Regen am Nil. Rainer Kilian
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Regen am Nil - Rainer Kilian страница 20
„Ich habe damit gerechnet, dass du dort bleibst. Darum habe ich Anweisung gegeben, dass dir Nef-Sobek, der Verwalter der Kornspeicher, soviel Vorräte gibt, wie du benötigst. Außerdem wartet ein Ochsengespann mit allem Gerät, das du brauchst, am anderen Ufer.“ Senenmut war überrascht, aber dankbar für diese mehr als großzügige Geste Hapusenebs und machte sich auf den Weg zu den Kornspeichern.
Nef-Sobek war ein älterer Mann, der nur schwer zu verstehen war, da ihm bereits mehrere Zähne fehlten. Er schien auf einem Auge erblindet. Im genauen Gegensatz dazu schienen seine Gewänder nagelneu zu sein. Sie waren reich bestickt und mit goldenen Fäden verziert. Senenmut war aber nicht besonders verwundert darüber, war es doch eine verantwortungsvolle Aufgabe. Die Kornkammern waren der Grundstein für den Wohlstand Ägyptens. Sie garantierten auch in schlechten Jahren, wenn das Wasser des Nils gering war und der fruchtbare Schlamm ausblieb, dass niemand hungern musste.
„Was willst du?“, raunzte er Senenmut an, der ihn beim Studium von Papyrus gestört hatte. Tief gebeugt hatte er sich mit einem Auge über dem Brief befunden. Seine Nase hatte die Hieroglyphen fast berührt und Senenmut zweifelte daran, ob er überhaupt etwas erkannte.
„Hapuseneb schickt mich um Vorräte zu dir. Ich brauche Brote, Fleisch und Bier für fünf Tage.“
Der Alte wehrte ab. „Das ist nicht möglich. Die Kornspeicher sind fast leer. Ich gewähre dir Brote für zwei Tage. Mehr gibt es nicht!“
Senenmut runzelte die Stirn. „Das kann ich kaum glauben. Wir haben zwei große Kornspeicher im Amun-Tempel. Die letzte Ernte war reichlich, weil der Nil hoch war. Und jetzt sollen die Speicher leer sein? Bis zur nächsten Ernte ist es noch einige Zeit.“
„Das weiß ich auch“, brummelte Nef-Sobek. „Nimm dir den Vorrat für zwei Tage oder lass es bleiben.“ Senenmut hatte weder Zeit noch Lust für eine Diskussion mit diesem starrsinnigen Alten. Also nahm er den angebotenen Vorrat und ging. Den Rest würde er sich später bei seiner Familie besorgen. Er setzte zum anderen Ufer des Nils über und wie von Hapuseneb zugesagt, stand alles bereit für ihn.
Jetzt saß er auf der kleinen Terrasse seiner Ahnenstätte, betrachtete die halb fertigen Reliefs und überlegte, was es wohl mit dem leeren Kornspeicher auf sich hatte. Der Krieg gegen die Mitanni hatte nichts damit zu tun. Die Soldaten verpflegten sich dort, wo sie waren. Also musste das Korn woanders sein. Er würde Hapuseneb berichten, wenn er zurückkehrte.
„Ich dachte, du arbeitest?“ Senenmut schreckte hoch. Hatschepsut war hinter ihm. Er drehte sich zu ihr um.
„Statt dessen träumst du am helllichten Tag vor dich hin?!“
Senenmut war freudig überrascht. „Ich habe nicht einmal bemerkt, dass jemand den Weg heraufkam.“
„Ich bin ja auch sehr vorsichtig nach oben gegangen, manchmal kommen einem hier große Steine entgegen ...“ Sie blickte auf die Reliefs. „Ich sehe, du warst doch schon fleißig. Ist dieser Entwurf von dir?“
„Nicht ganz“, erklärte Senenmut. „Ich habe sie nur erweitert.“ Er deutete auf ein Relief, das eine Kobra darstellte. „Das ist von mir.“
„Ich sehe, du hast Talent. Vielleicht kannst du irgendwann einmal einen Tempel für mich bauen!“, schmunzelte sie.
„Alles würde ich tun, um dir nahe zu sein", dachte Senenmut bei sich.
