Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Lege dich in dein Grab und ruhe, damit du jedes Jahr hinausgehen und die Sonne schauen kannst.“ Sie legten die Mumie gemeinsam in den Sarkophag und verschlossen ihn. Dann wurde Ramose in die Grabkammer gelegt. Dazu wurden die Krüge gestellt, die die mumifizierten Eingeweide enthielten. Ebenso die Uschebtis, kleine Dienerfiguren, die im Jenseits für Ramose die geforderten Arbeiten verrichten würden. Anschließend brachte Senenmuts Familie ein Trank- und Speiseopfer dar.
„Siehe, Vater, ich bringe dir den Leib des Brotes, dazu Bier und Wasser, damit dein Körper stark bleibt. Vereine dich!“, sprach Senenmut. „Vereine dich!“, wiederholten Senenmuts Geschwister und legten ihre Opfergaben dazu. Auch Hatnofer sprach: „Vereine dich!", und legte als Letzte einen geflochtenen Blumenkranz auf den Sarkophag.
Sie strich noch ein letztes Mal zärtlich über das Holz, dann wandte sie sich um und vergrub ihr Gesicht an Senenmuts Brust. Leise zitternd wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Im Kreis der Familie beobachteten sie alle, wie die Graböffnung vermauert wurde. Danach löste sich die Trauergemeinde auf und nahm ihren Weg zurück zum rechten Ufer des Nils.
Senenmut übergab seine Mutter in die Obhut seiner Geschwister und beschloss, noch einmal nach dem kleinen Totentempel seiner Familie zu sehen. Er wollte die Gelegenheit nutzen und dort alles vorbereiten für das kommende Talfest. Die Wüste beschützte mit ihrem trockenen Klima die Farben vor der Zerstörung. Aber gleichzeitig bescherte sie auch Sand, der von draußen herbeigetragen wurde. Er würde unweigerlich den Eingang zudecken. Senenmut hatte noch einen Krug mit Wasser mitgenommen, denn das Arbeiten in der Sonne würde ihn schnell durstig machen. So oft hatte er diesen Weg gemeinsam mit seinem Vater genommen. Jetzt war er verantwortlich dafür. Er legte seine Kleider ab, um sie nicht zu verschmutzen, und begann, den Eingang freizuräumen. Innerhalb eines halben Jahres war der Sand schon kniehoch angeweht worden. Schnell geriet Senenmut ins Schwitzen. Aber er war Arbeit gewohnt und es tat ihm gut. Er begann im Inneren an der Statue des Osiris, nicht ohne ihm zuvor mit einem Gebet Respekt zu erweisen. Hier im Inneren war es erträglicher und deutlich kühler als draußen.
Die Sonne hatte ihren Zenit bereits überschritten, als er im äußeren Teil der Stätte angekommen war. Dankbar registrierte er, dass die darüber liegenden Hügel Schatten auf die kleine Terrasse warfen. Im Eingangsbereich konnte er erkennen, dass sich kleine Stücke des Felsens von ihrem Untergrund gelöst hatten. Die starken Temperatur-Unterschiede zwischen Tag und Nacht bewirkten dies. Er würde doch etwas länger benötigen, bestimmt mehrere Tage, um den Fels zu glätten und erneut zu bemalen. Senenmuts Familie konnte es sich nicht erlauben, dafür einen Handwerker zu bezahlen. Aber er würde es selbst versuchen. Oft genug hatte er seinem Vater geholfen.
Es erfüllte ihn mit Stolz, diese Aufgabe zu bewältigen. Er würde allerdings erst spät am Nachmittag beginnen können, denn er musste ja am Tage seinen Pflichten als Schreiber nachkommen. Am besten würde es für ihn sein, hier zu übernachten und am Morgen zum Tempel überzusetzen. Für heute würde er nur noch den groben Schutt wegräumen. Über Nacht konnte er diesmal nicht bleiben, denn er hatte nicht die geeignete Kleidung dabei. Es würde viel zu kalt werden.
Senenmut erfrischte sich mit dem Wasser aus dem Krug. Der gebrannte Ton hielt es herrlich kühl darin. Das verbliebene Wasser nutzte er, um sich vom Staub zu reinigen. Er hob den Krug über seinen Kopf und ließ sich das Wasser über seinen bloßen Körper rinnen. Danach zog er sein Gewand wieder an.
