Regen am Nil. Rainer Kilian
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Regen am Nil - Rainer Kilian страница 7
Bereits mein Großvater hatte vor mehr als 70 Jahren den Handel mit alten Möbeln und Antiquitäten begonnen. Mein Vater hatte es von ihm übernommen. Er hatte sich auf alte Schriften und Bilder spezialisiert. Er hatte ein glückliches Händchen bewiesen und mit 50 Jahren ein kleines Vermögen geschaffen, das es ihm und meiner Mutter ermöglichte, nach Kanada zu übersiedeln und sich an der Westküste seines Lebens zu freuen. Am meisten tat er das, wenn er einen großen Lachs gefangen hatte.
So war auch ich in den Antiquitätenmarkt eingestiegen und es war mir gelungen, den Handel über das Internet weltweit auszudehnen. Mit Hilfe von Handy, Laptop und einer Internet-Verbindung war ich in der Lage, Gegenstände zu vermitteln und zu handeln, ohne dass sie je in meinem Laden standen. Diese Art von elektronischem Antiquitätenmarkt war mittlerweile zu dem größeren Teil meines Einkommens angewachsen. Meine Mitarbeiterin Monique war mehr mit Korrespondenz im Netz beschäftigt als im Laden selbst. So manch ein Geisenheimer machte sich so seine Gedanken, wie man von einem Geschäft leben konnte, in dem sich kaum ein Kunde befand.
Für die jüngere Generation war ein Computer ein ganz normales Zubehör, wie ein Fernseher für unsere Eltern. Aber für die älteren Bürger von Geisenheim blieb es wohl für immer ein Rätsel, wie man mit einem Computer Geld verdienen konnte. So kam ich jedoch ohne ein großes Ladenlokal und mit einer einzigen Mitarbeiterin aus.
Monique war ein wahres Organisationstalent. Während sie die morgendliche E-Mail abholte, hatte sie schon Kaffee gekocht und mir eine Tasse hingestellt. Eigentlich war mein Pensum an Kaffee voll für heute, aber ihrem fürsorglichem Blick konnte ich nicht widerstehen.
„Sie sehen etwas müde aus, haben Sie nicht gut geschlafen?“ „Doch, aber nur etwas zu kurz. Ich bin erst um 3 Uhr zum Schlafen gekommen.“
Sie erschrak plötzlich und kam auf mich zu. „Isch 'abe ganz Ihre Geburtstag vergessen!“ Ehe ich mir es versah, hatte sie mir einen angedeuteten Kuss auf die Wange gehaucht, der mich etwas erröten ließ. Ich war froh, dass Johannes schon weg war, eine dumme Bemerkung wäre mir sicher gewesen. Schon saß sie wieder am Computer und sortierte die Korrespondenz.
Ich hatte Kontakte zu Experten im Ausland geknüpft, die mir notfalls zur Seite standen, um Gegenstände zu datieren und zu beurteilen. Das ersparte mir viele unnötige Reisen, was sich günstig auf meine Verkaufspreise auswirkte. Monique hatte gemeinsam mit mir eine Homepage entwickelt, mit der wir weltweit werben konnten. Vor einiger Zeit war sie sogar mit einer kleinen Summe als Beteiligung an meiner Firma eingestiegen. Meine Freunde hatten alle die Hoffnung, dass sie auch privat mit mir ein Team bilden würde, aber sie war seit Längerem verlobt. Außerdem war ich glücklich über eine so hervorragende Mitarbeiterin und war auch gut damit gefahren, Geschäft und Privates zu trennen, zum Kummer von Johannes.
Ich beschloss, die Überdosis Kaffee mit einem Spaziergang durch Geisenheim zu verarbeiten. Insgeheim musste ich schmunzeln. Mein Freundeskreis machte sich mehr Gedanken um mein Liebesleben als ich selbst. Dabei war ich erst ein halbes Jahr wieder Single. Nein, meine wahren Sorgen waren diese Träume, die so intensiv waren, dass ich sie als Erinnerung empfand. Sie schienen sich mehr und mehr in mein Leben zu drängen und mir kam es vor, als wollten sie mich in eine bestimmte Richtung dirigieren. Ich schüttelte unbewusst meinen Kopf, um einen klaren Gedanken zu fassen und ging die Fußgängerzone aufwärts Richtung Rathaus. Sinnierend blieb ich vor dem alten Lindenbaum stehen, dem der Platz vor dem Rathaus seinen Namen verdankte. Er war gewiss über siebenhundert Jahre alt, aber so genau wusste das keiner. Anbetracht seines hohen Alters hätte er wohl lächeln können über die Sorgen, von denen man sich den Tag vermiesen ließ. Können Bäume lächeln? Ich glaube, dieser ja.
