Ganz für sich allein. Werner Koschan
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Читать онлайн книгу Ganz für sich allein - Werner Koschan страница 20
Er winkt ab. »Scheiße, ich komm nicht mal richtig an den Koffer ran. Können Sie das Mistding bitte öffnen?«
Ach, auf einmal ist das ein Mistding, gerade hat er mich dafür vor die Tür gescheucht. Aber bitte schön, ich habe heut meinen sozialen Tag. Ich öffne den Koffer und schiebe ihn so zu dem Mann hin, dass er hineingreifen kann. Er hantiert kurz in dem Koffer, lässt dann den Deckel völlig aufklappen und schaut mich an. »Nicht mal das geht noch. Tun Sie mir einen Gefallen und geben mir etwas zu trinken, ja?«
»Ja.« Als ich in den Koffer blicke, muss ich nicht schlecht staunen. Neben einer Reihe Rollen, die fein säuberlich in Papier gewickelt darin liegen, entdecke ich einige alte Bücher, die wie Bibeln aussehen, sowie zwei Flaschen Cognac Napoléon und eine Reihe ineinandergesteckte Goldbecher. Eine der beiden Flaschen scheint angebrochen. Ich nehme sie heraus und zeige sie dem Mann. Er nickt. Ich ziehe den bereits gelösten Korken und reiche ihm die Flasche und einen der Goldbecher. Er gießt den Becher randvoll mit der würzig duftenden goldgelben Flüssigkeit. Auf einen Zug kippt er den Cognac und atmet kräftig durch den Mund aus. »Wollen Sie auch einen?«
»Nein, ich vertrage keinen Schnaps.«
»Das ist kein Schnaps! Was sind Sie denn für ein drolliger Vogel. Na dann, zum Wohl.« Noch solch einen Becher voll kippt er und hämmert dann mit dem leeren Becher auf einen seiner Oberschenkel. »Na, das war’s dann wohl.«
»Haben Sie genug?«, frage ich. »Soll ich die Flasche wieder einräumen?«
»Nee, nee, das lassen Sie mal schön bleiben.«
»Meinetwegen, aber wie kriegen wir Sie jetzt auf die Beine?«, frage ich. »Wir sollten schnellstens verschwinden.«
Er hält die Augen geschlossen und bewegt leicht verneinend den Kopf.
»Na, Sie können ja hier schlecht liegen bleiben. Der Kasten brennt oben schon. Wir müssen raus. Und zwar schleunigst!«
»Gehen Sie alleine«, sagt er und kippt einen weiteren Becher.
»Ja, Pustekuchen. Und Sie lasse ich einfach liegen, was? Ich bin doch kein Tier.«
Wieder voll den Becher und runter damit. Ob der irgendwo ein Loch hat? Er schluckt nicht mal richtig, sondern lässt den Schnaps einfach durch die Kehle rinnen. »Mit Kurt Anders ist es aus.«
»Wer ist Kurt Anders?«
»Ich. Ich bin Kurt Anders.«
»Angenehm, Jakob Löwenthal.«
»Gleichfalls, Herr Löwenthal.« Er kippt von Neuem. »Sie müssen mir helfen, Herr Löwenthal.«
»Ja, wie denn? Soll ich Sie tragen? Blödsinn, das schaffe ich nie.«
»Nein, Sie sollen nicht mich tragen, sondern den Koffer!«
»Wozu das?«
»Sie müssen den Koffer übernehmen und ihn zu meiner Familie bringen.«
»Ich?«
»Ja, bitte. Ich komme hier nicht mehr weg, sonst würde ich das selbst tun. Ich spüre meine Beine wirklich überhaupt nicht mehr. Nein, für mich ist die Reise zu Ende. Na egal! Tun Sie mir den Gefallen und bringen Sie den Koffer meiner Familie nach München.«
»Nach ... nach München? So gerne ich Ihnen ja helfen möchte, aber das ist vollkommen unmöglich!«
Er gießt sich erneut ein und trinkt. »Wieso unmöglich?«
Ich tippe mit der Hand an meinen Stern. »Deshalb, ich bin Jude.«
