Löwenschwester. Catrina Balis

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Löwenschwester - Catrina Balis

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Kleid ist dreckig, ich bin völlig durchgefroren, aber ich stehe wieder auf. Nur das zählt.

      Und dann mache ich mich im Dunkeln auf den Nachhauseweg. Soll er doch einfach! Soll er doch tun, was er tun muss, um nicht völlig seine Nerven zu verlieren. Als hätte ich eine Wahl. Ich brauche doch gar nicht erst zu versuchen, mich zu wehren. Er ist zwei Köpfe größer, wesentlich kräftiger als ich. Das war er schon immer. Als hätte ich nur den Hauch einer Chance. Ich kann am Ende doch nur zulassen, dass er immer wieder alle Narben aufkratzt. Und das macht er gern, denn das ist seine Strategie, am Leben zu bleiben. Ich bin seine unfreiwillige Untergebene. Vielleicht lasse ich mich unterdrücken, aber letztendlich helfe ich damit, eine ganze Reihe von schlimmeren Dingen zu verhindern. Wenn man das schon als Kind beigebracht bekommt, gewöhnt man sich daran. Es dauert eine Weile, doch auf eine morbide Art gewöhnt man sich daran. Ich ergebe mich.

      Die Welt ist so gefährlich. Wir erleben Dinge, die wir nicht vermeiden können, die wir nicht vergessen können. Sie sind uns so tief ins Fleisch geschnitten, dass wir ein Leben lang verzweifelt versuchen, die Blutung zu stillen. Aber es gelingt uns niemals. Diese Art Schnitt heilt nicht. Vielleicht zeichne ich deshalb so gern. Ich sitze auf meinem Bett und drücke das Taschentuch auf meinen Arm. Die Tür zu meinem Zimmer ist wie immer verbarrikadiert. Tyler hat mich vorhin nur mit einem drohenden Blick angesehen, obwohl ich sogar bereit gewesen wäre, meine Pflicht zu erfüllen. Mom und Dad sind im Haus und deshalb bleiben wir lieber für uns allein. Jedoch sind sie nur noch so lange da, bis sie zu Bett gehen.

      Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell man die Zeit anhalten kann. Mit so einem bisschen Blut. Mit so einem bisschen Schmerz ... und Freiheit. Suzan hat mir zwei Nachrichten geschrieben und ich habe mit aller Überzeugungskraft erklärt, dass meine Mom mich gebraucht hat und ich deshalb so schnell verschwunden war. Nicht, dass ich kurz vorm Zusammenbruch stand, weil mein Bruder die Verbindung zwischen uns aufgewickelt hat, mich ohne vorher zu fragen an sich herangezerrt hat. Emotional. Ausnahmsweise. Suzie will sich bald wieder mit mir treffen, weil wir unsere Freundschaft ausbauen sollten. Ihr würde wirklich viel daran liegen. Ehrlich gesagt, mir auch. Ich weiß nur noch nicht, ob ich das kann.

      »Hell? Isst du mit uns?« Es klopft an meine Tür. Dad. Nicht Tyler. Auch wenn ich das kurz denke und mein Herz schon wieder so schnell rasen will, dass es stehen bleibt. Für. Eine. Sekunde. Warum nennt er mich Hell? Aus Angst, dass er vielleicht doch die Tür durchbrechen könnte, verstecke ich mein höllisches Geheimnis wieder in meiner Nachttischschublade und lasse alle Anzeichen dafür verschwinden, auf welche Art ich mich in den letzten Minuten befreit habe.

      Natürlich setze ich mich meinem Bruder gegenüber und ertrage seinen Blick, der mich im Nacken packt und in die Knie zwingt. Selbstverständlich beantworte ich Moms Fragen, die sie nur stellt, weil das in ihrem Drehbuch als Mutter nun mal so festgelegt ist. So vernünftig es wäre, genau das zu tun, ich lehne ab.

      »Kommst du wenigstens mit runter?« In Dads Stimme schwingt ein enttäuschter Unterton mit.

      »Ich muss noch Hausaufgaben machen.« erfinde ich. Notlüge. Nur so habe ich genug Zeit, um meine Maske wieder völlig gerade zu rücken, sie neu festzubinden und den Knoten unter meinen Haaren zu verstecken.

