „Soweit ist es also mit dir gekommen.“

      Aber die Gier nach dem Geld hatte ihn auf den teuflischen Gedanken gebracht, dass ein anderer es übernehmen konnte, so etwas Grässliches zu tun. Und außerdem gab es ja auch noch seine Rachegelüste…

      „Wie lange sollen wir hier denn noch warten?“

      Der Fahrer neben ihm unterbrach ihn in seinen Gedanken. Er war einer, der völlig emotionslos seine ‚Arbeit’ erledigte. Es gab manche, die sagten, er sei der ausgesprochene Killertyp, jemand, der seinen Aggressionstrieb instrumentell nutzte. Natürlich war er vorbestraft, unter anderem wegen schweren Raubes und Vergewaltigung.

      „Irgendwann wird sie schon raus kommen, und wenn nicht heute, dann eben morgen. Ich weiß gar nicht, was du willst. Du kriegst doch ’ne Menge Kohle dafür.“

      „Meinst du denn, das macht mir Spaß, dauernd auf diese protzige Villa zu starren und zu warten, bis Madam herausspaziert kommt und der Chauffeur ihr mit einer tiefen Verbeugung den Wagenschlag aufreißt?“, maulte sein Kumpel und rülpste ungenierlich laut. Der Arbeitslose wäre am liebsten ausgestiegen, doch er riss sich zusammen. Ein Cabrio fuhr an ihnen vorbei, ein schnittiger BMW Z4.

      „Das ist der Ehemann von der Tochter des Bosses“, erklärte er dem Fahrer.

      „Was du alles weißt“, brabbelte dieser. „Mich interessiert eher die Kiste. Ich glaub’ der hat den Schlüssel stecken lassen. Ob ich mal…“

      „Untersteh dich, Mensch!“

      Der Arbeitslose hieb ihm den Ellenbogen in die Rippen und der schnappte nach Luft.

      „Entweder du machst das, was ich dir gesagt habe, oder du kannst abhauen!“

      „Ist ja schon gut, ist ja schon gut“, gab der Fahrer maulend zurück und in diesem Moment näherte sich von hinten eine weitere Nobelkarosse, ein Mercedes-Sportwagen mit offenem Verdeck. Ein Mann sprang über die geschlossene Wagentür nach draußen und lief die Stufen der breiten Treppe nach oben auf den Eingang zu. Der Mann auf dem Beifahrersitz drehte sich zu dem Menschen um, den er unbedingt für seinen Job brauchte.

      „Das ist der Sohn des Unternehmers. Kann sein, dass sich jetzt etwas tut.“

      Und er sollte recht behalten. Nach knapp einer Viertelstunde verließen die beiden Männer die Villa und in ihrer Mitte eine junge Frau. Die drei debattierten lautstark. Erst vor ihren Autos trennten sie sich und die junge Frau setzte sich in das Auto des Mannes mit dem Mercedes. Der Beifahrer wunderte sich darüber, sagte aber nichts. Erst als die beiden Fahrzeuge an ihnen vorbeigefahren waren, gab er sich und seinem Fahrer eine Anweisung: „Günstiger wird’s nicht. Komm!“

      Die beiden verließen das schmutzige Gefährt und der Arbeitslose merkte nicht, dass sein Rätselheft beim Aussteigen auf den Fußweg fiel, von einer kurzen Windbö erfasst wurde und unter dem Auto zu liegen kam.

      Der Mordermittler drückte die Austaste an der Freisprecheinrichtung und atmete erleichtert aus. Nein, er brauchte wirklich nicht umzukehren. Das, was sein Vertreter ihm mitzuteilen hatte, war kein Knaller gewesen. Seine Kollegen hatten in einer alten Mordsache in der Nähe von Husum ein interessantes Detail entdeckt. Und Werner Hansen hatte ihn deshalb angerufen, weil sie bei der Recherche eine Peinlichkeit herausgefunden hatten. Ausgerechnet dem Leiter der Kripo in Husum, der ansonsten ein mehr als penibler Vorgesetzter war und der seinen Kollegen mit seiner penetranten Ermittlungsgenauigkeit gelegentlich auf die Nerven ging, ausgerechnet dem war ein Fehler unterlaufen, den jeder Kriminalanwärter mit einer ungenügenden Note in einer Prüfungsarbeit quittiert bekommen hätte. Die Kollegen von der Kriminaltechnik hatten damals in dem Zimmer des Mordopfers diverse rötliche Flecken auf dem Holzfußboden nicht als Spuren gesichert, weil die Mutter des getöteten Mädchens ausgesagt hatte, dass ihr Kind am Tag zuvor Nasenbluten gehabt hätte. Es gehörte zum Einmaleins eines Kriminalisten, dass alle Spuren in einem Kapitaldelikt zu sichern waren, gleichgültig, ob es eine Tatrelevanz gab oder nicht. Und in diesem Fall gab es jetzt nach über 10 Jahren eine mögliche solche Bedeutung. Wartefuhl musste innerlich grienen, wenn er daran dachte, wie der Chef in Husum wohl reagieren würde, wenn man ihn damit konfrontierte, denn er war es höchst persönlich gewesen, der als damaliger Leiter der Kriminaltechnik vor Ort gewesen war und die Spuren nicht hatte sichern lassen.

      Der Chef der Mordkommission bremste seinen Wagen ab und bog in den Sandweg ein, der ihn nach 50 Metern zu ihrem ‚Knusperhäuschen’ führte. Mit der Handkante erzeugte er einen kurzen Hupton auf dem Lenkrad und durch die offene Terrassentür kam ihm seine Frau entgegen. Jörg Wartefuhl versuchte in dem Gesicht von Karin zu lesen, als er ausstieg und ihr entgegenging. Ihr Gesicht lachte, aber die Augen, die spiegelten eine große Traurigkeit wider, wenn auch nicht so schlimm, wie von ihm befürchtet.

      „Beinahe wäre es nichts geworden mit unserem langen Wochenende“, nahm er Karin in den Arm, hob sie hoch und drehte sich mit ihr ein paar Mal im Kreis herum. Er wusste, dass sie das gern hatte.

      „Ich hätte dich aber nicht gehen lassen, mein Lieber“, meinte sie lächelnd und schmiegte sich an ihn. „Ich brauche dich, Jörg! Ich brauch dich gerade jetzt und ich will dich nie wieder loslassen.“

      Jörg

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