Regen am Nil. Rainer Kilian
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„Du sahst echt nicht gut aus gestern“, eröffnete er sein Gespräch.
„Danke für das Kompliment. Ich bin halt wieder ein Jahr älter geworden.“
„Aber mit 35 Jahren sollte man schon die Realität von der Fantasie auseinanderhalten können. Und da, glaube ich, hast du ein paar Probleme.“
Wie gesagt, wir kannten unsere Geheimnisse und er war einer der wenigen, die von meinen Träumen wussten.
„Jo, ich weiß nicht, wie ich es dir noch sagen soll. Es ist nicht nur ein Traum. Es sind wie längst vergessene Erinnerungen. Wenn ich davon träume, ist es so, als erlebe ich es nochmals. Und die Träume sind für sich recht seltsam und scheinen manchmal sinnlos. Aber sie haben angefangen, sich wie ein Puzzle zusammenzufügen.“
Er runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen nach oben. „Deshalb bin ich noch mal hergekommen. Ich mach mir wirklich Sorgen um dich. Als du mir das erste Mal erzählt hast, dass du Träume hast, habe ich gedacht, dass du irgendein Zeug rauchst, das dir den Verstand vernebelt. Aber ich denke langsam, dass du dir einen anderen Beruf suchen solltest. Vielleicht dampft der alte Trödel irgendwas aus, das dir den Schädel verdreht.“
Seine recht direkte Art, Dinge auszudrücken, war für Außenstehende ungewohnt und konnte beleidigen, aber ich war es gewohnt und konnte gegebenenfalls mit gleicher Münze zurückzahlen. Aber mir war nicht nach Streiten zumute. Jedoch die Bezeichnung „Trödel“ hatte ich heute schon zweimal gehört. Und das war einmal zu viel. Bevor ich jedoch etwas entgegnen konnte, signalisierte das Blubbern der Kaffeemaschine, dass der Leben spendende Trank fertig war. Also holte ich tief Luft und schluckte meine Bemerkung herunter.
Ich fischte zwei Kaffeetassen aus dem Schrank und füllte sie mit dem herrlich duftenden Gebräu. Eigentlich war ich nicht genießbar, bevor ich nicht wenigstens eine Tasse getrunken hatte. Wenn es keinen Kaffee geben würde, hätte ich ihn gewiss erfunden. Eine heiße Dusche gehörte ebenso zu meinem morgendlichen Ritual, um den Motor auf Trab zu bringen. Mein Hausarzt hatte mir etwas von einem zu niedrigen Blutdruck erzählt, aber damit könnte ich hundert Jahre alt werden. Im Volksmund hieß so etwas Morgenmuffel. Aber damit konnte ich leben. Dafür war ich noch wach, wenn andere schon lange müde waren.
Auf jeden Fall war mein morgendliches Aufwachritual empfindlich gestört worden, aber in Anbetracht meines Urlaubes war ich bereit ihm zu vergeben. Ich blies in meine Kaffeetasse, um ihn auf trinkbare Temperatur zu bringen und reichte Jo seine Tasse.
„Wie trinkst du deinen Kaffee?“
Der griente übers ganze Gesicht. „Ohne Ketchup!“
Wer solch nette Freunde hat, braucht keine Feinde mehr, dachte ich mir. Aber der erste Schluck Kaffee stimmte mich versöhnlich. „Okay, okay. Für dich würde ich sogar Blausäure besorgen, wenn ich die Garantie hätte, dass Ruhe wäre vor dir!“
„Wer soll denn sonst auf dich aufpassen? Deine Traumfrau muss ja wohl noch gebacken werden. Vor allem wenn sie eine Königin als Konkurrentin hat. Aber mal im Ernst“, seine Miene hatte etwas an Heiterkeit verloren. „Es wird mal Zeit für dich, dir was Weibliches zu suchen. Was real Existierendes, meine ich. Du bist gerade gewachsen, ein Kerl im besten Alter. Du hast deine Firma die eine Familie ernähren kann. Mir fallen auf Anhieb mindestens fünf Mädels ein, die glücklich wären, wenn du sie mal zum Essen einladen würdest.“
„Sind die so ausgehungert?“
„Stell dich doch nicht blöder an, als du bist. Aber wenn du es so nennen willst, könnte ich die Frage mit Ja beantworten. Oder weißt du nicht mehr, wie es geht?“ Ich wusste ja, dass er nicht ganz Unrecht hatte, was mich umso mehr ärgerte. Aber meine letzte Beziehung war eine mittlere Naturkatastrophe gewesen und ich hatte noch keine Lust auf neue Experimente.