Er konnte kaum den Blick von ihr lassen. „Du starrst mich an, als wäre ich Osiris selbst. Was ist mit dir? Freust du dich nicht, mich zu sehen?“
„Doch, natürlich“, bekannte Senenmut. „Aber heute war ein seltsamer Tag. Eigentlich müsste ich im Tempel arbeiten. Dort gibt es viel zu tun. Aber Hapuseneb hat mich freigestellt, damit ich vor dem Talfest fertig werde. Aber wieso weißt DU, dass ich jetzt schon hier bin?“, stutzte er.
„Sagen wir einmal, die Götter haben es mir zugeflüstert. Aber wenn du dich noch an gestern entsinnst, habe ich dich gebeten, mir die alten Schriften zu deuten. Willst du immer noch meinen Vater um Erlaubnis bitten?“, lächelte sie ihn an.
„Nein, ich glaube nicht. Aber es wird mir eine Ehre sein, dir zu dienen.“
„Um der Götter Willen, lass das Dienen sein. Ich habe genug Diener im Palast. Ich möchte mich mit einem Menschen unterhalten, der nicht ständig aus Respekt fünf Ellen Abstand hält!“
„Nichts lieber als das“, dachte Senenmut. „Also gut“, sprach er zu ihr. „So sei es. Wenn ich hier fertig bin, werden wir anfangen.“
„Das ist mir sehr recht. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, damit du dein Werk vollenden kannst.“
Mit einem Mal kam Senenmut ein Verdacht, warum Hapuseneb so freigebig gewesen war. „Hast du etwa dafür gesorgt, dass ich nicht im Tempel arbeiten muss?“
Hatschepsut errötete leicht. „Sagen wir, ich habe Hapuseneb um einen Gefallen gebeten.“
„Den er einer Prinzessin natürlich nicht abschlagen kann“, folgerte Senenmut.
„Das ist richtig.“
„Ich bin dir dankbar dafür, aber ich glaube, dass es Hapuseneb bestimmt nicht leicht fiel. Ich werde mich umso mehr beeilen, damit ich meine Arbeit im Tempel tun kann“, bedankte er sich. „Die Vorräte und das Werkzeug waren also auch deine Idee?“, schloss er.
„Auch das! Aber siehe es so. Je besser du ausgerüstet bist, umso schneller stehst du mir als Lehrer zur Verfügung. Und wenn du genug zu essen hast, kannst du gestärkt ans Werk gehen.“
„So selbstlos warst du ja gar nicht. Leider ging deine Rechnung nicht ganz auf.“ Er erzählte ihr von den angeblich geleerten Kornspeichern.
„Ich kenne Nef-Sobek. Er war Soldat in Nubien“, erläuterte Hatschepsut. „Er kam damals krank zurück. Eine Fliege hatte ihn ins Auge gestochen. Er hat sein Augenlicht dabei teilweise verloren.“
„Aber warum ist dann ausgerechnet er Verwalter der Kornspeicher geworden? Er kann kaum die Berichte lesen.“
„Das weiß ich auch nicht. Frage Hapuseneb. Aber irgendetwas stimmt da nicht. Ich werde es einmal überprüfen lassen. Wenn unsere Krieger nach Hause kommen, brauchen wir viel mehr Getreide als sonst. Vielleicht sogar wird es notwendig sein, erneut in den Krieg zu ziehen. Ich habe heute Kunde vernommen, dass die Nubier einen Statthalter getötet haben.“
„Das ist wirklich schlimm. Kann denn unser Land nie in Frieden leben?“
„Je mächtiger du bist, umso mehr Feinde hast du auch. Aber jetzt will ich dich nicht vom Arbeiten abhalten!“, forderte sie ihn auf. Senenmut setzte seine Arbeiten fort, während sie ihn dabei beobachtete. Es gefiel ihm, dass sie bei ihm blieb.
Sie sprachen kaum miteinander, lediglich wenn er die Arbeit an einem weiteren Relief begann, stellte sie ihm wissbegierige Fragen. Er erzählte ihr, was er wusste, und sie ergänzte mitunter sein Wissen um die eine oder andere Geschichte ihrer Vorfahren. Sehr schnell waren sie miteinander vertraut und plauderten ohne Floskeln oder höfische Formen.
Senenmut ließ einen Seufzer bei dem Gedanken, dass sie als Prinzessin und Erbtochter des Pharaos