STÖRFÄLLE. Gudrun Gülden

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STÖRFÄLLE - Gudrun Gülden Dine

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      Ich schlitterte den Gehweg lang. Kleinbeken war, um es mal auf den Punkt zu bringen, ein zum Totlachen winziges Kaff. Um zu Lissi zu gehen, musste ich einmal durch den gesamten Ort, was eine Viertelstunde dauerte. Sieben Minuten bis zum Kirchplatz, eine Minute über den Kirchplatz, wo die drei Kneipen um die Kirche herum standen und etwas abseits das Büdchen war, vor dem Andi und Keili immer noch oder schon wieder abhingen. Sie wippten von einem Bein auf das andere, stießen weiße Atemwolken aus und rieben sich die Hände. Als sie mich sahen, winkten sie, ich winkte zurück und sah zu, dass ich weiter kam.

      Und dann waren es noch einmal sieben Minuten vom Kirchplatz zu Lissi, wo die Straßen breiter wurden und Platz für große Bäume zwischen den Häusern war. Lissi wohnte in dem größten Einfamilienhaus Kleinbekens, mit einem Schwimmbecken im Garten. Ich hätte es besser gefunden, wenn sie in unserer Zechensiedlung gewohnt hätte, nicht nur wegen der Entfernung. Lissis Vater hatte das Monopol für Kaugummiautomaten im gesamten Ruhrgebiet und man ahnte ja nicht, wie viel Geld sich damit machen ließ. Immer, wenn ich die Gören mit den schmierigen Pfoten vor den Automaten sah und ihr Geplärre hörte, musste ich an Lissis Vater denken, wie er auf dem weißen Ledersofa saß mit seinen manikürten Fingernägeln und ich staunte, was die Kaugummis einbrachten. Er hatte auch noch einen Getränkeladen. Bei Lissi zuhause sah es aus wie in einer Hochglanzreportage über Landadel, alles geschmackvoll und picobello. Sie hatten eine Putzfrau, die jeden Tag kam. Lissis Eltern machten mir Angst. Mein Vater mochte sie nicht, er sagte, Lissis Vater sei ein Unterdrücker, aber dann murmelte meine Mutter immer, er solle mal lieber vor seiner eigenen Hütte kehren, dann verzog sich mein Vater in seine Arbeitsecke und las regionale Lyrik. Er war der Stadtarchivar von Großbeken. Meine Mutter drehte sich zum Herd um und kochte.

      Pipi

      Lissi öffnete die Haustür mit den Ellbogen, denn ihre Hände klebten in einem gigantischen Teigkloß.

      „Hi Dine“, grinste sie. „Ich mache einen Hefezopf.“

      Das konnte man gleich astrein als Motiv in die Fotoreportage mit aufnehmen, die über den Landadel aus Kleinbeken mit Lissi als Heldin. Oft kam es mir so vor, als meinte Lissi die Dinge, die sie tat, nicht richtig ernst. Alles war Pose, eine Seite im Bilderbuch, eine Sequenz in einer Seifenoper. Lissi auf dem Schulweg. Lissi hört interessiert zu. Backt. Als gäbe es keinen Ernst im Leben, alles ist ein großer Spaß, ohne Ende Spaß. Auf diesen Bildern war nur Lissi. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, einen Hefezopf zu backen, schon gar nicht in dem Moment, wenn jemand kommt, der mir bei Mathe helfen soll. Aber das war Lissi und mir wäre es nie in den Sinn gekommen, ihre Handlungen in Frage zu stellen, denn sie war nicht nur meine beste Freundin, sie war eine Wegbereiterin. Sie gab die Richtung vor. Meistens folgte ich, außer wenn es um dieses Hausfrauending ging und um Sex. Jetzt ging ich ihr in die Küche hinterher und schaute zu, wie sie den Teig knetete und einen Zopf daraus flocht. Ich konnte weder Backen noch Kochen und hatte keine Lust, das zu lernen. Lissis Hefezopf aß ich allerdings sehr gerne.

      „Wo sind deine Eltern?“, fragte ich.

      „Mein Papa ist unterwegs, meine Mutter mit Michael beim Sport.“

      Das rechte Bein von Lissis Bruder Michael war durch Kinderlähmung schief und dünn und er musste andauernd zur Bewegungstherapie.

      „Wollen wir vorm Lernen noch was Kiffen?“, fragte ich sie.

      Wir kifften noch nicht lange, eigentlich noch gar nicht lange, denn wir hatten erst ein paar Mal gekifft und noch nie ohne die Clique.

      Lissi gaffte mich an.

      „Hast du was?“

      Ich zeigte ihr den Brocken.

