Schein oder Nichtschein. Kim Bergmann
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Читать онлайн книгу Schein oder Nichtschein - Kim Bergmann страница 5
Helge öffnete den Mund, um zu sagen: "Nun weiß ich, warum die Sonne nicht mehr scheint: Sie schämt sich, denn ihre Schönheit verblasst neben der deinen!" Leider war seine Zunge noch zu überrascht, und was er tatsächlich sagte, klang eher nach "grllnng".
"Ja, sicher", erwiderte das Gedicht mit einer Stimme, die Helge einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. "Ich wollte fragen, ob du uns beiden ein Obdach für die Nacht bieten kannst? Mein Pferd und ich sind müde."
"Nein, das kann er nicht", erklang Salomos wütende Stimme. Den Daumen im Mund, erschien er hinter seinem Neffen, erblickte das Gedicht und erstarrte. Langsam ließ er die Hand sinken, und in seine Augen trat ein etwas dümmlicher Ausdruck.
"Ich, äh, ich wollte sagen, dass er das nicht entscheiden kann, da es sich hier um mein Haus handelt. Tritt doch ein! Helge, kümmere dich um das Pferd, bring es zu Hengst und Stute in den Stall!" Salomos Pferde hießen tatsächlich so. Kreativität war nun einmal nicht seine Stärke.
Das Gedicht drückte Helge die Zügel in die Hand und schenkte ihm ein dankbares Lächeln, ehe sie sich Salomo zuwandte. "Das ist sehr nett von dir, danke. Gestattet, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Hera, und ich bin Krieger und Abenteurer." Meister und Lehrling schwiegen verwirrt und versuchten, das Gehörte mit der energischen kleinen Person gegenüber in Einklang zu bringen. Schließlich platzte Helge heraus: "Aber... aber du bist ein Mädchen!" Hera fuhr zu ihm herum, in ihren blauen Augen blitzte es kriegerisch auf, als sie die Hände in die Hüften stemmte. "Ich bin eine Frau, ja. Und es ist albern, dass nur Männer gewisse Berufe ergreifen dürfen. Nebenbei, wer bist du?"
"Helge", sagte Helge und kam sich blöd vor.
Ein versöhnliches Lächeln erschien auf Heras Gesicht. "Ach, du bist auch emanzipiert?"
Sie tätschelte den Hals des Riesenrosses. "Das hier ist Welpe. Er hat Durst!" Helge sagte: "Oh, ja, sicher, hätte ich auch, ich meine, hab ich auch, kann ich verstehen, echt..." und führte Welpe in den Stall. Als er ihn versorgt und sich vergewissert hatte, dass Hengst und Stute ihn freundlich anschnaubten, lief er schnell zurück zum Haus.
In der Küche saß Hera Salomo gegenber und ließ sich das Mahl schmecken, das er ihr bereitet hatte. Helm, Schwert, Brustharnisch und Beinschienen hatte sie abgelegt und sah nun aus wie der schönste Engel, der jemals braune Lederkleidung getragen hatte. Sie mochte wie Helge etwa sechzehn Jahre alt sein, doch war sie es auf völlig andere Art und Weise. Man kann mit sechzehn sehr kindlich sein oder sehr erwachsen. Wärend Helge sich irgendwo zwischen "kindlich" und "nicht mehr ganz so kindlich" befand, hatte Hera offenbar alle unschlüssigen Stufen des Sechzehnseins im Sturmschritt genommen und thronte nun bei "Wehe, du nennst mich Kind!" Augenscheinlich hatte sie Salomo gerade den Zweck ihrer Reise erklärt, denn er starrte sie offenen Mundes an.
"Was hast du vor?" fragte er verstört.
Hera schluckte einen Bissen herunter und wiederholte mit ruhiger Stimme: "Ich will herausfinden, warum die Sonne nicht mehr scheint, und etwas dagegen unternehmen. Die Dunkelheit stört mich."
Helge tat es seinem Onkel nach und ließ die Kinnlade sinken. Schließlich räusperte Salomo sich und fragte behutsam, wie man mit Verrückten zu sprechen pflegt: "Nun, was hast du denn vor? Ich meine, du kannst doch nicht einfach so ins Blaue... äh, Schwarze hinein reiten, oder? Wo willst du denn anfangen?"
"Ich habe einige Anhaltspunkte, und ich bin zuversichtlich, auf meiner Reise noch weitere zu finden. Wenn es euch recht ist, würde ich gern bald schlafen. Ich muss früh weiter, sonst holen sie mich noch ein."
