Regen am Nil. Rainer Kilian

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Regen am Nil - Rainer Kilian

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die rasch an Größe zunahmen. Das Trommeln gegen die Glasfenster wurde rasch heftiger, sodass Wohlfarth Bedenken hatte, sie würden dem Druck standhalten. Er würde wohl noch etwas auf seinen geliebten Apfelwein warten müssen, er konnte ja schließlich nicht das Häuflein Menschen im Vorraum dem Sturm zum Fraß vorwerfen.

      Ängstlich duckten sich die Frauen bei jedem Blitzschlag, aber die Männer schauten auch nicht viel mutiger nach draußen. Dort war es rabenschwarze Nacht geworden. Alle Geräusche wurden vom Jaulen des Windes und dem Trommelfeuer des Hagels geschluckt. Nur wenn ein Blitz über den Himmel zuckte, war unscharf etwas von draußen zu erkennen.

      Ein Besucher löste sich aus der Menge und nutzte die verbleibende Zeit, um noch einmal die Mumie des Chaemwaset zu betrachten. Ihn schien das tobende Inferno draußen wenig zu beeindrucken. Allen anderen wurde klar, dass ein Unwetter wie dieses seit ewigen Jahren nicht stattgefunden hatte. Ernst Wohlfarth konnte sich nicht vorstellen, dass es heute etwas Schlimmeres für ihn geben könnte als eine solche Naturgewalt, aber er sollte sich irren, und zwar gewaltig.

      „Ob es am Nil auch mal regnet?“, dachte er noch, kurz bevor das Unheil seinen Lauf nahm.

      Der Druck der Windböen auf die Scheiben und die Erschütterung durch den Hagel war zu groß geworden für das alte Fenster, an dem Wohlfarth stand. Der Rahmen gab ein ächzendes Geräusch von sich, das ihn unmittelbar zur Seite springen ließ. Bruchteile von Sekunden später barst die Scheibe. Ein Schwall Wasser, gemischt mit Hagel und Glassplittern, stürzte sich in den Raum und auf den Platz, an dem Ernst Wohlfarth gerade noch gestanden war. Zeitgleich ging die Sirene der Alarmanlage los, die Hölle brach über ihn herein. Gelähmt vor Schreck war er unfähig, sich zu bewegen.

      Mehr aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass der Besucher vor Chaemwasets Mumie diese plötzlich in der Hand hielt. Zuerst sah es so aus, als wollte er sie in Sicherheit bringen. Aber im nächsten Moment warf er sie auf den Boden, wo sie in Hunderte Stücke wie morsches Holz zerbrach. Auf den Knien riss er die verbliebenen Binden von dem Teil herunter, das zuvor den Brustkorb gebildet hatte. Dabei zerfiel dieser in noch kleinere Stücke.

      Als man Wohlfarth später vernahm, gab er zu Protokoll, dass der Besucher rief: „Oh Gott, er ist es nicht!“ Das war wohl der Moment, in dem ihm klar wurde, dass er nicht träumte.

      „Das gibt es doch nit!“, schrie er und rannte auf den Täter los. Von überall her kamen jetzt seine Kollegen gelaufen, aber er war derjenige, der dem scheinbar Irren am nächsten war. Kurz bevor er ihn greifen konnte, rutschte er auf dem hereinbrechenden Eis-Hagel aus und schlug hart auf den Boden auf. Wie im Nebel nahm er wahr, dass der Fremde über ihn hinwegsetzte und auf das zerbrochene Fenster zu lief. Er sprang auf den Stuhl von Ernst Wohlfahrt und von dort auf das Fenstersims. Gespenstisch hob sich der Umriss seines Körpers gegen das Chaos draußen ab, das kurz von einem Blitz erhellt wurde. Dann stieß er sich ab und landete auf den Steinplatten des Vorplatzes.

      Er sah die Polizisten noch, die sich durch die Alarmanlage aufgeschreckt durch den Sturm kämpften. Doch bevor sie ihn erreichen konnten, krachte ein Blitz in eine Fahnenstange, direkt neben ihm am Rande des Vorplatzes. Als gleißendes Licht sprangen Millionen Volt an Energie aus dem Mast und stachen Flammen sprühend in den Körper des Fremden. Wie eine Stoffpuppe wirbelte er über den Vorplatz und blieb reglos liegen.

      Kurz darauf war der Sturm so schnell vorbei, wie er gekommen war. Außer dem Toten hinterließ der Sturm eine Schneise der Verwüstung und einen pensionsreifen Museumswärter. Die Zeitungen am nächsten Tag hatten genug Material, um das Sommerloch zu füllen.

