Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Den Schönsten und Größten, den es gäbe! Aber ich glaube, ihr habt genug Architekten im Palast, die das besser können als ich.“
„Diese dummen Langweiler? Die sind so versteinert, dass sie alle Tempel nur nach dem immer gleichen Muster konstruieren. Aber deine Inschriften haben etwas Eigenes, das sehe ich.“
„Wenn es soweit sein sollte, dann sage mir Bescheid!“, lächelte Senenmut. „Kann es sein, dass du mich nicht ganz ernst nimmst?“ Mit gespielter Strenge sah sie ihn an.
„Das würde ich mich niemals trauen, Hoheit!“, lachte er. Sie stimmte ein und ums Haar hätte Senenmut dem ibisköpfigen Gott Toth den Schnabel abgeschlagen. Senenmut erschrak fürchterlich, aber ihr helles Lachen war zu ansteckend. Er musste den Meißel beiseitelegen und aufhören.
Mittlerweile war es Abend geworden. Er war gut vorangekommen. Ihre Gesellschaft hatte ihn sehr beflügelt. Jetzt zündete er ein Feuer an, denn in der Nacht würde es kalt werden. Schnell war es dunkel. Der glühende Feuerball war kaum im Westen versunken, als die ersten Sterne am Himmel erschienen. Sie hatten sich wärmende Tücher angelegt und nebeneinander ans Feuer gesetzt.
„Siehst du das Sternbild des Sah (Orion)? Ich frage mich, wie weit es weg ist. Es muss unermesslich weit weg sein.“
„Du stellst Fragen, die keiner beantworten kann, Senenmut“, schüttelte sie den Kopf. „So weit können sie doch nicht sein, sonst würden wir ihr Licht nicht sehen können.“
„Oder aber sie sind unvorstellbar hell. Allein die Göttin Nut könnte das wissen.“
„Oder wir fragen Chons, den Mondgott danach. Aber wie auch immer, es ist schön hier draußen.“
„Ich will dich nicht wegschicken, aber müsstest du nicht längst zurück sein?“
„Keine Angst, nur meine Amme Inet weiß Bescheid, dass ich hier bin. Meine Wachen habe ich zu Hause gelassen.“
Senenmut erfreute diese Auskunft. „Du bist nicht nur hübsch, sondern auch sehr mutig. Hast du keine Angst im Dunkeln?“ Senenmut erschrak innerlich über sein Geständnis. Sie sah ihn an und ihre Augen spiegelten den warmen Schein des Feuers wieder.
„Wenn du bei mir bist, habe ich keine Angst. Aber ich danke dir für dein Kompliment.“ Senenmut bemerkte, dass sie etwas zitterte. Er nahm seine Decke und legte sie ihr um die Schultern.
„Vielen Dank, aber jetzt hast du keine Decke mehr. Sie ist doch groß genug für uns beide!“, ermunterte sie ihn. Er setzte sich neben sie und ergriff die angebotene Hälfte. So nah war er ihr nie vorher gewesen. Ihr Duft erfüllte die nächtliche Wüste. Er spürte die Wärme ihres Körpers neben sich. Ihre Beine berührten sich und stumm genoss er ihre ungewollte Berührung. Er drehte sich zu ihr hin und sah ihr in die Augen. Ihr Gesicht war ganz nah. Langsam hob sie ihre Hand und streichelte seine Wange. Senenmuts Herz klopfte bis zum Hals, als er ihre Berührung erwiderte und ihr durch die Haare strich. Sie schloss die Augen und genoss seine Hand, die sanft ihre Halsbeuge entlang tastete. Ihre Nasen berührten sich, doch dann zögerte Senenmut und wich etwas zurück.
Sie öffnete die Augen und sah ihn verwundert an. „Was ist mit dir?“
„Es darf nicht sein! Du bist eine Prinzessin, und wenn wir wieder in Theben sind, darf ich dich nicht einmal ansehen, ohne von deiner Leibwache in Stücke gehackt zu werden.“ Senenmut zerriss es das Herz.
„Vielleicht hast du recht, Senenmut. Verzeihe mir bitte. Es war dumm von uns, ich gehe jetzt besser.“ Sie stand auf und gab ihm seine Decke zurück. Schweigend nahmen sie zwei Fackeln, und so begleitete er sie bis zum Ufer des Nils, wo eine Barke auf sie wartete.
Schleppenden Schrittes ging er zurück. Er blickte auf zu den Sternen und fühlte sich so unglücklich, dass er sich wünschte, er wäre tot. Sie war ihm so nahe gewesen und jetzt war sie so unerreichbar wie die Sterne.
