Löwenschwester. Catrina Balis
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Ungefähr zwei Stunden später tragen mich meine Füße dann doch zu unserem Haus. Das Licht ist aus. Ich muss mich jetzt stellen. Noch nie habe ich mich gegen meine Aufgabe zu wehren versucht, aber ich weiß, dass es nichts bringt. Nur vergeudete Kraft. Also fange ich gar nicht erst damit an.
Als ich die Tür aufschließe, geht die Lampe im Flur plötzlich von selbst an.
Halb eins morgens: Ich bin todmüde, habe noch nicht mal mehr Angst. Und als Tyler mit seinem doch ekelhaften Grinsen um die Ecke kommt, will ich noch nicht mal mehr eine Antilope sein.
Später im Bett liegend sind meine müden Augen bereits zugefallen. Um der erniedrigenden Erinnerung zu entgehen, stelle ich mir vor, wie ich ins Zimmer meines Bruders schleiche und ihm still und heimlich ein Kissen aufs Gesicht drücke.
Drei Tage später: Ein unscheinbarer Samstag.
Es hat sich nicht viel geändert. Oder vielleicht doch: Ich habe eine Verabredung. Im Prinzip nichts Großes. Für mich schon.
Ich komme nicht oft unter Menschen. Wenn Madison mich nicht eingeladen hätte, würde ich jetzt vermutlich zu Hause sitzen und vor mich hin starren. Weil ich mich sonst zu nichts anderem aufraffen kann. Ich weiß noch nicht einmal, wessen Geburtstagsparty das überhaupt ist, habe einfach zugesagt. Kommentarlos genickt, teilnahmslos, aber mit dem Gedanken an den kleinen Lichtblick, der sich auftut. Jetzt hänge ich mit drin und stehe im Bad vorm Spiegel, schaue Helena in die eisblauen Augen. Sie will nicht wegschauen, also wende ich mich meinen Haaren zu. Ein riesiger schwarzer Busch, der mir vor die Augen fällt, als wolle er, dass ich mein Abbild nicht ansehe. Normalerweise lasse ich ihn einfach so. Dann erkennt mich keiner. Dann kann ich mich besser verstecken, heute jedoch versuche ich, ein bisschen mehr aus mir zu machen. Das ist eine Chance, erinnere ich mich. Das ist die Chance, einen Abend ohne meine Familie zu verbringen: Ohne meine vielseitig beschäftigten Eltern. Ein Abend ohne Evelynne, meine ballettsüchtige Schwester. Wobei sie eigentlich süchtig ist nach allem, was ihr Anerkennung verschafft. Und ein Abend ohne Tyler. Weil er die letzten beiden Tage so scheinheilig freundlich zu mir war, vermute ich, dass er heute spätestens den Hammer fallen lässt. Und er kommt mit sehr viel Schwung und Zorn auf mich zugeflogen. Ich sehe es regelrecht vor mir, wie Tyler mein Zimmer betritt, den riesigen Eisenklotz mit beiden Händen um seinen Körper kreisend. Beinahe fange ich an zu weinen, doch dann höre ich Evies Stimme unten im Flur: »Hellie, Madison ist da!«
»Find ich echt cool, dass du so spontan mitkommst. Suzan freut sich über jeden.« Wir sitzen im Auto, Madison fährt. Den Gedanken, warum sie einen Führerschein hat, verwerfe ich schnell wieder, um unnötige Unruhe zu vermeiden.
»Ich dachte mir, warum nicht?«, lächele ich. Aus Vorfreude, die sich in mir ausbreitet und meine Kälte zurückdrängt.
