ABGRÜNDE. Peter Splitt
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Kapitel 1
Einige Tage zuvor...
„Belgisches Viertel, wir sind da.“ verkündete der Taxifahrer mit schlaftrunkener Stimme. „Soll ich hinüber auf den Parkplatz fahren?“
„Nein, lassen Sie uns für einen Moment hier stehen bleiben.“
Diana M. öffnete ihre Handtasche, holte einen kleinen Taschenspiegel hervor und überprüfte ihr Make-up. Alles war perfekt. Sie legte das Teil zurück und griff zu der Maske, die sie sich extra für diesen Abend besorgt hatte. Es war eine „Sexy-Cat“ Maske.
Offiziell war Diana Studentin, aber nebenbei verdiente sie sich ein gutes Zubrot als Hostess. Sie bedankte sich, bezahlte den Fahrer und stieg aus dem Taxi. Die Adresse zu der sie musste, lag auf der anderen Straßenseite. Es herrschte kaum Verkehr. Diana überquerte die Fahrbahn. Während sie auf das Haus mit der Nummer 22 zu ging, betrachtete sie das Gebäude. Von außen wirkte es schlicht und einfach. Anscheinend wollte der Eigentümer kein großes Aufsehen erregen. Dann stand sie vor der Eingangstür und betätigte die Klingel. Aus dem Hintergrund ertönte ein tiefer Gong. Oberhalb der Tür bewegte sich eine Kamera. Während sie wartete, erinnerte sie sich an eine ganz besondere Party, an der sie bereits in diesem Hause teilgenommen hatte. Damals war sie als Schneewichten gegangen und ihr Gastgeber als Zorro.
Jemand betätigte die Sprechanlage. „Das Kennwort bitte“, sagte eine monotone Stimme.
„Spielwiese“, antwortete Diana brav und bestätigte damit das Codewort, welches ihr vom Gastgeber übermittelt worden war. Den hatte sie im Übrigen noch niemals zu Gesicht bekommen, denn er trug stets eine Verkleidung, genauso wie die anderen Gäste. Die Tür öffnete sich und Diana betrat das Haus. Das Innenleben war ganz anders als man es aufgrund der äußeren Fassade erwarten durfte. Allein die Ausmaße des Wohnzimmers musste jedem neuen Besucher die Sprache verschlagen. Mit mehr als 100 m2 Größe übertraf es alles, was die meisten bisher gesehen hatten. Eine exklusive Auswahl an Antiquitäten und teuren Teppichen auf blitzblank geputzten Marmorböden, vermittelten den Eindruck von Wohlstand und Vermögen.
„Was haben wir denn da für ein hübsches Kätzchen?“, begrüßte sie eine angenehm männliche Stimme. Diana drehte sich um und blickte in eine Dobermann-Maske. Sie gehörte zu ihrem Gastgeber. Zum Dank für das Kompliment machte sie einen Knicks. Dabei öffnete sie gleichzeitig ihren Mantel.
„Ich hoffe, das hier wird dir noch besser gefallen“, erwiderte sie und lächelte kokett. Der Gastgeber nahm ihr den Mantel ab. Darunter trug sie einen schwarzen, Minirock und eine hautenge Corsage, die ihre Figur besonders hervorhob. Rote High Heels setzten dem Ganzen noch einen drauf.
„Freut mich sehr, dass Du kommen konntest, du siehst zum anbeißen aus“, sagte ihr Gastgeber, nahm sie bei der Hand und führte sie mit sich fort.
Die Party war bereits seit ein paar Stunden im Gange. Die Gäste tanzten, tranken und flirteten, was das Zeug hielt. Diana bemerkte, wie sich Pärchen bildeten. Auf einem Sofa verführten zwei maskierte Herren eine Dame, die eine venezianische Augenmaske trug. Ein weiterer Typ filmte die ganze Aktion. Hinter dem Wohnzimmer befand sich der berühmte Springbrunnen. Diana konnte sich noch sehr gut an seinen Inhalt erinnern: Fruchtbowle mit Zusätzen. Bei ihrem Besuch im letzten Jahr hatte sie einen Schluck davon getrunken, sich dann aber dazu entschlossen, doch besser beim Mineralwasser zu bleiben. Eines ihrer Prinzipien lautete: Immer schön nüchtern bleiben. Dann weißt du auch, was du tust. Damals hatte sich die Party prächtig entwickelt. Vor allem, als sie Guido kennenlernte, einen sehr angenehmen Zeitgenossen. Er war großzügig und zuvorkommend gewesen und sie hatte den Rest der Nacht mit ihm in einem Hotel verbracht. Viel von ihm hatte sie allerdings nicht in Erfahrung bringen können, nur das er verheiratet war. Danach hatten sie sich noch ein paar Mal getroffen, aber dann war die ganze Sache irgendwie eingeschlafen. Wie oftmals war es nur eine Bettgeschichte gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Seitdem hatte es kein Fest mehr in dieser Größenordnung gegeben. Doch die Mund zu Mund Propaganda funktionierte bestens und nun hatte sich wieder eine frivole Menge zusammengefunden, um eine ausschweifende Party zu feiern.
„Hoffentlich lerne ich wieder einen zahlungskräftigen Mann kennen, so wie diesen Guido im vergangenen Jahr“, dachte sie, während sie durch das Haus spazierte.
Der Gastgeber hatte überall Bildschirme aufgestellt, auf denen schmutzige Filme liefen, selbst draußen auf der Terrasse. Und selbstverständlich war auch der Fruchtbowlen-Springbrunnen wieder im Einsatz. Diana schaute sich um. Die meisten der Gäste standen bereits unter Alkoholeinfluss. Um eine gewisse Anonymität zu bewahren, trugen sie Masken. Dahinter konnte man sich so wunderschön verstecken, wenn man die Sau raus lassen wollte. Sie beobachtete das Verhalten der Party-Gäste. Manch einer befand sich bereits im fortgeschrittenen Stadium. Ein Kerl mit einer Piratenmaske starrte sie an. Diana ging schnell in ein anderes Zimmer, doch er schlich ihr nach und schnitt ihr den Weg ab. Er stand so dicht vor ihr, dass sie durch die Augenschlitze der Maske seine Augen sehen konnte. Sie waren hellblau und eiskalt.
Ihr fröstelte. Schnell drehte sie sich um und hielt Ausschau nach jemandem mit dem sie sich unterhalten konnte, aber es gab niemanden, der so charmant, witzig und großzügig wie Guido im vergangenen Jahr war. Der unbekannte Pirat grinste sie durch seine Maske an. „Dich krieg ich noch“, flüsterte er und Diana lief es eiskalt den Rücken hinunter.
Gegen 23.00 Uhr war Diana die einzige, die noch ohne fremde Hilfe aufrecht stehen konnte. Alle anderen hatten kräftig einen sitzen. Ein Mann mit einer Affenmaske lag tief schnarchend unter einem antiken Holztisch. Seine Hose war verschwunden, dafür hatte jemand sein bestes Stück rot angemalt. Die meisten der