„Oh, ihr Götter, was habe ich getan, dass ihr mich so hart bestraft?“ Verzweifelt sprach er mit den Abbildern der Götter, die sich im tanzenden Licht des Feuers zu bewegen schienen. Aber sie blieben stumm.
Die Zeitung
Ich fröstelte etwas. Es war Abend geworden und die umliegenden Hügel verdeckten die sinkende Sonne. Ich war etwas verwundert über das soeben Erlebte. Es war mir das erste Mal passiert, dass ich das Auftauchen meiner Visionen bewusst zuließ. Es war überraschend für mich festzustellen, dass die Erlebnisse dieses Mal weniger schmerzhaft für mich waren. Trotzdem brauchte mein Körper etwas Zeit, um die Umgebungstemperatur zu registrieren. Wir hatten Hochsommer. Aber das Frösteln war mehr auf meinen Kreislauf zurückzuführen. Ich war sehr lange auf der Terrasse des Hotels still gesessen. Etwas Bewegung konnte mir also nicht schaden. Ein kleiner Rundgang vor dem Abendessen, und etwas Appetit hatte ich sowieso schon.
Die Bucht beschrieb einen fast perfekten Kreis, dem die Uferstraße folgte. An ihr entlang reihten sich verschiedene Tavernen, die sich jetzt langsam zu füllen begannen. Ein Leuchttransparent hob sich deutlich von den anderen ab. “Noda's Paradise“ stand da zu lesen. Ich konnte ihn nicht entdecken und beschloss, mir eine Taverne am Hafen zu suchen. An den Eingängen zu den Tavernen standen statt einer Speisekarte große Vitrinen mit zubereiteten Speisen, die lautstark von den Kellnern gepriesen wurden. Bouzouki-Musik krächzte und leierte aus diversen Lautsprechern über die Straße. Im Hafen hatte sich der Stau der Reisenden etwas normalisiert, aber ich war erstaunt darüber, wie viele Touristen jetzt hier unterwegs waren. Sehr viele Touristen waren Teenager, die mit Rucksäcken von Insel zu Insel reisten. Das Treiben war sehr lebhaft, aber nicht mehr ganz so hektisch. Die Uferstraße mündete im Hafen in ein großes Rondell, in dem die Busse auf Passagiere warteten.
Ich suchte mir einen kleinen Tisch aus, von dem ich einen Blick auf die Boote hatte, und bestellte meine Lieblingsspeisen. Zaziki, Bauernsalat und Moussaka. Dazu ein kleiner Krug mit Retsina. Den obligatorischen Ouzo würde ich später bei Noda trinken. Im Gegensatz zu dem Fähranleger war es bei den Segelbooten jetzt etwas ruhiger geworden. Die meisten Skipper saßen an Deck und genossen die laue Sommernacht bei einer Flasche Wein und viel Seemannsgarn. Die Ruhe wurde lediglich von den ein- und ausfahrenden Fähren unterbrochen, deren Heckwellen die Schiffe gehörig zum Schaukeln brachten. Wenn das die ganze Nacht so gehen würde, war an Bord nur wenig an Schlaf zu denken. Aber die Fährkapitäne galten unter Seglern auch nicht gerade als rücksichtsvolle Kavaliere.
Nach dem Essen schlenderte ich zurück und sog die Meeresluft ein. Es war kaum noch etwas übrig geblieben von dem vorher so stürmischen Wind. Auch der Meltemi hatte Feierabend gemacht und sich schlafen gelegt. Dagegen waren die Kellner der Tavernen kaum davon zu überzeugen, dass ich bereits gegessen hatte.
„Elate, elate!“, waren ihre Rufe überall zu hören. „Efaga thora! Ich habe gerade gegessen!“, wehrte ich dankend ab. Nachdem die ausländischen Touristen gespeist hatten, leerten sich die Tavernen sehr schnell. Lediglich griechische Gäste saßen noch dort. Gewohnheitsmäßig essen die Griechen sehr spät zu Abend. Am Tisch konnte ich sie sofort als Griechen identifizieren. Denn im Gegensatz zu den Deutschen bestellt die Tischgemeinschaft, die Parea, alles zusammen. Meist viele kleine Tellerchen mit verschiedenen Vorspeisen, den Mesedes. So bekommt jeder von allem etwas. Mit den Hauptspeisen wird genauso verfahren. Und als Krönung die Nachspeise, mit viel Zucker. Halwas, der Honigkuchen zum Beispiel. So eine Tafelrunde kann einige Zeit in Anspruch nehmen und in allgemeinem Gesang oder Tanz enden, wenn die Bouzouki dabei ist. Bezahlt wird auch gemeinsam. Jeder legt etwas dazu, bis die Rechnung beglichen ist. Getrennte Rechnung heißt in Griechenland „die deutsche Art“.