»Machen Sie bloß das dämliche Ding ab!«
»Das ist bei Todesstrafe verboten!«
»Mann Gottes.« Seine Stimme schwingt leicht, na kein Wunder, so, wie der Mann den Schnaps kippt. »Reden Sie nicht solch einen Unsinn, Verbote und Todesstrafe. Machen Sie das Scheißding ab und sehen Sie zu, dass Sie beizeiten auf einen Baum steigen!«
»Auf welchen Baum?«
»Kennen Sie nicht Wilhelm Busch?«
»Doch schon.« Jetzt fängt der damit an. Bruno hatte mir das erzählt und ich lerne so schnell auswendig. »Wenn das Rhinozeros, das schlimme, dich fressen will in seinem Grimme, und so weiter und so weiter. Ja, kenne ich!«
»Na, sehen Sie. Also weg mit allem, was bisher war und rauf auf den Baum. Im Koffer sind die Sachen meiner Familie, die ich habe retten können. Und Schmuck. Der steckt in den Büchern, die sind nämlich hohl.« Er schnauft hörbar. »Ich schlage Ihnen ein Geschäft vor.«
»Ein Geschäft?«
»Ja. Ich helfe Ihnen auf den Baum und Sie helfen meiner Familie, indem Sie den Koffer dorthin transportieren.«
»Ja, aber München? Wie soll ich denn nach München kommen? Liegt ja nicht gerade um die Ecke. Das wird nie was. Bei der ersten Kontrolle bin ich erledigt.«
»Eben nicht, mein Freund. Im Koffer sind neben den Wertgegenständen auch Ausweispapiere. Haben Sie Angehörige in Dresden?«
»Ja, meine Frau. Wo die allerdings ist, weiß ich momentan nicht.«
»Gut.«
»Na hören Sie mal.«
Er winkt ab. »So meine ich das doch nicht. Wenn Sie Ihre Frau wiederfinden sollten, dann nehmen Sie den Pass aus dem Koffer, der gilt für ein Ehepaar. Müssen Sie nur Ihre Fotos einarbeiten lassen. Sie tun dann einfach so, als seien Sie ich. Auf der anderen Seite der Elbe in der Neustadt, in der Forststraße steht ein gelbes Haus. Man wird Ihnen helfen. Haben Sie Ihre Kennkarte mit dem ›J‹ dabei? Wird reichen. Helfen Sie jetzt bitte mir!«
»Ich möchte Ihnen ja gerne helfen, aber wie stellen Sie sich das vor? Ich soll den Stern abmachen. Gut. Dann soll ich in der Forststraße mit meiner Kennkarte wedeln ohne den dazugehörigen Stern auf der Brust. Kein Mensch wird mir helfen und wenn ich zehnmal behaupte Jude zu sein. Mit dem Stern hingegen, als Jude erkennbar, komme ich wahrscheinlich über keine Brücke, ohne kontrolliert zu werden. Und das mit Ihrem Gepäck, in dem Ihre arischen Papiere sind. Haben Sie noch mehr solcher Ideen auf Lager? Und wer weiß denn, ob überhaupt eine Brücke in Ordnung geblieben ist. Vor allem, wo ich doch gar nicht draußen sein dürfte. Gut, ich könnte behaupten, dass ich ausgebombt bin (nur nicht verschreien!), aber deswegen kann ich ja nicht in der Gegend herumlaufen, wie ich will.« Das ist mir alles viel zu unüberschaubar, denke ich. »Wie soll das gehen?«
»Ich glaube nicht, dass heute viel kontrolliert wird. Sehen Sie zu, dass Sie auf die andere Seite der Elbe kommen. Dann beim gelben Haus in der Forststraße klopfen Sie dreimal kurz und einmal lang. Das Zeichen für V. Victory. Kennen Sie bestimmt von Radio London.«
»Wissen Sie, Auslandsrundfunk zu hören wird als Hochverrat bestraft«, antworte ich. »Und bevor ich mich deswegen aufhängen lasse, glaube ich lieber an den Sieg! Außerdem, wissen Sie denn nicht, dass wir Juden gar keine Radiogeräte besitzen dürfen?«
»Nein, das wusste ich nicht. Ich habe jeden Tag London