Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Das verbessert die Wundheilung“, versprach ihm der Arzt. „Und wenn die Wunde nicht geschlossen bleibt, können wir das Ganze noch mal wiederholen!“ Dankend lehnte Senenmut ab. Soweit wollte er es nicht kommen lassen. Die Angst vor einer erneuten Wundbehandlung mit Termiten schien sich sehr positiv auf die Heilung seines Beines auszuwirken. Er konnte zunehmend Besserung verspüren. Die Wunden in seiner Seele würden allerdings wesentlich länger brauchen.
So segelten sie das Nildelta hinauf, vorbei an den Tempeln und Pyramiden längst vergangener Könige. Senenmut genoss die Ruhe und das sanfte Schaukeln im Wind. Die Segel blähten sich darin, rasch wurden sie den Nil aufwärts getragen. Rechts und links wurde der Horizont von der Wüste und ihrem goldenen Sand begrenzt. Manchmal reichte er bis ans Ufer des Nils.
Doch dort, wo die Nilbewohner mit Schöpfrädern das Wasser des Flusses auf den trockenen Schlamm leiteten, brach der Boden auf und fruchtbares Grün erfreute das Auge. Palmen säumten die Ufer und wiegten sich leicht im Wind. Üppig bestandene Felder erwarteten reiche Ernte, die Ähren des Kornes bogen sich vor Last. Auch die Weinreben versprachen süße Genüsse. Das Vieh war wohlgenährt.
Im Schilf schnatterten die Enten laut über die Störung durch die Heimkehrer und brachten sich im Papyrus in Sicherheit, der dicht an dicht das Ufer bewuchs. Er war das Symbol des Nildeltas, während in Oberägypten selbst die Lotosblume die Sieger begrüßte.
Auf dem Wasser war die Hitze nicht so spürbar, die im Niltal herrschte. Der Wind brachte angenehme Kühlung. Senenmut hatte sich auf dem Deck niedergesetzt und sich mit dem Rücken an den Mast gelehnt. Er freute sich auf zu Hause und auf seine Familie, die er schon bald in die Arme schließen würde. Die Barke trug den Horusfalken als Zeichen des Pharaos am Bug. Die Bewohner der Dörfer deuteten das Erscheinen der Barke richtig als Zeichen des Sieges. So verbreitete sich die Nachricht an Land schneller flussaufwärts, als die Barken segelten. Als sie schließlich Theben erreichten, warteten schon viele Bewohner am Nilufer auf die Ankömmlinge. Überall herrschte Freude am Sieg des Pharaos über die Mitanni, die es gewagt hatten, Ägypten als Herrscher der Welt infrage zu stellen. Thutmosis hatte die Maat, ihre Weltordnung, wiederhergestellt zum Ruhme Ägyptens.
Senenmut hatte seine Pflicht erledigt und machte sich auf den Weg zu seiner Familie, die ihn gewiss nicht so früh zurück erwarten würde. Er hatte Mühe, sich durch die ihm entgegenströmenden Menschen einen Weg zu bahnen, zumal er noch nicht so standfest auf seinem verletzten Bein war. Viele wollten direkte Kunde von ihm haben. Er trug ja immer noch die Uniform eines Soldaten der Wagenlenker und Bogenschützen, er hatte viel damit zu tun, allzu neugierige Frager abzuwehren.
Kurz bevor er das Haus seiner Eltern erreichte, konnte er seinen jüngeren Bruder Minhotep erkennen, der ebenfalls gegen die strömende Menge seinen Weg zu bahnen versuchte. Er hatte den Blick nach unten gerichtet und schien keine Notiz von dem Jubel zu nehmen, der um ihn herrschte. Seltsam gedrückt wirkte er gegen die fröhlichen Gesichter rundum.
„Minhotep!“, rief Senenmut ihn an. Doch seine Stimme ging in dem allgemeinen Jubel unter. Etwas derber benutzte er nun seine Ellenbogen, um sich dichter an seinen Bruder heranzuarbeiten. Erboste Rufe drangen ihm hinterher, einer packte ihn an seiner Uniform und wollte ihn festhalten, aber ein gezielter Faustschlag auf die Nase überzeugte ihn, abzulassen. Endlich war Senenmut näher gekommen und rief Minhotep erneut an.
„Senenmut!“, erkannte er ihn sofort und lief auf ihn zu.
„Allen Göttern sei Dank, dass du zurück bist!“ Er fiel Senenmut um den Hals und begann hemmungslos zu schluchzen.
„Was ist denn passiert? So rede doch!“ Senenmut hatte eine schreckliche Ahnung.
