STÖRFÄLLE. Gudrun Gülden
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Noch heute schafft es mich total, wenn ich an meine Unterhose denke, die vollgepinkelt irgendwo rumlag und einen Riesenschnitzer in den Landhauslack ritzte. Ich habe Sachen gemacht, die schlimmer sind. Viel schlimmer. Für die kann ich mich nicht so schämen, wie für die vollgepinkelte Unterhose. So was kann richtig zwischen zwei Menschen stehen. Immer wenn ich danach Lissis Mutter traf, musste ich an diese beknackte Unterhose denken und habe mich gefragt, ob sie auch daran denkt und war dann unlocker.
Üble Nachrede
Lissis Eltern versuchten, sich maximal progressiv zu verhalten, außer dass ihre Mutter sich wieder mal wieder umbringen wollte, weil Lissi ihr so Kummer machte und sie ja wohl schon genug Sorgen wegen Michael hatte. Lissi musste zum Psychologen. Sie fand das gar nicht so schlecht, denn letztendlich konnte sie dort endlos über ihre Eltern und Lehrer lästern und der Idiot gab ihr immer Recht.
Das Allerabgefahrenste war, dass Lissis Eltern den Lehrern ohne äußere Not erzählten, dass wir kifften, das musste man sich mal vorstellen, anstatt, dass die froh waren, dass die von der Schule nichts mitbekommen hatten. Wir waren schließlich im Jahr vorm Abi. Das machte das alles nicht leichter. Alle hatten Angst wegen des Umgangs. Dazu gehörten die Clique (die sie gar nicht kannten) und vor allem ich.
Samstagmorgens hatte ich Geschichte, die ersten beiden Stunden. Peter sprach mich nach dem Unterricht an, ob wir uns nach dem Unterricht treffen könnten, im Lehrerzimmer. Ich war nervös.
Wir trafen uns um halb zwölf.
„Wie geht es dir?“, fragte er.
„Gut“, sagte ich. Was sollte ich denn auch sagen.
„Ich habe mit deiner Klassenlehrerin gesprochen. Du warst Thema in der Lehrerkonferenz“, sagte er merkwürdig angespannt. „Sie haben überlegt, ob du einen Schulverweis bekommst.“
„Wieso das denn?“
„Weil du Schülerinnen anstiftest, Drogen zu nehmen. Ihr sollt bei Schuhmachers zuhause Haschisch geraucht und das Haus zerstört haben. Jemand hat dich bei der Direktorin angezeigt. Sie werden deine Eltern kontaktieren.“
„Lissis Mutter?“, fragte ich. Eine rhetorische Frage.
Er nickte.
„Und die Mutter von Eveline Paluschke“, sagte er.
Ich fragte mich, ob Lissi oder Eveline davon wussten, dass ihre Eltern mich angeschwärzt hatten.
„Was heißt das für mich? Abgesehen, davon, dass das nicht stimmt.“
„Wenn das stimmt, kannst du von der Schule fliegen. Also, der Teil mit dem Anstiften“, sagte Peter.
„Das ist Blödsinn“, sagte ich.
„Und das demolierte Haus?
„Na ja....“, sagte ich. „Da ist schon was dran. Ich habe ein Schuhriemchen abgerissen.“
„Hat das was mit mir zu tun, dass du solche Sachen machst?“
„Sie glauben, das hat was mit Ihnen zu tun?“, fragte ich.
Er wurde rot. Ich sah es deutlich.
„Es täte mir leid, wenn es wegen mir ist.“
„Nein“, sagte ich. „Ist es nicht.“
„Du kriegst Ärger“, sagte er.
„Und wenn schon.“ Ich lächelte ihn an. Ich hätte immer so mit ihm sitzen können. Und wenn er mir gesagt hätte, dass ab jetzt die Mutter von Eva Maul das Sorgerecht für mich hätte, ich hätte es genossen.
Mein Vater wurde zur Direktorin bestellt. Danach war von Polizei nicht mehr die Rede. Die Direktorin sprach mit mir und fragte mich, ob ich Sorgen hätte oder so und bat mich um Entschuldigung. Als ich Peter das nächste Mal sah, in der Geschichtsstunde, lächelte er mir zu. In meiner Brust kam es zu einer Knallgasreaktion. Die Wärme ließ mein Gesicht rot anlaufen.