       Das Talfest

      „Beeile dich, Sohn! Der Pharao wird gleich da sein!“ Die Barke hatte am westlichen Ufer des Nils angelegt, um ihre Passagiere aussteigen zu lassen. Lediglich der halbwüchsige Junge war noch im Boot und sah fasziniert auf die Flotte der Schiffe, die den Nil hinaufsegelte. Alle Boote waren von Fackelschein erleuchtet, denn es war Neumond im zweiten Monat des Schemu, des ägyptischen Sommers. Der Schein der Fackeln spiegelte sich golden in den Fluten des Nils. Bereits am Tage war die goldene Barke des Amun aus seinem Heiligtum in Theben aufgebrochen, um in Begleitung der Götter Mut und Chons über das Netz der Kanäle zum Totentempel am Rande der Wüste zu gelangen. Jetzt war alles bereit zur Ankunft des Pharaos.

      Schon von Weitem kündigten Sistrum, Trommeln und Bläser das Nahen des Herrschers der beiden Länder mit seiner Familie und seinem Hofstaat an.

      „Senenmut, beeile dich, sonst werden wir zu spät kommen!“ Erst nachdem er ihn an die Hand nahm, gelang es dem Vater, seinen Sohn von dem Anblick zu lösen. Wie seit vielen Jahren kam Senenmut in der Nacht mit seiner Familie zum alljährlichen Talfest auf dem westlichen Nilufer, um die Toten zu ehren und mit ihnen gemeinsam zu feiern. Nach dem ägyptischen Glauben waren die Seelen der Verstorbenen in der Lage, mit ihren Familienmitgliedern zu feiern und unter ihnen zu wandeln. Aber bevor man sich der eigenen Familie widmete, wartete man gespannt auf das Erscheinen des Pharaos, der mit seinem Gefolge den Nil heraufkam. Das war der Höhepunkt im Jahreslauf von Senenmuts Familie. Die Menschen kamen von überall her, um den lebenden Horus zu sehen, denn er war direkter göttlicher Abstammung; ihn zu sehen verhieß Glück und Segen für das Jahr. Durch die Hand des Vaters geführt, bahnte sich die Familie einen Weg durch die immer dichter werdende Traube an Menschen. Wachen hatten einen Bereich am Nilufer abgesperrt, dessen Zugang den niedriger gestellten Untertanen verwehrt war. Als sie den Bereich durchschritten, trat ein Soldat mit seinem Schwert fragend auf sie zu.

      „Halt im Namen des Pharaos, Thutmosis dem Ersten! Wer seid ihr?“

      „Ich bin Ramose aus Iuni, Schreiber des Pharaos im Tempel des Amun, mit meiner Frau Hatnofer und meinen sechs Kindern.“

      „Sei willkommen, Ramose.“ Der Soldat senkte seine Waffe. Erkennendes Lächeln ließ die Spannung in seinem Gesicht weichen. „Die Götter waren dir gnädig und haben dir eine große Familie geschenkt. Deine Söhne sind groß geworden seit dem letzten Mal. Ich kenne dich aus dem Tempel. Ihr müsst euch beeilen!“ Er wies ihnen einen Platz an, von dem sie die Ankunft beobachten konnten.

      Die Barke des Pharaos hatte festgemacht. Die Musik hatte mit seinem Eintreffen an Lautstärke zugenommen, die Senenmut in den Ohren schmerzte. Die Soldaten bildeten ein Spalier für den Hofstaat, der in kostbare Gewänder gekleidet an Land kam.

      „Heil dir, Thutmosis!“, jubelte die Menge, als der Herrscher erschien. Senenmut war stumm vor Staunen, als er die Fülle an Reichtum erblickte, welche die golddurchwirkten Gewänder des Pharaos und seiner Familie ausstrahlten. Golden glänzten die Ringe und die Armreifen. Der Brustschmuck, ebenfalls aus purem Gold, warf das Licht der Fackeln zurück und war mit edlen Steinen verziert. Die Doppelkrone als Zeichen der Herrschaft über die beiden Länder trug Geier und Kobra. Der künstliche Kinnbart war ebenso das Zeichen der pharaonischen Würde und wies ihn als lebenden Horus und rechtmäßigen Herrscher aus.

      Senenmut stimmte in die Jubelrufe ein, als sich der farbenprächtige Zug mit dem Pharao an der Spitze in Bewegung setzte und Kurs auf die Gedenkstätten hielt. So strömte die Menge zu den Hügeln, jede Familie ging zu den Begräbnisstätten ihrer Vorfahren. Auf dem Weg hatte Senenmut viele Fragen an seinen Vater, die dieser wie immer geduldig beantwortete.

      „Vater, warum feiern wir das Talfest?“ Ramose freute sich insgeheim über die Wissbegier seines Sohnes.

      „Weil wir so die Erinnerung an deine Vorfahren erneuern. Ihr Ba, ihre Seelen, werden unter uns sein und mit uns feiern und so auch ihr Ka, ihre Lebenskräfte erneuern.“ Sie erklommen einen steilen Pfad am Abhang eines Berges, der sie zu einem kleinen Totentempel führte. Er war in Form eines umgekehrten „T“ angelegt, dessen Längsachse in den Fels führte. Dort stand in einer Nische eine Statue des Osiris, des Herrn der Unterwelt,

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