Ganz für sich allein. Werner Koschan
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Mit einem Heben des Kopfes atmet er hörbar durch die Nase aus. Dann greift er mit Daumen und Zeigefinger an die Nase und atmet noch hörbarer wieder ein.
»Ach so is dett.«
Wieso klingen manche Dialekte spontan sympathisch? Ich senke den Kopf. »Entschuldigen Sie bitte, ich verschwinde schon.« Ich hebe den Koffer am Griff hoch und mache einen Schritt zur Tür.
Der Mann legt mir eine Hand auf den Arm. »Warten Se man noch ’n bissken. De Kerls sin nich weit jenuch wech.«
Er hält den Kopf aus der Tür und schaut in beide Richtungen. Er winkt mir, mich zurückzuziehen und ich hocke mich hinter die Theke. Was, wenn er mich nun verraten will? Die SS in das Café lockt? Nein, das kann ich nicht glauben. Hm, will ich zumindest nicht hoffen. Der Teufel soll den Stern holen.
Der Mann kehrt zu mir an die Theke zurück.
»Angst, wat? Kann ick mir denken. Se ham sicher viel schlechte Erfahrung mit die Leute jemacht?«
»Mit einigen, ja. Nicht mit allen.« Ich bemühe mich, ihn hoffnungsvoll anzusehen.
»Warten Se man ab. Noch’n paar Wochen und det janze Pack hat de Juden schon immer jeliebt. Man hat se denn bloß missvastandn. Nu man im Ernst, Männeken. Weswejen machen Se det Dings nich ab? Denn kann Ihnen keener mehr wat, aba alle könn Se mal jern haben.«
»Tja, so einfach ist das alles nicht. Darauf steht KZ.«
»Ach wat. Um uns mang is allet in Klumpen und ohne dat Dings kontrolliert Se keen Aas. Jehn Se ma auf Tauchstation. Ick bin sofort wieder da.«
Er verschwindet auf der anderen Seite der Theke durch einen dunklen Vorhang in einen Raum, der mir vorher gar nicht aufgefallen war. Daher hat er so urplötzlich vor mir auftauchen können. Was mag nun geschehen?
Nach einigen Momenten erscheint er hinter der Theke. Ich erhebe mich. Er stellt einen Teller mit herrlich duftendem Kommissbrot vor mich auf die Theke. Dick bestrichen mit Marmelade.
»Möjen Se vielleicht een Stück ›Adolf-Hitler-Kuchen‹?«
Ich stiere hungrig auf den Teller und schaue dann den Menschen an. »Was?«
Er zeigt mit einer Hand auf den Teller.
»Na, trocken jeröstetet Kommissbrot mit Marmelade. Riecht wie Kuchen. In Berlin saren ma dazu ebent ›AH-Kuchen‹. Nu haun Se man rin in de Stulle.«
Ich nehme die Scheibe, beiße ab und kaue. »Köstlich.«
»Na, lassen Se sich man ruhich een bissken Weile, niemand nimmt Ihnen wat wech. Kaun Se lieber orntlich.«
Er lacht und ergreift meine freie Hand. Er legt mir ein flaches Briefchen aus Fettpapier hinein und schließt meine Finger darum. Ich öffne die Hand kurz und entdecke eine in Wachspapier verpackte simple Rasierklinge.
»Damit trennen Se die Naht janz vorsichtig auf und schmeißen den jelben Fetzen int Feuer. Jibt ja jenuch davon im Momang.«
Ich habe mittlerweile meinen Kuchen hinuntergeschlungen und öffne nun eine Lasche des Briefchens.
»Nee, nee, mein Juter. Nich bei mir. Bei aller Liebe, ick hab keene Lust, jehängt zu werden. Machen Se det ma lieber woanders. Legen Se sich bis dahin det Messerchen in een Schuh. Und nu raus hier, mir is schon janz übel vor Bammel.« Er zögert. »Nee, is ooch schlecht, wenn man Se hier rauskommen sieht. Besser ick verschwinde erst ma für ‘ne halbe Stunde. Und wenn Se erwischt wern, weeß ick von nüscht. Le’m Se wohl, Männeken.«
Wieso wollen mir plötzlich wildfremde Menschen helfen? Das ist doch geradezu widersinnig. Ich stütze den Kopf in die auf der Theke verschränkten Arme.
