STÖRFÄLLE. Gudrun Gülden
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„Sie wollten wissen, warum ich durch die DDR fahre, da ich ja vor sechs Jahren entschieden habe, dass ich dort nicht mehr leben möchte. Ich habe gesagt, dass ich da elf Jahre alt war.“
Uns war mulmig. Auch wenn diese Typen irgendwie ulkig waren, war uns das Lachen vergangen.
Auf der Transitstrecke durfte man nur hundert fahren. Lukas‘ Bulli rollte selbst bergab und mit Rückenwind kaum über achtzig Sachen durch den Arbeiter-und-Bauern-Staat. Als ein Schild kam, auf dem sechzig stand und dann gefühlte fünf Meter danach ein weiteres Schild mit vierzig, wurden wir von der Volkspolizei, die hinter einem Busch stand, rausgewunken. Dieses Mal kostete es hundert Mark. Wir kratzten gerade mal sechsundneunzig Mark und dreißig Pfennig zusammen. Die Vopos ließen Gnade vor Recht walten und uns weiterfahren.
Als wir in Berlin ankamen, war es dunkel. Es regnete, an den Häusern leuchteten Lichter und bunte Reklame, die sich auf den Straßen spiegelten. Die Dunkelheit war heller, als die in Kleinbeken. Ich war das erste Mal in Berlin.
Wir fuhren nach Kreuzberg zum SO36. Vor dem Gebäude knäulte sich eine Traube aus schwarzgekleideten Typen, fast ausschließlich Männer. Sie hatten schwarze Haare, die nach oben toupiert oder zu Stacheln gegelt waren. Außer Lukas, Chrissi und Paul waren keine Langhaarigen da. Die paar Frauen, die ich sah, waren blass und hatten schwarz umrandete Augen.
Das SO36 war eine große nackte Halle mit einer Bühne. An einer Art Stand konnte man Bier kaufen. Blöderweise hatten wir kein Geld mehr.
Als die Scherben auf die Bühne kamen, ging ein unglaubliches Geschrei los. Volle Bierdosen flogen zur Bühne, was die Musiker wenig beeindruckte. Es war stickig und roch nach Kanalisation.
Rio Reiser sah bescheuert aus. Er hatte einen total dämlichen Schnurrbart. Die Musik war genial und laut wie ein Überschallknall. Wir waren eingeschüchtert. Eveline und Chrissi gingen raus. Lukas traf einen Bekannten, der uns Geld lieh und kaufte eine Masse Bierdosen für uns. Kathrin, Paul und ich klemmten uns vor die Wand und kippten das Bier in uns rein. Ich schaute zu Lukas. Er quatschte mit seinem Bekannten, der Lukas was fragte, dann zeigte Lukas zu uns und der Typ schaute mich an. Es war dunkel, ich konnte ihn nicht gut sehen.
Die Leute hüpften hoch und runter und schubsten sich. Nach einer Weile gingen Kathrin und Paul nach vorne, wo man garantiert zerquetscht wurde und hüpften mit.
Ich blieb am Rand. Ich sah nicht einen einzigen Hippie außer uns, vielleicht noch gerade der Typ, mit dem Lukas redete. Ich meine, in Kleinbeken sah ich auch nie Hippies, aber das beunruhigte mich nicht. Hier fühlte ich mich nicht ganz wohl. Ich hatte von den Punks gehört, von England und den Straßenkämpfen. Das war eine Nummer härter, als Hippie in Kleinbeken zu sein. Ich hatte auch nicht das Gefühl, dass die Punks Hippies mochten. Die machten nicht den Eindruck, als wollten sie eine neue Staatsform gründen oder so. Ich dachte auf einmal, dass ich aus einer heilen Welt kam, dass es Dinge gab, von denen ich keine Ahnung hatte. Ich vermisste Peter. Ich hätte ihn gerne gefragt, was er von Punks hielt.
Später gingen wir noch in eine Kreuzberger Kneipe, wo es mir ausnehmend gut gefiel. Es gab winzige Flaschen Bier, braun, bauchig, billig. Katrin machte den elementaren Fehler und trank in der Kneipe Kaffee, der wie Maschinenöl aussah, wahrscheinlich auch genauso schmeckte und ähnlich bekömmlich war. Als wir später an der Mauer lang gingen, kotzte sie die Mauer an und fing direkt danach an zu heulen.
Die Rückfahrt war unspektakulär, nur ewig lange und Kathrin roch sauer.
Pünktlich zur neun Uhr Messe erreichten wir Kleinbeken.
Eine Mauer ist eine Mauer
Papa saß am Frühstückstisch und schaufelte sich gelierte Gulaschsuppe aus einer Konservendose mit Butterkeksen rein.
„Wo kommst du denn jetzt her?“, fragte er mich.
„Aus Berlin“, sagte ich und schaute auf sein Frühstück. „Das weißt du doch. Was isst du denn da?“
„Gar nicht schlecht. Nahrhaft und schnell zubereitet. Habe ich im Keller gefunden“, sagte er. „Berlin? Hast du die Mauer gesehen?“
„Ja, wir waren in Kreuzberg. Kathrin hat vor die Mauer gekotzt.“
„Ich würde sie auch gerne mal sehen“, sagte Papa.
„Es ist nur eine Mauer.“
„Ist es nicht“, sagte Papa. „Aber fünfhundert Kilometer, nur um sie anzuschauen, ist auch Quatsch.“
„Wir können doch mal zusammen nach Berlin“, sagte ich. „Wenn Mama wieder da ist.“
Papa schaute auf seine Knie.
„Papa.“
Er schaute immer noch auf seine Knie.
„Was ist mit Mama?“
„Sie kommt schon wieder“, sagte er.
„Was ist mit der anderen Frau?“
Er schaute mich an.
„Tut mir leid, dass wir dich da nicht rausgehalten haben.“
„Und jetzt?“
„Abwarten.“
„Was würdest du tun, wenn Mama einen anderen Freund hätte.“
Er schaute mich komisch an, sagte lange nichts.
„Ich würde versuchen, sie wiederzugewinnen.“
„Könntest du Mama mit einem anderen teilen?“
„Nie.“
„Und Mama? Sie findet das anscheinend auch nicht gut, wenn du was mit einer anderen hast.“
„Nee.“
„Das wusstest du auch vorher.“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ja, schon.“
„Ich finde das nicht schlimm“, sagte ich. „Ich wäre gerne nie eifersüchtig. Das wäre doch toll, ein Leben jenseits von allem Besitzanspruch und aller Eifersucht.“
„Ja“, sagte Papa. „Ein interessanter Gedanke.“
Was tun?
Ich verzog mich in mein Zimmer. Ich hatte gerade einen neuen Schreibtisch bekommen. Auf zwei Holzböcken lag eine Multiplex-Birken-Holzplatte mit dunkelgrünem Linoleum drauf. Mein Altar. Malen war so ungefähr das Einzige, was ich gerne machte und gut konnte. Ich begann an einem neuen Bild für den Kunstunterricht zu arbeiten. Das Thema war „Die Mutation“. Ich hatte mich für ein Aquarell entschieden, das Mopsi mit Brüsten zeigte. Es sah aus wie Dürers Hase, nur das der Hase ein Mops war und Brüste hatte. Ich malte die Brüste so realistisch, wie es mir möglich war, mit rosa-schwarzen Brustwarzen. Da Mopsi sehr alt war, hingen die Brüste und Mopsi hechelte,