Der Seelendieb. Annette Philipp-Scherer
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Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr das, für sie immer noch fremde, Gesicht. Sie betrachtete sich genauer. Ja, sie war wirklich hübsch. Vor einem halben Jahr, als sie in diesen Körper geschlüpft war, hatte sie sich das lange Haar auf Schulterlänge gekürzt. Doch Marc hatte sie gebeten, es wieder wachsen zu lassen. Mittlerweile reichte es ihr wieder über den halben Rücken. Sie beugte sich nah an den Spiegel und besah sich ihre veilchenblauen Augen. Diese Augen waren fähig, tief in die Seele eines anderen Menschen zu blicken, und wenn sie es wollte, gelang es ihr sogar, eine Tür im Kopf des anderen zu öffnen. Sie nannte es „die Tür zum inneren Frieden“, denn sie konnte dem anderen zeigen, wo in dieser Welt seine Bestimmung lag. Wenn sie diese Fähigkeit einsetzte, sah sie für einen kurzen Augenblick das ganze Leben des anderen. Doch sie nutzte diese Gabe wirklich nur in der höchsten Not. Nach all den Jahren vermisste sie ihr Leben in Tibet immer noch. Daphne atmete tief durch; sie verdrängte jeden weiteren Gedanken, der aufkommen wollte.
Kurze Zeit später saß sie vor dem Bildschirm und arbeitete. Eine Weile danach kam auch Marc ins Zimmer. »Ich werde uns in der Garküche ein paar Straßen weiter, ein Frühstück besorgen«, sagte er. »Soll ich dir Algenrührei mitbringen?«
»Nein«, meinte sie, »heute nicht.« Dann sah sie ihn mit strahlenden Augen an. »Wenn alles gutgeht, werden wir in unserem Inselbiotop ein paar Hühner haben. Hast du schon einmal Eier gegessen?«, fragte sie ihn.
»Ich kann mich nicht daran erinnern. Ich glaube, das erste und letzte Ei habe ich gegessen, da war ich acht. Also, das müsste im Jahre Zweitausendzweihundertsechsundfünfzig gewesen sein«, meinte er und lächelte verschmitzt.
»Bleib doch mal ernst«, ermahnte sie ihn, »ich habe im Netz jemanden gefunden, der Hühner züchtet und verkauft. Im Moment noch zu unverschämten Preisen. Aber ich denke, der Preis wird noch fallen und dann sind die Hühner mein!«, rief sie mit Siegesstimme. Marc zog sich einen Stuhl neben sie. »Darf ich deine Pläne mal anschauen?«, fragte er. Freudig drückte sie eine Taste und ein dreidimensionales Haus erschien mitten im Raum. Es war phantastisch, Marc hatte das Gefühl, mit ihr von Raum zu Raum gehen zu können. Sie hatte es schon eingerichtet, das Mobiliar war einfach und, wie der Boden, aus einem dunklen Holzimitat. Im Meditationsraum hatte sie an die große freie Wand einen vom Boden bis zur Decke reichenden großen, goldenen Buddha gemalt. Daphne begann zu erklären: »Ich habe mir eine Schutzkuppel aus neuartigem Material herausgesucht, es ist viel leichter als Glas und widerstandsfähiger. Dadurch habe ich die Möglichkeit, die Kuppel in die Höhe zu bauen, denn ich möchte im Garten einige Bäume pflanzen. Unsere Regierung gibt jedem, der ein großes Grundstück überdachen lässt, einige kleine Setzlinge.« Etwas unsicher fragte sie ihn, »Kannst du dir vorstellen, dass wir dort leben und wohnen?« Marc nickte begeistert. Schnell sprach sie weiter. »Im Boden habe ich einen Zehntausendliter-Tank. Wenn es regnet, läuft das saure Wasser von der Kuppel dort hinein. Es wird gefiltert und aufbereitet, und natürlich habe ich auch an die Beregnungsanlage gedacht«, sagte sie voller Stolz. »Das Haus wird nur zwei Stockwerke haben, dafür aber etwas in die Länge gezogen sein«, fuhr sie weiter fort. Mit wachsender Begeisterung sprach sie weiter. »Hier sind die Zimmer für die Schüler.« Es waren einfach eingerichtete Zellen. Außer einem Bett und einem kleinen Bücherregal, enthielt es nichts. Auf dem Bett lag sauber zusammengefaltet eine Kutte, daneben stand eine Holzschüssel mit einem Löffel, und einem Rasiermesser zum Rasieren des Kopfes. Marc wusste, dass die Klosterschüler nicht mehr brauchten, sie entsagten freiwillig allen irdischen Besitztümern. Die Zellen sahen genauso aus, wie man sie in jedem Kloster in Tibet finden konnte. »Hier sind die Zimmer für die Gäste. Mir geht es nicht unbedingt darum, den Menschen den Buddhismus nahezubringen«, erklärte sie. »Ich möchte, dass die Menschen wieder lernen, sich selbst zu finden, sie sollen sehen, welche Kraft in ihnen steckt.