Meine Mutter wurde nie wieder zu den Kaffeekränzchen eingeladen. Sie war eh nur eingeladen worden, weil Lissis und Evelines Mutter fanden, dass sie aus einer interessanten Familie käme. Ich war mir nicht sicher, ob das Kiffen der wirkliche Grund war, warum sie nicht mehr eingeladen wurde. Das hatte eher damit zu tun, dass mein Vater fremdgegangen war. Als wäre das so eine Art Virus, der dann eventuell auch auf ihre Männer überspränge oder meine Mutter auf ihre Männer springen würde, um sich an meinem Vater zu rächen und von Solidarität war da eh nicht viel die Rede.
Lissi wurde von ihrem Vater zur Schule gefahren und wieder abgeholt. Dafür fuhr mein Vater jetzt im Schulbus mit nach Großbeken, weil wir kein Auto mehr hatten und der Schulbus zeitlich günstiger für ihn fuhr. Das war natürlich gar nicht peinlich für mich.
Im Unterricht saß ich nicht mehr neben Lissi, sondern neben Kathrin, die eigentlich neben Eveline saß, die aber jetzt neben Lissi sitzen musste. Eveline und Kathrin waren Freundinnen und wollten nicht getrennt sitzen, aber Lissis Mutter ging zu unserer Schulleitung und wenn Lissis Mutter was wollte, kam keiner dagegen an. Die Pausen verbrachte Lissi bei der Direktorin im Büro. Oft kam sie verheult zurück ins Klassenzimmer, bestimmt wegen Lukas, den sie nicht mehr sehen durfte.
Ob sie auch wegen mir weinte? Ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich weinte auch nicht, aber ich weine sowieso eher selten. Eigentlich nur wegen Mopsi, wenn mit ihr was ist. Aber auch wenn ich nicht deswegen heulte, war es so, dass Lissi mir wie Sau fehlte. Ich hatte ja immer gedacht, dass ich Peter vermisste, weil ich ihn liebte. Aber Lissi fehlte mir, das tat richtig weh. Mir fiel auf, wie selbstverständlich es für mich immer gewesen war, dass Lissi da war. Ich meine, wir haben so viele Sachen zusammen das erste Mal gemacht, so dass ich immer an sie denken musste, wenn ich z.B. Wodka trinke oder so. Wir haben zusammen das erste Mal zusammen gekifft und so wie es aussah, auch das letzte Mal.
Unsere Drogenkarriere schien vorzeitig beendet. Und wir hatten uns so richtig was auf unsere Kifferei eingebildet. Es ging nicht nur um das Kiffen, sondern um eine Weltanschauung. Lissi und ich hatten uns vom gewöhnlichen Volk abgesetzt und schauten leicht hochnäsig aus der äußersten Raucherecke vom Gymnasium auf die normalen Paffer. Apfelkorn-Idioten. Wir hatten einen Sprung gemacht. Den ersten Schritt weg von Kleinbeken. Wir hatten eigentlich noch gar nicht so richtig mit dem Kiffen angefangen und schon einen Mordsärger am Hals.
Hippies
Dadurch, dass ich Lissi nicht mehr treffen konnte, waren meine Nachmittage so interessant, wie die Kleinbekener Bushaltestelle nachts um drei Uhr. Manchmal hing ich mit den Jungs aus der Clique ab. Lissi hatte sie aufgetan, kurz vor ihrer Inhaftierung. Es waren andere Jungs als die aus Kleinbeken, die immer vor der Bushaltestelle rumhingen und auf den Bürgersteig rotzten.
Es waren Hippies.
Lissis Mutter nannte sie Gammler, meine Mutter Blumenkinder, Lissis Vater Nichtsnutze, mein Vater Aussteiger.
Direkt neben unserem Gymnasium hatte die Stadt uns ein Souterrainladenlokal in einem runtergekommenen Haus zur Verfügung gestellt. Wir brachten