Lieblingsnachbarinnen. Ghyslyn Pomsel
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Das ist lästig.
Ich arbeite gerade an der literarischen Darstellung einer zarten jungen Dame: lieblich und unbedarft, wie sie nun einmal ist, fällt das liebe Mädel arglos einem Schurken mit aasigem Lächeln in die Hände, wird aber hernach von einem freundlichen Tölpel namens George gerettet und folglich geehelicht. Ich denke in zarten Jungfrauen – was soll ich da mit einem, vermutlich, glatzköpfigen und bärtigen Polizeisportler, der mit Händen wie überdimensionierte Tennisschläger meine Bude umkrempelt auf der Suche nach dem begehrten Sporthallenschlüssel?
Hallo, Sohn, was tust du mir da an?
Sohn: fürchterlich sportlich, Vorschriftenfanatiker, Polizeiarbeitsbewunderer.
Ignorant mütterlicher (geistiger!) Arbeit.
Ich: rechne ergeben (wozu ist man sonst Mutter?) mit dem Schlimmsten: Einem riesenhaften haarlosen Bullen mit bedrohlichem Vollbart in Sportklamotten.
Sporttrikots: abscheulich sich anfühlende 'Funktions'-Teile. Sie zählen unberechtigter Weise zu Artikeln der Oberbekleidung. Mein Sohn besitzt etwa eine Million solcher Dinge. Man soll sich darin sportiv betätigen. In meinen Augen sind sie tragbare Saunas – man schwitzt schon beim puren Anblick. Und von den widerwärtigen Signalfarben dieser Pseudokleidungsstücke bekommt man früher oder später ein Augenleiden. Obendrein sind sie bedruckt, was zwingt, sie mehr oder weniger nicht zu waschen, sondern nur auszuspülen, weil die Druckbuchstaben bei einer bodenständigen Wäsche aufgeben und die Inschriften auf den 'Kleidungsstücken' schwachsinnig werden.
Mein Vater, stets gut gekleideter Mann von unbeirrbarem Stil und künstlerischem Geschmack, hätte unbedingt gesagt, dass der Träger von so etwas 'nicht angezogen' sei.
Ich kann machen, was ich will: Es ist passiert!
Nun bin ich doch tatsächlich schon geistig vereinnahmt, innerlich befasst mit Sporthallen Schlüsseln, Polizeisportsfreunden meines einzigen Sohnes!
Schreckensvisionen gigantischer Polizeisportsfreunde mit glänzend haarlosen Schädeln und gefahrintensiver Barttracht vernebeln mir die zarte Jungfrau, die im Lädchen der betuchten Tante Spitzenkrägen vertickt, verflixt nochmal!
Ich bin programmiert, sozusagen.
In meinem Kopf nisten sich – höchst unpassende Seltsamkeiten ein.
Weg, huschhusch!, fort mit Euch, ihr Abscheulichkeiten!
Raus aus meinem Kopf, sonst blas' ich euch das Licht aus!
Es wirkt nicht.
Diese in jeder Hinsicht widerwärtigen Gleise in meinem Kopf werden schon vehement befahren!
Dabei habe ich bereits das ganze Erdgeschoss geputzt, mehrere kleine Tischchen aufpoliert und mit einem Buch, nett aufgeschlagen, belegt, einige Bücherregale abgestaubt, ein Vitrinchen mit Operntäschchen ansprechender gestaltet, einige Bilder gerahmt und an leere Stellen auf der Wohnzimmerwand gehängt, einen Teppich geklopft, einen Armvoll Sofakissen einladend auf der harten Sitzbank in der Küche drapiert, das Teewasser aufgesetzt, einen Kuchen im Ofen, den Braten schon einmal angebraten und Semmeln für Semmelnknödel zerbröselt.
Polizistensportsfreunde sind gewiss hungrig, wollen behaglich und warm sitzen und bei Laune gehalten werden.
Die Heizung läuft auf Hochtouren, und die Nachspeise erkaltet bereits.
Auf der Gästetoilette liegen griffbereit Sportartikelkataloge.
Sportartikel: mehr oder weniger jeglicher Ästhetik abholde Gegenstände, die man (tatsächlich oder auch nur eingebildet) zum Betreiben verletzungsintensiver Körperertüchtigung benötigt.
Die meisten erinnern vage an die Steinzeit.
Die Nutzer solcherart Gerätschaften bei ihrer Betätigung desgleichen.
Auf mehreren der Oberkörper-Trikots meines Sohnes wird der Betrachter mittels symbolträchtiger Pictogramme in Kenntnis gesetzt von der ungefähren Anwendung dieser Instrumente.
Als ich an der Kleidung meines Sohnes zum ersten Mal die schematischen Gemälde erblickte, vermutete ich noch fälschlicherweise, mein Sohn ginge neuerdings zum Kegeln. Ich weiß es nun besser, finde aber immer noch, dass seine Instrumente zum Ausüben lebensgefährlicher Freizeitbetätigung an Kegel erinnern.
Auf unbestimmte Weise harmonieren sie in meiner Vorstellung sehr gut mit gewaltigen Udos aus der Polizeibranche.
Udo.
Ein irgendwie – bedrohlicher Name. Sah ich nicht einmal einen schauderhaften Film, in dem ein Roboter dieses Namens infolge eines Maschinenschadens ausflippte und eine hanebüchene Zerstörungswut entfaltete? Ein nahezu vollständiges hübsches Häuslein in bedauernswerte Einzelteile zerlegte? Ein süßes kleines Heim – dem Erdboden gleichmachte?
Heim: eher ein Gebilde als ein Gegenstand, in dem man sich unter bestimmten Voraussetzungen aufhalten und behaglich (sogar geborgen) fühlen kann.
Ich besitze diese Voraussetzungen nicht.
Mein Heim besteht im Wesentlichen aus Pappe und einigen unmaßgeblichen Betonteilen.
Und – Udo kommt.
Wird nach einem Schlüssel fahnden.
Wird ihn nicht finden.
Wird ärgerlich werden.
Sieht seine Chance auf einen Aufenthalt in seinem Heim, der Sporthalle nämlich, schwinden.
Sieht seine Behaglichkeit, gar seine Geborgenheit bedroht.
Wird sehr ärgerlich werden.
Wird – NEIN!
Wird er nicht!
Umgehend habe ich das ganze Erdgeschoss ausgeräumt, meine kleinen Tischchen in die Garage geschafft, alle Bücher bei meiner Indianischen Lieblingsnachbarin untergestellt, das Vitrinchen mit Operntäschchen einer anderen Lieblingsnachbarin geschenkt, die Bilder aus den Rahmen genommen, eingerollt und in Bleirohren im Garten vergraben, den Teppich zusammengefaltet, alle Sofakissen einladend mit unverwüstlichem Schaumstoff befüllt, das Teewasser ausgedreht, den Kuchen einer dritten Lieblingsnachbarin zum Verteilen an die Nachbarn geschenkt, den halbrohen Braten den Hunden des Nachbarn zum Fraß vorgeworfen, und die Semmeln Semmeln sein lassen.
Polizistensportsfreunde, allzumal, wenn sie Udo heißen, sind nicht anheimelnd oder behaglichkeitshungrig.
Die Heizung ist bereits erkaltet (zwecks Abkühlung etwaigen Temperaments).
Auf der Gästetoilette liegen griffbereit Spitzenkragenkataloge.
Ich: ungesellig, absolut unsportlich, zum Eichhörnchen mutiert, verstecke mich unterm Dach.
Im Zimmer meines Sohnes.