In früheren Zeiten hielt man Gericht unter der Dorflinde. Dazu bog man die Äste in drei Etagen übereinander rund um den Stamm, um einen natürlichen Schirm zu erzeugen. Alle Äste, die dazwischen waren, wurden entfernt; die drei Schirme durch Biegen und Schneiden in Form gehalten. Was über der Schirmkrone wuchs, konnte frei wachsen. So hatte die Linde im Laufe der Jahrhunderte eine charakteristische Form erhalten. Sozusagen eine Doppelkrone.
Aber leider hatten ihr Baumaßnahmen an der Straße, bei denen man große Mengen an Wurzeln kappte, defekte Gasleitungen und asphaltierte Oberflächen dermaßen zugesetzt, dass die Linde erkrankte und der obere Teil der Krone entfernt werden musste. Umfangreiche Sanierungsmaßnahmen verhinderten Schlimmeres. Und so stand wenigstens die Schirmkrone heute wieder voll im Saft und war wieder so stark ausgetrieben, dass man sie sogar etwas zurückschneiden musste. Ich liebte diesen Baum für diese unerschütterliche Lebenskraft, die er ausstrahlte. Die Linde hatte für mich ein Gesicht, das lächeln kann. Auch heute war sie wieder ein Treffpunkt für Jung und Alt, der neueste Klatsch und Tratsch unter ihrem grünem Dach trieb ebensolche Blüten wie die Linde selbst.
So schlenderte ich weiter aufwärts über die Bahnschienen und stieg auf zum Gipfel des Rothenberges, ein kleiner Hügel, um den die Stadt im Laufe der Jahre herumgewachsen war. Das Kreuz am höchsten Punkt erinnerte daran, dass einst eine Mühle dort stand. Ich stellte mich vor die Bank, die hier zur Rast einlud. Man hatte einen Blick auf den gesamten Rheingau, von der Landeshauptstadt Wiesbaden und Mainz gegenüber, rheinabwärts bis zum Binger Loch und Rüdesheim. Hoch über den Hügeln grüßte das Niederwald-Denkmal mit seiner Germania-Statue. Als dünne Linie war die Seilbahn zu sehen, die die Touristen nach oben brachte. Weiter rechts in den Weinbergen lag die Abtei der heiligen Hildegardis, und wenn man sich ganz nach rechts umdrehte, schweifte der Blick über die Wälder des Rheingaus bis zum Schloss Johannisberg, dem Sitz der Fürsten von Metternich.
Hier oben war die drückende Schwüle des Spätsommers einem angenehmen Lüftchen gewichen, das über die Weinberge strich. Silbern glitzerte der Strom des Rheins in der Sonne und nur ein paar Schönwetterwolken waren am Himmel zu sehen. Weiß strahlende Schiffe der Köln-Düsseldorfer-Flotte zogen am Geisenheimer Dom vorbei, der sie majestätisch grüßte. Bis hierher trug der Wind das gleichmäßige Brummen der Schiffsmotoren. Dieser Sommer war nicht gerade von Schönwetterperioden verwöhnt, aber an Tagen wie diesem fragte man sich schon, warum man den Rheingau überhaupt verlassen sollte. Ich genoss die hervorragende Aussicht und machte mich auf der Rastbank breit. Die Bewegung und die Luft taten mir gut. Wenn diese Träume nicht wären, hätte mein Leben kaum besser sein können. Ich musste unwillkürlich daran denken, wie alles begann:
Es war ziemlich genau vor zwei Jahren, also kurz nach meinem dreiunddreißigsten Geburtstag, als ein Freund meinen Laden betrat. Peter war Kommissar beim Landeskriminalamt Wiesbaden. „Das Verbrechen schläft nicht!“ war seine leidvolle Erfahrung, denn er hatte dadurch zu Zeiten Dienst, wenn andere schon oder noch schliefen. Wir bekamen uns nicht so oft zu Gesicht, auch am meinem Geburtstag spielte er mal wieder Räuber und Gendarm. So war ich recht erfreut, als er mein Geschäft beehrte
„Ja, Hallo! Du lebst noch?“
„Grüß dich, Felix. Hast du mit meiner Frau gesprochen? Die hat mich heute das Gleiche gefragt.“
„Wann du es geschafft haben solltest, zwei Kinder in die Welt zu setzen, ist mir auch ein Rätsel. Aber schön, dass du hier bist. Wie komme ich zu der Ehre? Brauchst du ein Präsent für euren Jahrestag?“
Ein heiliger Schrecken fuhr in seine Glieder. „Au, ach weh, den hätte ich glatt verpasst, hast du was für mich?“
„Wie wäre es mit dieser Biedermeier-Kommode hier?“
Ich