      „Boah!“, meinte sie anerkennend. „Sieht aus wie getrocknete Kamelscheiße.“

      Sie überlegte.

      „Nur einen kleinen Joint, ok?“, sagte sie. „Meine Mutter ist in gut einer Stunde wieder da. Wir müssen echt was Lernen, die reißt mir den Kopf ab, wenn ich noch eine Sechs schreibe, dann ist Essig.“

      Wir gingen in ihr Zimmer, das von einem Innenarchitekten eingerichtet worden war. Blaue Wände, hellblaue Decke, von der Fische und Krebse runter hingen. Das sollte wohl witzig sein, war aber meines Erachtens zu kurz gedacht, denn jeden Tag den gleichen Witz anzuschauen, war beknackt. Vielleicht war ich auch nur neidisch, denn Lissis Vater hatte ein Haus gebaut, dass sich nach den Bedürfnissen seiner Frau und seiner Kinder richtete, nicht wie bei uns.

      Ich setzte mich auf ein Kissen und bastelte an einem Joint. Das dauerte Ewigkeiten. Ich versuchte, mir den Ablauf einer Joint Herstellung zu vergegenwärtigen, ich hatte schon ein paar Mal zugesehen, es aber noch nie selbst gemacht. Erstmal baute ich aus drei Blättchen in Form eines gleichschenkligen Trapezes eine Hülle, das war leicht. Die Hülle legte ich flach auf den Tisch und verteilte Tabak drauf. Gut, dass ich meine Zigaretten selbst drehte, eine wichtige Vorstufe zum Joint Bauen. Dann kokelte ich den Brocken an und krümelte das Angekokelte in den Tabak, dabei verbrannte ich mir höllisch die Finger. Ich war mir nicht ganz sicher, wie viel Hasch ich rein tun sollte. Ich entschied mich für die Devise: Viel hilft viel. Das Ganze rollte ich zu einer Tüte und verklebte sie. Das Ergebnis war mittelmäßig. Der Joint hing schlapp wie ein alter Silvesterböller, aber egal. Erster Joint „Marke Eigenbau“, Lissis Vater sagte ja auch immer „Eigeninitiative zählt“.

      Lissi sorgte für das Hintergrundprogramm. Sie legte Cat Stevens „Tea for the Tillerman“ auf, den Soundtrack zu „Harald and Maude“. Wir hatten den Film gerade im Kino gesehen. Seitdem spielte Lissi die Platte rauf und runter. Ich fand den Film sensationell, aber mir ging es auf die Nerven, dass der Typ andauernd seinen Selbstmord vortäuschte. Eigentlich gingen mir die Leute im Kino auf die Nerven, die fanden das alle zum Totlachen. Ich nicht. Aus gutem Grund.

      Wir öffneten das Fenster, hängten uns ganz weit raus und kifften. Da Lissi keine Zigaretten rauchte, hustete sie ganz schön rum, ich rauchte schon eine Weile Selbstgedrehte, das half beim Kiffen.

      „Weißt du eigentlich, dass Evelines Mutter für das Kaffeekränzchen immer den Kuchen beim Konditor kauft und dann sagt, sie hätte ihn selbst gebacken? Sie bestellt den Kuchen immer mit dem ausdrücklichen Wunsch, er solle selbstgebacken aussehen!“

      Lissi liebte diese Geschichte und erzählte sie bei jeder Gelegenheit. Noch so ein Mutter-Tochter Ding, bei dem ich nicht mitreden konnte. Meine Mutter war nicht wirklich integriert in die dörflichen Tratschgeschichten. Ich beschloss, die Geschichte unhippie zu finden. Lissi schreckte hoch.

      „Shit, mein Hefezopf!“

      Wir rannten runter in die Küche und glotzten in den Ofen, wo sich ein gigantischer Zopf entwickelt hatte. Es roch total lecker.

      Lissi machte den Ofen aus.

      Sie schaute mich mit roten Klüsen an, die man vom Kiffen bekommt.

      „Und sie denkt immer, dass es keiner merkt.“ Sie kicherte. Ich fand sie jetzt doch süß. Nicht die Geschichte, sondern Lissi. Sie hatte total süße Zähne, die man beim Kichern sah, weil sie ihre Lippen hochzog.

      Sie versank in Gedanken. Und schreckte wieder hoch.

      „Komm, wir spielen Kaffeeklatsch und verkleiden uns als unsere Mütter.“

      Wir rannten zum Kleiderschrank ihrer Mutter, der so groß war wie das Schlafzimmer meiner Eltern, inklusive der Arbeitsecke meines Vaters. Die Kleider waren den Farben nach sortiert, es waren tolle Farben und die Übergänge

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