Sie sollen begreifen, dass sie eins sind mit der Natur, dann werden sie auch ihr Denken gegenüber der Natur ändern«, fügte sie hinzu.
»Und wo werden unsere Zimmer sein?«, fragte er leise.
»Hier, in der zweiten Etage«, sie zeigte ihm drei helle Räume, alle nicht sehr groß und noch nicht eingerichtet. »Nanu«, sagte Marc, »die sind ja noch nicht fertig.« Daphne sah ihn an und meinte, »Ich dachte, du würdest sie gerne mit mir zusammen einrichten.« Er legte den Arm um sie und drückte sie an sich. »Das, mein Herz, werde ich sehr gerne mit dir machen.« Sie konnten aus dem 3D-Haus auf eine große Terrasse gehen und den Blick in den virtuell fertigen Garten genießen. »Es ist leider so, dass wir in unserer Welt Tiere und Pflanzen nur noch in Inselbiotopen ein Zuhause geben können«, sagte sie traurig. »Aber, wie gesagt, ich bin im Netz immer noch auf der Suche nach Pflanzen und Tieren. Es sieht so aus, als gäbe es da eine Menge Menschen, die sich um die Artenerhaltung kümmern. Ich möchte auch dazu gehören«, sagte sie mit Nachdruck. »Was sich in den Inselbiotopen gut vermehrt, wird zum Verkauf angeboten, seien es Pflanzen oder Tiere«, erklärte sie ihm weiter. Marc sah sie fragend an, »Sag mal, ist das alles nicht wahnsinnig teuer, haben wir denn so viel Geld?«
»Ja, das liebe Geld«, seufzte sie. »Seitdem ich in Pias Körper bin, habe ich alles, was sie besessen hat, verkauft. Es hat leider nur dazu gereicht, das Grundstück zu kaufen, aber ich bin dabei, noch Geld aufzutreiben. Ich habe verschiedene Promis angeschrieben, einige haben sogar geantwortet und sind sehr interessiert«, sagte sie, nicht gerade überzeugend. Marc sah sie von der Seite eher misstrauisch an. »Du nutzt aber nicht deine, wie soll ich sagen«, er machte eine kleine Pause und schien zu überlegen, »du nutzt aber nicht deine ausgefallenen gedanklichen Möglichkeiten?«, beendete er dann den Satz. Sie lächelte verschmitzt, wurde dann aber wieder ernst, als sie antwortete, »Ich nutze meine Gabe nicht zu meiner Bereicherung. Ich bin mir ganz sicher, es wird sich eine Geldquelle auftun«, sagte sie fast trotzig. »Den Wunsch habe ich abgeschickt, das Universum wird ihn auffangen und umwandeln.« Marc zog sie in seine Arme und küsste ihre Stirn. »Da bin ich mir auch ganz sicher, mein Herz«, sagte er. Dann sprang er auf. »Ich habe ja fast unser Frühstück vergessen, bin gleich wieder da!«, rief er und war schon verschwunden, noch bevor sie etwas sagen konnte.
Daphne beendete ihre Arbeit, sie deckte den Tisch, räumte hier und da noch etwas auf, dann ging sie in ihr Büro zurück, denn fast hätte sie vergessen, ihr Haustier zu füttern. Haustiere zu halten, war verboten. Aber dieses war ihr, als sie noch die alte Daphne war, und sie noch in ihrer alten schäbigen Wohnung gewohnt hatte, zugelaufen. Genaugenommen war es auch kein Haustier im eigentlichen Sinne. Als sie die Schachtel öffnete, hob der kleine Ratterich schwach den Kopf. Sie sah sofort, dass er im Sterben lag. Die ganzen letzten Tage schon war er nicht mehr aus der Schachtel gekommen, um durch die Wohnung zu streifen. Sacht legte sie ihm die Hand auf den kleinen Körper, sie summte ein altes tibetisches Sterbelied. Das Tier entspannte sich unter der Berührung ihrer Hand, und dann sah sie, wie sich aus dem kleinen Körper ein winzig heller Punkt löste. Sie lächelte schwach. Leise sagte sie, »Ich weiß, dass ihr Tiere eine Seele habt, deshalb verstehe ich die Menschen nicht, die euch so quälen.« Seit Massentierhaltung verboten war, galt Rattenfleisch als Delikatesse. Sie wusste, dass man Ratten fing und auf grausamste Art tötete. Kurz schwebte das Licht nah an sie heran, streifte ihre Hand und glitt dann in Richtung Decke, um dort zu verschwinden. Fast vier Jahre hatte die Ratte sie begleitet. Unter Tränen flüsterte sie, »Leb wohl mein kleiner Freund, ich wünsche dir eine gute Reise und hoffe, du findest in deiner