Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane. Alfred Bekker
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Читать онлайн книгу Schön und ermordet: Zwei Kriminalromane - Alfred Bekker страница 4
Er hechtete in den Flur, rammte Roth mit der gewölbten Schulter und rannte auf die Gangbiegung zu.
Roth prallte gegen den Türrahmen. Ein scharfer Schmerz schoss durch seinen Arm.
Gräfes Kopf ruckte herum. Auch er erkannte Nelles sofort. Sein Arm flog in die Höhe.
Aber Roth stand genau in der Schusslinie.
»Runter!«, brüllte Gräfe mit sich überschlagender Stimme. »Runter!«
Nur noch drei, vier lange Sätze trennten Nelles von der Gangbiegung. Roth starrte hinter dem fliehenden Killer her, bis Gräfe einen Warnschuss in die Decke jagte und Nelles sich im Lauf herumwarf und aus der Bewegung heraus feuerte.
Roths Instinkte erwachten, verdrängten den lähmenden Schock. Er warf sich lang auf den Boden. Roth hörte das Pfeifen der Kugeln, als Gräfe über ihn hinweg feuerte.
Nelles verschwand hinter der Ecke. Gräfe rannte durch den Flur, sprang über Roths Beine. Hinter dem Knick klirrte Glas, als Nelles durch das geschlossene Fenster am Ende des kürzeren Flurstücks sprang.
Gräfes Gesicht war kalkweiß, als er den Portier an der Jacke heraufschleifte, ihn vor sich her durch den Flur trieb und ihn dann in das Zimmer schleuderte, in dem noch der Pulverdampf waberte.
Der alte Mann begann zu zittern, als er den Toten erblickte, der wie eine Puppe am Boden hockte. Der Kopf war ihm auf die Schulter gefallen.
Gräfe deutete auf den Toten, während von draußen das Wimmern der ersterbenden Sirenen hereindrang und Schritte die Treppe heraufpolterten.
»Wer ist das?«, schrie Gräfe nah am Ohr des Alten.
Im Seesack, der am Kopfende des Bettes stand, fand Roth das Heuerbuch. Er schlug es auf.
»Jadallah al Ahmal«, las er mit kratzender Stimme. Das Blut pochte hinter seiner Stirn. »Seemann aus Tunis ...« Er ließ das Heuerbuch fallen. »Warum stand er nicht still? Warum hat er sich bewegt?«
»Er sprach kein Wort deutsch«, stammelte der Alte.
»Seine Reederei hat ihn geschickt. Sie bezahlt das Zimmer, bis ...«
»Wie kommt er hier rein?«, brüllte Gräfe. »Wie kommt er in dieses verdammte Zimmer? Was haben Sie uns erzählt?« Gräfe stieß den alten Mann gegen die Wand und zerrte das Polizeifoto von Nelles aus der Tasche. Er hielt es dem Alten vor die Augen. »Sie haben gesagt, dieser Mann sei in diesem Zimmer!«
Der Portier schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht ...«
»Lass ihn«, sagte Roth. »Es hat keinen Zweck.«
II
Dieter Nelles blieb ruhig auf dem breiten Bett liegen, als er hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss der Wohnungstür gesteckt wurde. Nur seine Rechte glitt unter die Tagesdecke und zog den Revolver darunter hervor.
Zwischen den angezogenen Knien her zielte er auf die Zimmertür, die langsam in den Raum schwang.
Bernd Makowski blieb in der Tür stehen. Sein ausdrucksloses Gesicht vermochte den Ärger, den er bei Nelles' Anblick empfand, nur unvollkommen zu verbergen. Nelles' Schuhsohlen hatten große schmutzige Abdrücke auf der neuen Tagesdecke hinterlassen.
»Du versaust mir das Bett«, sagte er.
Ohne die auf ihn gerichtete Waffe zu beachten, machte er einen Schritt in das Zimmer hinein, in dem es durchdringend nach frischer Farbe roch.
Nelles zog mit dem Daumen den Hammer zurück, und Makowski blieb wieder stehen. Seine Nasenlöcher blähten sich unter stoßweisen Atemzügen.
Makowski besaß die perfekte Athletenfigur. Seit Heinen, der Hai, ihn zu seinem Vertrauten gemacht hatte, hüllte er die breiten Schultern und die kräftigen Arme in gut geschnittene Sakkos und bei gegebenem Anlass auch in feine Nadelstreifenjacketts. Seinen Spitznamen, Bernd, der Macker, hatte er längst abgelegt, obwohl er nach wie vor dem alten Gewerbe nachging, wenn auch auf einem höheren Niveau als vor zwei, drei Jahren, als seine Hühner noch am Hans-Albers-Platz an der Mauer standen.
»Woher weißt du von dieser Wohnung?«, fragte er.
Nelles grinste Makowski über den Revolverlauf hinweg tückisch an. »Ich habe Freunde auf dem Kiez«, sagte er. »Hast du daran nicht gedacht?«
»Was willst du damit sagen?«
»Bin ich abgeschrieben?« Lauernd sah Nelles den anderen von unten herauf an.
»Wie kommst du darauf?«
»Weil mich jemand linken wollte.«
»Was du dir einbildest! Jemand hat dich erkannt, wie du dich da unten rumgetrieben hast ...«
Makowski verstummte, als Nelles sich jäh im Bett aufrichtete. Nelles' schmaler, scharfer Mund verzerrte sich.
»Jemand hat mir die schärfsten Bullen auf den Hals gehetzt, die auf dem Kiez rumlaufen! Willst du mir erzählen, dass das Zufall war? Bekomme ich keinen Schutz mehr vom Boss, nach allem, was ich für ihn getan habe?«
»Sei vernünftig«, sagte Makowski. »Steck erst mal die Kanone weg!«
»Wo ist deine?«
Makowski schlug sein Jackett zurück und griff mit der linken Hand hinter sich, um die flache Pistole aus der Gürtelhalfter zu ziehen. Er legte sie auf die zierliche Kommode vor dem Fenster.
Nelles steckte den Revolver ein und rollte vom Bett, wobei er darauf achtete, Makowski nicht zu nahe zu kommen.
»Na, was war mit dem Schutz?«, fragte Nelles herausfordernd. »Wieso funktioniert der ausgerechnet bei mir nicht? Zwei Tage nach der Sache mit Adolphi ...«
»Sei still!«, befahl Makowski scharf.
»Schon gut, schon gut!« Nelles lachte. »Ein Glück, dass mich dieses rote Reklamelicht nervös machte. Und dass ich das Zimmer mit diesem Kanaken getauscht hab'.« Er grinste gefühllos. »Der sprach kein lausiges Wort deutsch«, sagte er dann, immer noch staunend. »Der dachte wahrscheinlich, ich gehöre zu dem Saftladen.«
Nelles sah sich um.
Makowski deutete in die Diele.
»Gehen wir nach nebenan«, schlug er vor.
Auch im Wohnraum roch es nach frischer Farbe. Teppichboden, Fenstervorhänge, die Couch und der senffarbene Sessel, der niedrige Couchtisch und die Videoanlage waren funkelnagelneu.
»Deine Hühner haben's gut«, stellte Nelles fest. »Schöne Bude.«
»Man muss was tun für die Kundschaft. Es läuft entweder da, wo's billig ist,