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      Hera hielt inne und musterte ihn überrascht.

      "Wieso denn?"

      Helge schluckte und dachte angestrengt nach. Schließlich gab er es auf und ließ seinen Mund selbst entscheiden, was er sagen wollte. Überraschenderweise war das eine ganze Menge.

      "Ich will wissen, was mit der Sonne passiert ist. Ich will nicht länger Offensichtliches als gegeben hinnehmen, wie mein Onkel es von mir verlangt. Ich will nicht, dass da draußen ein Abenteuer passiert, während ich Schuhe besohle. Ich will dabei sein, wenn Geschichte geschrieben wird. Ich will nicht, dass Spezialleim mein Lebensinhalt wird. Ich will die Rolle nicht, die mir alle zugedacht haben. Ich habe selber keine Ahnung, wie man einfach aufbricht, und du weißt, wie das geht, darum würde ich gern mit dir kommen. Ich kann dir bestimmt eine Hilfe sein. Und wenn du das nicht glaubst, dann sag einfach aus Barmherzigkeit ja, aber bitte lass mich hier nicht zurück!"

      Atemlos hielt er inne und fragte sich verblüfft, ob diese Worte tatsächlich von ihm stammten.

      "Vergiss das Atmen nicht", sagte Heras Stimme da neben ihm.

      Dankbar holte Helge tief Luft und warf dem Mädchen einen scheuen Blick zu. Ihre Worte hatten ruhiger geklungen als alles, was sie am Vorabend so unternehmungslustig und kämpferisch geäußert hatte, und nun lernte Helge auch einen neuen Gesichtsausdruck seines Gedichtes kennen. Die aggressive Energie war aus ihren Zügen gewichen, und in ihrem Blick lagen Verständnis und Mitgefühl.

      "So ist das...", sagte sie gedankenverloren. Ihre Augen verschleierten sich kurz, als sähe sie plötzlich etwas ganz anderes vor sich als den warmen Stall mit den neugierig schnobernden Pferden und dem nervösen Lehrling. Sie lächelte, nur für einen Sekundenbruchteil, dann schüttelte sie kurz den Kopf und legte mit geschäftsmäßiger Stimme den Finger auf den wunden Punkt. "Was sagt dein Onkel dazu?"

      Helge erstarrte. Richtig, da war ja noch ein Haken!

      "Vermutlich eine ganze Menge, wenn er aufwacht", erwiderte er unbehaglich.

      "Dann ist es wohl besser, wenn wir unverzüglich aufbrechen", versetzte Hera trocken und wies mit dem Kinn zu Salomos Pferden hinüber. "Welches ist schneller?"

      "Stute." Helge bekam Herzklopfen. Sie wollte ihn tatsächlich mitnehmen! Er brauchte nur eines der Pferde seines Onkels zu entwenden und sofort diesem entzückenden Geschöpf zu folgen, ohne das Haus noch einmal zu betreten.

      "Was ist denn mit Proviant und so?" fragte er, während er mit fliegenden Fingern Stute sattelte.

      "Ich habe noch etwas zu essen und Wasser, und Geld habe ich auch. Ich habe deinem Onkel einige Münzen als Dank für das Abendessen und das Nachtlager dagelassen. Ich denke, ich kann uns beide locker durchbringen. Aber was viel wichtiger ist," Hera schob dem widerspenstigen Welpe das Mundstück der Trense ins Maul, "kannst du mit Waffen umgehen?"

      Helge dachte an sein bisheriges Leben in der Werkstatt und bekannte kleinlaut: "Nun, ich könnte jemandem mit einem Hammer beträchtlichen Schaden zufügen, wenn ich es versuchte, nehme ich an."

      Das Mädchen seufzte.

      "Du bist dir aber darüber klar, dass diese Reise gefährlich werden kann, oder? Einen Feigling kann ich nicht gebrauchen. Bist du sicher, dass du mitkommen willst?"

      Helge dachte an die ewig gleichen Tage in der Werkstatt, an Wind in seinem Haar, während er in ferne Lande ritt und an das Bild einer einsam am bestirnten Horizont verschwindenden jungen Abenteurerin. Er straffte die Schultern.

      "Ja, ich bin mir sicher!"

      Hera schaute ihn an, und irgendetwas in seinem Blick ließ sie zustimmend nicken.

      Wenige Minuten später verließen das Mädchen namens Hera und der Schuhmacherlehrling Druht, um der Langeweile zu entkommen und Geschichte zu schreiben.