Ein einzelner, etwas größerer Felsen war irgendwann im vergangenen Jahr von oben herabgestürzt und verengte etwas den Fußweg zur Gedenkstätte. Senenmut befürchtete, dass er mit all dem Werkzeug, das er brauchen würde, dort schlecht vorbeikommen könnte. Der Brocken lag genau am Abhang. Mit einem Hebel würde er sicher zu bewegen sein. Er drückte mit seinen Händen gegen den Fels, um zu prüfen, ob er sich nicht auch so bewegen ließ. Zu Senenmuts Überraschung gab er etwas nach und neigte sich nach vorne. Erst wie in Zeitlupe, dann schneller werdend, kippte er und rollte den Fußweg hinab nach unten. An einem Überhang änderte der Weg seine Richtung und der Felsbrocken schoss darüber hinweg. Senenmut verlor ihn aus den Augen und er hoffte nur, dass dort unten niemand war, der vielleicht auch nach den anderen Totenstätten unterwegs sei.
Krachend und polternd schlug der Stein am Talgrund auf. Fast zeitgleich hörte Senenmut einen spitzen Schrei. Senenmut beeilte sich nun, den sich windenden Weg herabzueilen und nachzusehen. Als er an dem Überhang vorbeikam, sah er den Körper einer Frau unweit der Einschlagstelle liegen. So schnell er konnte, schlitterte und rutschte er den steinigen Weg herab zu ihr. Sie lag auf dem Bauch und bewegte sich nicht. Behutsam nahm er sie bei den Schultern und drehte sie um.
Ein heiliger Schreck durchfuhr ihn, als er sie erkannte: SIE war es, die ihm zuvor im Tempel erschienen war! Sie schien nicht verletzt, war aber bewusstlos. Er nahm sie auf und trug sie in den Schatten des Überhangs. Vorsichtig legte er sie auf den Boden. Er stützte ihren Oberkörper mit seinem Arm und befreite ihr Gesicht von Sand und Staub. Ihm klopfte das Herz bis zum Hals vor Aufregung. Sie bewegte sich wieder und kam Staub hustend zu sich. Sie öffnete die Augen und blickte direkt in die seinen. Senenmut verspürte wieder dieses seltsame Gefühl in seiner Brust. Er war doppelt froh, dass ihr nichts passiert war. Stumm vor Glück sah er sie an. Wie im Tempel war er nicht in der Lage, etwas zu sagen. Als ihr die Situation wieder bewusst wurde, trat ein wütendes Funkeln in ihre Augen. Ehe Senenmut es sich versah, holte sie aus und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Verblüfft ließ Senenmut sie los.
„Ist das eine Art, eine Dame zu behandeln?“, fauchte sie ihn an. „Ich hätte tot sein können!“
Senenmut stammelte verlegen: „Bitte verzeih mir, ich konnte nichts dafür. Der Fels hatte sich von selbst gelöst. Ich bin so froh, dass dir nichts passiert ist.“
„Das war nicht dein Verdienst! Ich sah den Felsen kommen und bin weggerannt. Ich bin nur vor Schreck ohnmächtig geworden.“
Jetzt war Senenmut aber doch neugierig geworden.
„Wenn du den Felsen gesehen hast, musst du aber auf dem Pfad zu unserer Stätte gewesen sein ... Ist das etwa die Art einer feinen Dame, einem nackten Mann beim Arbeiten zuzusehen?“ Sie wurde puterrot im Gesicht und blickte verschämt zu Boden. Mehr belustigt als verärgert stellte Senenmut fest, dass es an ihr war, die Fassung zu verlieren. Wie ein kleines Kind, das man beim Lügen erwischt hat, saß sie da. Senenmut beobachtete sie. Wie schön sie war! Er wollte nur dort mit ihr sitzen und sie beobachten.
„Ich bin dir nicht böse, du konntest ja nicht wissen, dass ich ohne Kleider bin. Ich habe ja auch nicht mit Beobachtern, ich meine, mit Besuchern gerechnet. Ich würde deswegen auch nicht mit Steinen nach dir werfen, wenigstens nicht ganz so große! Aber sage mir doch jetzt, was du hier oben wolltest!?“
„Ich habe dich gesucht!“, antwortete sie ihm. Der Klang ihrer Stimme war so wundervoll klar und rein. Sein Herz hüpfte vor Freude. „Ich habe deinen Vater gekannt. Er hat mir manchmal etwas von den Schriften erklärt. Und er hat immer voller Freude von dir erzählt. Du warst sein gelehrigster Schüler. Ich wollte dich fragen, ob du mir nicht mehr beibringen kannst. Ich weiß so wenig und möchte doch viel mehr wissen!“
Senenmut war erfreut über die Aussicht, sie öfter zu sehen. Aber warum um alles in der Welt sollte er einer Frau die Schrift lehren? Das war eindeutig Männersache!
„Du bist eine Frau!“, entgegnete er.
„Es spricht für deinen hellen Geist, dass du es bemerkt hast“, spottete sie. „Und weiter?“
„Du bist Priesterin der