„Mein Gott, Felix. Denk doch nur mal an das letzte Lindenfest. Die kleine Blonde in der Sektbar hat dich den ganzen Abend angestrahlt. Brauchst du 'ne schriftliche Einladung?“
Ich wusste schon, worauf er hinaus wollte. „Das war eine gute Kundin von mir, die brauchte eine Expertise eines Erbstückes“, verteidigte ich mich.
„Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel! Um die zwei Erbstücke zu analysieren, die sie an dem Abend dabei hatte, wäre die Nacht zu kurz gewesen. Aber ich sehe schon, Frauen haben bei dir nur 'ne Chance, wenn sie mindestens tausend Jahre alt sind.“
Er hatte ja recht. Ich konnte ihm schlecht was vorlügen.
„Deshalb fahr ich auch nach Griechenland in Urlaub. Ich will mal raus aus der Mühle und etwas anderes sehen. Ich verspreche dir auch, dass ich mich mit Frauen unterhalten werde, die jünger als tausend Jahre sind. Aber ich muss erst mal selbst mit mir klarkommen. Und vor allem will ich darüber nachdenken, was diese Träume bedeuten.“
Johannes ließ noch nicht locker, obwohl er schon etwas beruhigter schien: „Felix, das war bestimmt 'ne gute Entscheidung. Vielleicht findest du wieder in die Realität zurück, wenn du was anderes siehst als Trö ..., sorry, Antiquitäten. Der olle Kram hat dir nicht nur das Hirn lahmgelegt, sondern auch deine Hose. Irgendetwas muss dieser Staub beinhalten, was nicht gesund ist für dich.“ Beschwichtigend hob er die Hände gegen mögliche Einwände von meiner Seite und beruhigte mich mit einer neuen Tasse Kaffee. „Aber glaube mir, wenn das nicht aufhört mit deiner Träumerei, dann musst du was unternehmen. Ich kenne da einen guten Therapeuten in Kiedrich ...“
Ich unterbrach ihn. „Du meinst einen Seelenklempner? Nein, danke! Das habe ich alles schon hinter mir.“
„Also nix gegen Klempner, gell? Aber fahr mal in Urlaub, das wirkt Wunder. Ich wollte dir nur sagen, dass ich dir alles Gute für deine Reise wünsche. Wo fliegst du noch mal hin?“
„Nach Ios über Santorin. Ich war vor ein paar Jahren im Hafen dort während eines Segeltrips durch die Kykladen. Ist herrlich ruhig dort. Das letzte was ich brauchen würde, ist ein Urlaub am Ballermann. Aber das habe ich dir schon ein paar Hundert Mal erzählt.“
„Ach ja, gestern Abend noch. Jetzt fällt es mir ein. War wohl ein Riesling zu viel. So, und jetzt muss ich los!“ Er stand auf und musterte noch einmal seine leere Tasse.
„Melde dich mal zwischendurch, wie es dir geht, okay?“
„Ja, klar.“ Ich begleitete ihn noch bis ins Erdgeschoss an die Ladentür. Dort gab er sich die Klinke mit meiner Mitarbeiterin Monique in die Hand, die uns mit strahlendem Lächeln begrüßte.
„Bon Jour, Herr Menzl. Sie sind schon wach? Ich 'abe gedacht, Sie 'aben doch Urlaub!“
„Ausnahmsweise, ja. Reisevorbereitungen“, schummelte ich und blickte auf Johannes. Dieser konnte nicht umhin, vielsagende Blicke zwischen Monique und mir zu wechseln. Hinter ihrem Rücken formte er mit seinen Händen ihre Figur nach. Mein warnender Blick hielt ihn aber von weiteren Bemerkungen ab.
„Übrigens, Jo“, ich konnte mich nicht beherrschen, ihm noch eine Denksport-Aufgabe mit auf den Weg zu geben. „Um auf den Beginn unseres Gespräches zurückzukommen, Ramses und Kleopatra sind sich nie begegnet. Da liegen etwa 1200 Jahre dazwischen!“
„Schade eigentlich, aber das passt ja ...“, bemerkte er noch, dann drehte er sich um und entschwand über den Marktplatz in Richtung Rathaus. Mit diesem trockenen Kommentar hatte er den Ball wieder zu mir zurückgespielt.
Ich stand im Eingang meines Ladens und sah hinüber zur Geisenheimer Kirche, die wegen