      Hengst schnaubte verwirrt, als er plötzlich ganz allein im Stall stand. Was waren denn das für neue Sitten? Dann streichelte jemand sanft seine Nüstern, und er beruhigte sich wieder. Gierig schnappte er nach der Karotte, die der Gott Der Omnipräsenz im reichte.

      *

      "Woher willst du das wissen?" herrschte Brontus Tinker an. Tinker war einer der zwölf ausgewählten Soldaten und gerade dabei, seinem Hauptmann auf die Nerven zu gehen, was kein ungefährliches Unterfangen war. Brontus mochte es überhaupt nicht, wenn einer seiner Befehlsempfänger schlauer war als er. Da aber die Leistung seiner Gehirnzellen den Kontinentaldrift an Schnelligkeit nur um ein Weniges übertrafen, war die Zahl der Schlaueren nicht gerade gering. Die meisten Soldaten hingen jedoch genug an ihren Gliedmaßen, um sich ihre geistige Überlegenheit nicht anmerken zu lassen.

      Nun aber stand Tinker vor seinem Hauptmann und behauptete, dass die Gesuchte an dieser Gabelung dem linken Weg gefolgt war und nicht, wie Brontus angenommen hatte, dem rechten.

      "Sieh doch", sagte er nun eifrig. "Ich habe selbst gesehen, wie Welpe vor zwei Tagen neue Hufeisen bekommen hat, und die Abdrücke sind hier noch zu sehen. Ich glaube kaum, dass seit gestern Abend viele Pferde mit neuen Hufeisen im gestreckten Galopp diesen kleinen Weg hier entlang gejagt sind."

      Brontus begutachtete im Fackelschein Tinkers Beweisführung, und langsam dämmerte ihm, dass der Jüngling vermutlich Recht hatte. Wie unangenehm! Er wandte sich an die übrigen elf Soldaten und brüllte: "Da will ich einmal probieren, ob ihr auch mitdenkt, und nur ein einziger bemerkt etwas! Wie wollt ihr denn Fallen aus dem Weg gehen können, wenn ihr eure Köpfe nicht gebraucht? Alles muss man selbst machen!"

      Er winkte Tinker, der sein Schmunzeln hinter der Hand versteckte, mit einem Kopfnicken in die Reihe zurück und schlug den linken Weg ein. Ein Wegweiser behauptete, dass es hier zu einem Ort namens Druht ginge. Das klang schon wie ein widerliches Kaff, fand Brontus. Vielleicht konnte er dort an etwas Anstoß nehmen.

      *

      Salomo war überfordert. Seine häufigste Gefühlsregung in den letzten sechzehn Jahren (den Helgejahren, wie er sie nannte) war Ungeduld gewesen, vermischt mit tiefer Zuneigung und meistens leichtem Ärger. Das war für diese Situation allerdings vollkommen unzulänglich. Er wusste nicht, ob er nun entsetzt sein sollte oder doch besser stinksauer. Er schloss einen Kompromiss und war erst das eine, dann das andere. Sein Nichtsnutz von Neffe war mit dieser... diesem... Mannweib davongelaufen! Nein, berichtigte er sich in Gedanken, davongeritten - eines der Pferde hatte er auch noch mitgenommen.

      Erst hatte er gedacht, der Junge verschlafe nur einmal mehr, doch als wiederholtes Rufen zu keiner Reaktion geführt hatte, war Salomo nachschauen gegangen und hatte erst Helges Zimmer leer und dann den Stall nur noch von Hengst belebt vorgefunden. Hier stand er nun noch immer und starrte fassungslos erst Hengst und dann die leeren Boxen an. Das Pferd wieherte erfreut und stupste seinen Herrn an, als wolle es sich bei ihm über die ungewohnte Einsamkeit beschweren. Salomo stampfte wütend mit dem Fuß auf, als sich in seinem Kopf plötzlich eine Stimme zu Wort meldete.

      *Du weißt aber schon noch, dass du es warst, der sie hat hierbleiben lassen, oder?*

      Salomo kannte die Stimme: Vor etlichen Jahren hatte sie sich ihm einmal als "Gewissen" vorgestellt. Innerlich stöhnend - er wusste, dass die Stimme sich nicht würde ignorieren lassen - verteidigte er sich.

      "Ich habe ihm aber den ganzen Nachmittag erzählt, dass er die Finger von Frauen lassen soll!"

      *Ja*, höhnte

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