»Sind Se valetzt? Kann ick Ihnen helfen?«
Ich schüttele den Kopf. »Mir kann niemand mehr helfen.«
»Sind alle umgekommen?«
Ich schaue ihn an. »Wer?«
»Na ja, als ick vorhin sah, wie Se hier rinjeloofen sind, dachte ick erst, Se wärn een Plünderer, denn ha’ck de SS jesehn und mir hinten nich jerührt vor Schiss. Aber wejen Ihrm Stern denk ick nu, det alle Ihre Leute hin sind, deswejen frage ick. Tschulljung.«
»Nein, nein. Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, weil ich bei Ihnen so eingedrungen bin. Wir dürfen ja nachts nicht draußen sein. Sonst hätte ich Sie gar nicht belästigt. Meine Frau habe ich zu Beginn des Angriffs vorhin verloren, dann schien es, als ob ich selbst mein eigenes Leben ... und Sie helfen mir einfach so. Das muss ich erst verkraften, verzeihen Sie.« Ich stütze den Kopf in die Hand. Es ist zum Heulen.
»Hat se sehr jelitten?«, fragt er teilnahmsvoll.
»Wer?«
»Nu, Ihre arme Frau.«
»Keine Ahnung. Ich hoffe nicht. Wie kommen Sie darauf?«
»Na, weil Se saren, Se hätten se vorhin varlorn. Da dachte ick...«
»Nein, nein. Um Himmels willen. Ich habe sie nur aus den Augen verloren. Ich hoffe, sie ist in Sicherheit in einem Arierkeller.«
Er tritt einen Schritt zurück. »Dusslije Bezeichnung. Arier. Wat for ’n Quatsch. Wir sin doch alle Deutsche, eener wie der andre.«
»Kann ich vielleicht was dafür, dass diese Kerle damit angefangen haben? Trotzdem sollten wir nicht so reden. Sowieso sollte ich besser den Mund halten.«
»Ham Se irjendwat ausjefressen?«
»Eine Menge: Ich darf nicht hier drinnen sein und dort draußen auch nicht. Und mit Ihrer Klinge werde ich gleich ziemlich viel ausfressen. Ich danke Ihnen nochmals recht herzlich. Bringen Sie sich in Sicherheit, in ein paar Minuten bin ich weg. Ich werde den Koffer auf die Theke legen. Wenn Sie ihn darauf nachher nicht mehr sehen, bin ich ebenfalls verschwunden. Danke.«
»Nüscht zu danken. Wiedasehn. Wat heeßt Wiedasehn auf Jüdisch?«
»Wir sagen Schalom.«
»Na denn, schalomm.«
Er beobachtet kurz die Lage draußen und ist mit einem Sprung verschwunden. Recht behände für solch ein Moppelchen, finde ich. Aber vor allen Dingen hat der Mann Chuzpe, obwohl ihm die Hilfeleistung nichts einbringt. Erinnert mich an den Bettler des ukrainischen Dorfes Anatevka im gleichnamigen Musical. Dort bittet der Bettler den Rabbi um eine milde Gabe. Der Rabbi gibt ihm eine Kopeke und der Bettler beschwert sich, weil er vorige Woche zwei Kopeken erhalten habe. Der Rabbi erwidert, dass er eine schlechte Woche gehabt hätte. Da braust der Bettler auf: ›Wie, wenn du eine schlechte Woche hast, soll ich leiden?‹ Wahre Chuzpe.
Wann waren Carola und ich das letzte Mal in einem Musical gewesen? Vergessen.
Ich ziehe den Mantel aus, wickele die Klinge aus dem Papier und beginne vorsichtig die Naht um den Stern zu zertrennen. Mit einer sehr strammen Doppelnaht ist das Mistding am Mantel befestigt. Schon nach wenigen Schnitten habe ich den Mantel um den Stern derart beschädigt, dass die