»Tut dir bestimmt mal gut. Und die sind auch alle ganz nett.« Maddie sieht hübsch aus. Sie hat ihren blonden kinnlangen Bob recht frech geföhnt und sieht jetzt irgendwie aus wie eine Elfe. Das elegante schwarze Minikleid passt gar nicht dazu. Ich frage mich, ob ich passend angezogen bin. Mein Kleid ist blau. Es ist das dunkelste Blau, das ich je bei einem Stoff gesehen habe, schimmert leicht. Eve hat es mir geschenkt. Ich glaube letztes Jahr zu Weihnachten und heute hat es Premiere, denn ich habe es noch nie vorher getragen. Ich erschrecke, als Madison plötzlich das Radio aufdreht und den Song laut mitsingt:
»What is love? Baby, don‘t hurt me, no more«
Ich muss lachen, als sie mich ansingt und ihren Kopf dabei bewegt wie ein Huhn. Ich kenne das Lied, natürlich, wer nicht. Ab sofort wird es mich auf ewig an diesen Tag erinnern, ewig mit ihm in Verbindung stehen. Das ahne ich schon jetzt. Hoffentlich enttäuscht mich mein Schicksal nicht. Alles ist besser als negative Flashbacks.
Als Maddie und ich den Club betreten, in dem die Party steigt, sind plötzlich alle Blicke auf uns gerichtet. Ich werde gesehen, schießt es mir durch den Kopf. Es fühlt sich nicht normal an, aber es ist komischerweise gar nicht so schwer auszuhalten, wie ich immer vermutet habe. Neunzig Prozent der Gesichter hier sind mir unbekannt. Ich habe nicht wirklich viel zu verlieren.
»Hellie?« Madison legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich muss wohl stehen geblieben sein vor lauter Schreck. Anstatt irgendwas zu sagen, fange ich an zu lachen. Das ist so ein merkwürdiges Erlebnis. Ich komme mir seltsam vor. Seltsam, aber nicht fremd. Vielleicht deshalb.
»Mädels, das ist Helena«, stellt Maddie mich vor. »Hellie, das sind Riley, Charlotte und Jayleen.« Sprachlos. Kein Wort geht mir über die Lippen. Noch nicht mal ein winziges Hi, das vielleicht aber angemessen wäre. Paralysiert schaue ich allen nacheinander in die Augen.
»Naja, wie auch immer, wir gehen, glaub ich, erst mal was trinken.« Es gefällt mir, dass Madison die Unterhaltung für mich führt, denn ich brauche ein bisschen Zeit, um mich an die Situation zu gewöhnen. Sekundenbruchteile später sitzen wir an der Bar.
»Ich nehme einen Tequila Gold und ein großes Glas Wasser. Wie immer.« Sie schaut mich auffordernd an. Sag etwas!
»Eine Cola light.« bestelle ich, aber Maddie fällt mir ins Wort.
»Mach da mal eine Wodka Cola light draus. Sonst wirst du ja nie lockerer.« Madison lacht, ich nehme es einfach hin. Irgendwo hat sie ja recht. Aber ich bin sechzehn, sie gerade siebzehn geworden. Bis zur Einundzwanzig ist es noch ein ganzes Stück. Ich frage mich wirklich, warum der Barkeeper uns unsere Getränke einfach so ausschenkt. Innerlich meldet sich die Angst, dass diese Party hier vor der Polizei gestürmt wird. Wenn ich Maddie jedoch anschaue, muss ich feststellen, dass ich wohl einfach zu brav bin.
Ich nippe vorsichtig an meinem Glas, habe so was ja noch nie probiert. Aber es schmeckt überraschend lecker, auch wenn es im Abgang stark an Desinfektionsmittel erinnert. Dass man den Geschmack von Cola so enorm verzerren kann! Ich beginne, mich ein wenig zu entspannen und mit jedem Schluck treten mein Leben und seine fragwürdige Art von Humor weiter in den Hintergrund. Ich wage mich nach einem weiteren Glas sogar zusammen mit Madison auf die Tanzfläche, bewege mich tatsächlich ein wenig hin und her, auch wenn alles gezwungen ist. Doch als das Lied zu Ende ist und ich mich suchend nach meiner neu gewonnenen Freundin umschaue, stelle ich fest, dass ich allein bin. Keine Spur von Maddie. Da sind sie wieder, diese Zweifel, und alles erscheint wieder grau. Weg sind die Farben. Ich hätte nicht herkommen sollen. Was soll ich denn allein hier machen? Ohne Maddie bin ich hier doch verloren. Der Gedanke, von diesem Ort zu verschwinden, schiebt sich zwischen meine Zufriedenheit. Wird jedoch von der Hand auf meiner Schulter