"Wer, sie?" fragte Helge aufgeregt. Er fand bisher alles recht undurchsichtig, aber auch immens spannend. Hier bahnte sich offenbar ein Abenteuer an, und das Mädchen hatte es ganz allein begonnen. Woher nahm sie bloß den Mut? Also, nicht zum Abenteuer an sich, sondern zum Losreiten? Was sagten ihre Eltern dazu? Wer kümmerte sich um dieses entzückende Geschöpf? Ob sie ihn vielleicht mögen könnte? Und wer sind diese "sie"?
Gespannt lehnte er sich vor, um die abenteuerliche Geschichte zu erfahren und um einen besseren Ausblick zu bekommen.
"Ach, nur ein paar Leute, denen mein Vorhaben nicht zusagt."
Heras Stimme klan betont desinteressiert. Sie gähnte ganz bezaubernd, worauf Salomo seinen Neffen nach Decken und Kissen schickte.
Als es im Haus schließlich ruhig wurde, lag Helge lange wach und starrte in die Dunkelheit. Seine wild kreisenden Gedanken und sein seltsam laut klopfendes Herz hinderten ihn am Einschlafen.
Kapitel 5
In Glista überwachte Brontus die letzten Vorbereitungen seiner Soldaten. Er hatte zwölf Männer ausgewählt, von denen er wusste, dass sie gut reiten und noch besser kämpfen konnten. Zwar hatte der Auftrag, er solle das Mädchen unverletzt zurückbringen, aber vielleicht ergab sich auf dem Weg doch das eine oder andere Scharmützel. Und wenn nicht, ließe sich sicher eins herbeiführen.
Brontus' Lächeln bei dieser Vorstellung war das eines Alligators, vor dessen Maul ein nacktes Bein im Wasser erschien.
Im ganzen Königreich und auch in den angrenzenden war der Hauptmann bekannt als "Brontus der Unbestechliche", und zwar völlig zu Recht. Nur beruhte seine Unbestechlichkeit nicht auf Ehrerbietung oder Sympathie gegenüber seinem Herrscher, wie es ja vielleicht gut und richtig gewesen wäre. Nein, der Hauptmann lebte mit dem König in perfekter Symbiose. Edwins andauernder Zorn versorgte Brontus mit vielen Gelegenheiten, seinen Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen (kämpfen, kaputthauen, bestrafen), und er wusste ganz genau, dass ihm dies kein anderer Herr würde bieten können. Edwin wiederum war sich über Brontus' Treue ebenso klar wie über die Gründe dafür, und beides gefiel ihm ausnehmend gut. Andere treu ergebene Geister erwarteten Loyalität oder Freundlichkeit, vielleicht auch Großmut, das tat Brontus nicht. Er wollte sich nur austoben können, und was das anging, fiel es Edwin leicht, großzügig zu sein.
Brontus war über diesen neuen Auftrag allerbester Laune. Brüllend trieb er seine Soldaten zur Eile an, und wie immer, wenn der Hauptmann brüllte, war kurze Zeit später alles erledigt. Eine Gruppe von dreizehn Kriegern verließ die Stadt und verlor sich in der finsteren Landschaft.
Der Gott Der Omnipräsenz betrachtete auch diesen Aufbruch und schüttelte grinsend den Kopf. Zu schade, dass er stumm war, er kannte jemanden, den all dies sehr interessieren würde. Wenn er andererseits die Informationen über die sich anbahnende Geschichte weitergäbe, wäre der Spaß mit Sicherheit viel zu schnell vorbei, und der Gott Der Omnipräsenz war niemand, der sich selbst eines Amüsements beraubte.
*
In Druht war die Dunkelheit der Nacht noch nicht der Schwärze des neuen Tages gewichen, als Helge erwachte. Er war in seiner allmorgendlichen trübseligen Aufzählung schon bis zu seinem Alter gelangt, als ihm Hera einfiel. Hera, die heute in der Frühe wieder fort wollte!
Wieselflink und so lautlos wie möglich kleidete Helge sich an und schlich in die Küche hinunter, wo Salomo dem Mädchen gestern ein Nachtlager bereitet hatte.
Die Decken und Kissen waren ordentlich zusammengelegt und gestapelt worden, das Mädchen fort. Auf dem Tisch lagen einige Münzen - offenbar hatte Hera sie für Kost und Logis dagelassen. Schmerzhafte Enttäuschung nahm Helge fast den Atem. Hastig, wenn auch nicht sehr hoffnungsvoll lief er zum Stall und fand sein Gedicht vor, das gerade sein riesiges Pferd sattelte.
"Kann ich mit dir kommen?" fragte er und erschrak. Diese Worte waren einfach