„Unser Vater Ramose ist in das Reich des Osiris eingegangen!“, schluchzte Minhotep. Jetzt stiegen auch in Senenmut die Tränen empor und weinend fielen sie sich in die Arme. So gingen sie ins Haus, wo ihn seine anderen Geschwister und seine Mutter Hatnofer empfingen. Sie waren ebenfalls überrascht über seine frühe Heimkehr und froh, dass sie ihren Schmerz mit ihm teilen konnten. Die Trauer war so groß über den Tod des Vaters, so fragte auch niemand nach dem Grund seiner Heimkehr. Senenmut war froh darüber, keine Auskunft geben zu müssen. Der einzige Mensch, dem er es erzählen wollte, war gegangen. Sein Vater wusste alles von ihm.
„Dein Vater ist im Schlaf ins Binsengefilde gegangen. Er war ohne Schmerz, als Anubis ihn zu Osiris rief. Die Priester des Amun brachten ihn nach Hause.“ erzählte Hatnofer. „Er fühlte sich schwach und wollte schlafen. Ich habe seine Hand gehalten, als er von uns gegangen ist. Er ist eingeschlafen und nicht mehr erwacht.“ Mit leeren Augen blickte sie in eine Ecke des Raumes. „Welchen Sinn hat denn mein Leben jetzt noch?“
Tröstend strich Senenmut über den Kopf seiner Mutter, die ihm plötzlich so schwach und zerbrechlich schien.
„Weißt du noch, als wir beim Talfest im Totentempel die Bilder entzifferten?“, erinnerte sich Senenmut. „Du und Vater haben mir damals vorgeschlagen, als Schreiber im Tempel zu dienen. Er hat mich die Schrift gelehrt. Ich werde eurem Rat folgen und habe beschlossen, diese Gabe zu nutzen. Ich werde morgen zum Tempel gehen und die Priester fragen, ob ich an seine Stelle treten kann. So kann ich auch sein Andenken ehren und er wird durch uns weiterleben im Reich des Osiris!“
Seine Mutter war erleichtert. „Das ist sehr weise, Senenmut, Dein Vater wäre sehr stolz auf dich gewesen. Du weißt ja, dass er es nie gut geheißen hat, als du zur Armee wolltest.“
Hatnofer erhob sich und drückte sich an seine Brust. Senenmut nahm sie in die Arme und blickte auf seine Familie, deren Oberhaupt er nun war. „Mein Vater, wo bist du nur?“, dachte Senenmut, seine Augen füllten sich erneut mit Tränen.
Der Bordlautsprecher riss mich zurück in die Wirklichkeit. „Sehr geehrte Fluggäste, wir haben unsere Reise-Flughöhe verlassen und befinden uns im Anflug auf Santorin. Wir bitten Sie, ihre Plätze wieder einzunehmen, sich anzuschnallen und das Rauchen einzustellen!“ Jedes Mal, nachdem ich geträumt hatte, war ich wie benommen. Es war fast so, als versuchte etwas mich daran zu hindern, in die Gegenwart zurückzukehren. Die Träume hatten begonnen, nachdem ich den Skarabäus für Peter betrachtet hatte. Von da an waren sie ständiger Begleiter meiner Nächte geworden. Zuerst unklar und verschwommen, konnte ich mich an kaum mehr erinnern, als dass ich geträumt hatte. Aber mancher Traum kehrte zurück, bis ich ihn sozusagen auswendig konnte.
Der Griff nach meinem Arm erinnerte mich daran, dass die Landung unmittelbar bevorstand. Entschuldigend lächelnd hatte meine Flug-Nachbarin nach einem Halt gesucht. Im scheidenden Licht des Tages konnte ich die Umrisse des Vulkankraters sehen, die steil aus dem Meer aufragten und die Insel Santorin bildeten. Die Maschine wurde sichtlich durchgerüttelt. Der Meltemi, der allgegenwärtige Sommerwind, sorgte dafür, dass nur erfahrene Piloten die Landung wagen durften. Erstaunlich präzise setzte die Maschine auf dem Rollfeld auf. Erleichtert klatschten die Fluggäste Beifall. Der Hinweis, sitzen zu bleiben, wurde kaum beachtet. Jeder hatte damit zu tun, als Erster das Flugzeug zu verlassen. Ich ließ mir Zeit damit, denn in Griechenland gingen die Uhren etwas langsamer.
Die Ersten unter den Fluggästen würden genauso lang warten müssen, bis sie ihre Koffer sehen würden. So verließ ich als einer der letzten Passagiere die Maschine und sog die Abendluft ein. Der Duft des Meeres war nur zu ahnen, da er vorläufig von Kerosin-Geruch überlagert wurde. Ein kleiner Bus brachte den Rest unseres Klubs in die Ankunftshalle, wo wir auf die Mitflieger trafen, die es so eilig gehabt hatten. Mehr unwillig förderte das Gepäckband die ersten Koffer zutage. Zu meinem inneren Triumph erspähte ich meinen Koffer als einen der Ersten. Nach den kurzen Einreise-Formalitäten wurden wir vom zuständigen Reiseleiter empfangen.
„Herr Menzl?“, begrüßte mich die Dame