      Appetit habe ich sowieso selten, Hunger schon: nach dem Schlüssel aus meinem Käfig. Nach Zuwendung. Nach Verständnis. Nach Oma. Nach Ohren, die mir zuhören. Danach, einfach nicht übersehen zu werden.

      Nächster Tag, neue Hoffnung, neuer Kampf, neuer Tod.

      Ich sterbe jeden Tag ein bisschen mehr. Auf dem Weg zur Schule biege ich beinahe wieder zum Hochhaus ab, erkenne den Fehler dann aber schnell und stehe wenig später vor dem alten Gebäude. Es ist nicht verfallen, aber auch keine dieser Schulen, die überall mit dem Motto: »Schicken Sie ihr Kind zu uns und die Sonne geht nicht mehr unter.« beworben werden. Wir sind eine völlig normale Schule mit Mobbing, Skandalen, langweiligem Unterricht und Kaugummis unter der Bank. Es gibt Schulhofschlägereien um die hübsche Blonde aus der Oberstufe, Mädchen, die jede Pause ihr Make-Up erneuern. Einige Schüler besuchen den Computer- oder den Debattierclub. Wir haben nette Lehrer und andere, die mit ihrer Strenge nicht hinter dem Berg halten. Wir sind nichts Besonderes.

      »Helena!« Maddie fängt mich gleich ab, als ich den Raum betrete. Lächeln, winken, nicken, weitergehen.

      »Alles klar?« Sie setzt sich auf meine Bank, als ich meine Tasche auf den Boden stelle und meine Englischbücher herausnehme.

      »Ja, klar. Bist du Samstag noch gut nach Hause gekommen?« Ich gebe mir Mühe, nett zu ihr zu sein. Keine Ahnung, ob mir das gelingt, aber ich gebe wirklich mein Bestes.

      »Ja. Haben noch gefeiert, bis es draußen schon wieder hell war. Suzan ist eine ziemliche Spaßbremse, stimmt’s?« Sie lacht. Ich weiß nicht, warum. Weil ich mir nicht sicher bin, ob ich den ironischen Unterton richtig herausgehört habe, lache ich einfach mit. Es fällt mir nicht leicht, mich einfach so mit ihr zu unterhalten, als wäre absolut nichts Seltsames dabei. Theoretisch darf ich das auch gar nicht von mir erwarten, denn ein wenig aus der Übung bin ich mittlerweile schon: Erst jahrelang schweigen und dann plötzlich reden, ohne das Schweigen zu brechen. Das ist genauso kompliziert, wie es sich anhört.

      »Ich glaub, ich muss mal zu meinem Platz, es klingelt gleich.« Kaugummi kauend verschwindet Madison aus meinem Blickfeld. Menschen machen so was. Sie unterhalten sich ganz normal mit ihren Freunden vor dem Unterricht, in den Pausen, nach der Schule, abends am Telefon. Vielleicht bin ich doch nicht so außerirdisch, wie ich immer dachte.

      Mrs. Trevor kommt in die Klasse, stellt ihre Tasche auf den Tisch und schaut uns geduldig so lange beim Atmen zu, bis auch die Letzten aufgehört haben zu reden.

      »Wir schreiben heute«, beginnt sie. Allgemeines Stöhnen geht durch die Reihen. »Ich will, dass ihr tiefgründig seid. Schreibt das auf, was ihr denkt, was euch gerade bewegt. Aber: Das wäre ja zu einfach. Macht ein Gedicht draus! Los geht’s!«

      Ich starre auf mein Blatt. Ich hasse dieses Unterrichtsfach. Wieso sollte ich meine Gefühle jemandem mitteilen wollen? Das ist gefährlich. Englisch ist gefährlich. Doch nach einer Weile nimmt meine Hand den Stift. Sie will mir beweisen, dass sie mehr kann, als immer nur dünne, monotone Linien zeichnen. Also schreibt sie mir in wenigen Minuten das Gedicht auf, das meine Seele verfassen will:

      Du bist Gewalt

      Warum

      tust du mir das

      immer wieder an?

      Du weißt doch, wie sehr

      mich deine Liebe

      erstickt.

      Weil sie verboten ist.

      Warum

      verstehst du nicht,

      dass ich dich nicht will?

      Weil du meine Seele

      ertränkst.

      In unerlaubter Leidenschaft.

      Weshalb

      drehst du dich nicht

      einfach um, und lässt mich

      allein zurück und mich

      erholen

      von deinem Zwang?

      Bis

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