Spätsommer. Helmut H. Schulz

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Spätsommer - Helmut H. Schulz

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empor, vermischt mit wildem Wein. Vor den niedrigen, fast quadratischen Fenstern des Erdgeschosses standen Bauernrosen und Malven, zartrosa, violett. Kletterbohnen wanden sich um dünne Stangen. Hinter dem weißen Lattenzaun befand sich eine dichte, rechtwinklig geschnittene Hecke. Im Vorgarten blühten noch Rosen und schon Dahlien einer Zwergsorte, die Frau Johansen bevorzugte.

      Wohnräume und Küche nahmen das untere Stockwerk ein. Darüber lagen mehrere kleine Kammern, zwei davon mit Fledermausfenstern. Die mittlere Stube, über dem Eingang, hatte jedoch ein normales Fenster. Früher war das weit heruntergezogene Dach mit Schilfstroh gedeckt gewesen. Später wurde das alte Stroh durch Ziegel ersetzt, graue, Biberschwänze, die auch schon wieder Moos ansetzten.

      Hinter dem Haus, von ihm verdeckt, lag ein großer Obstgarten, und ein hölzerner, mit Teerpappe gedeckter Schuppen stand dort. Kieloben auf zwei Böcke gelegt, faulte ein Boot seit Jahren vor sich hin. Über die hintere Gartentür führte ein schmaler Weg zu einer sumpfigen Wiese, durchsetzt mit Schilf, Ried und Wiesenschierling; der Weg führte weiter hinunter zum Bodden.

      Torsten ließ mit einem Ruck den Campingbeutel fallen und rieb sich die schmerzende Schulter.

      »Nun«, sagte die Johansen, »so schwer ist der Sack wohl nicht gewesen. Ich hatte es schwerer, und ich bin nur eine Frau.«

      »Ich bin bloß ein Kind«, entgegnete Torsten, aber die Johansen ließ sich auf keine weitläufigere Erörterung dieser Frage ein. Sie schloß schweigend die Haustür auf. Drinnen war es dunkel und eng, es roch muffig. Ehe die Johansen etwas anderes tat, öffnete sie Türen und Fenster und legte die Sperriegel vor.

      Der Sturm ließ die Bäume aufrauschen, und die Johansen sagte überzeugt: »Dein Onkel ist doch ein tüchtiger Mann, das muß ich schon sagen. Er hat uns zur rechten Zeit abgesetzt, auch diesen Sturm hat er vorhergesehen. Jetzt ist er draußen in Wind und Wetter, aber es wird ihm nichts ausmachen.« Sie zog dem Jungen den Mantel aus und hängte ihn weg.

      Das Kind maulte: »Der ist eben schon ein Mann.«

      »So ist es«, sagte die Johansen, »und komm mir nicht immer damit, du seist nur ein Kind, wenn dir etwas mißfällt. - Ich muß freilich einräumen, daß dein Onkel es nicht weit gebracht hat. Noch ist zwar nicht aller Tage Abend, und ein Johansen hilft sich aus dem Schiet, aber der Tag ist für Richard schon weit vorgeschritten. Es wird Zeit, daß er etwas für sich tut. - Wollen wir nun essen?« Sie selbst wollte essen, sie fühlte nach der Seereise einen wilden, unkörperlichen Hunger. Ihr schien, sie hatte eine wichtige und schwere Sache erledigt, sich Torsten zurückgeholt, eine kräftezehrende Anstrengung, die den Wunsch rechtfertigte, sich wie ein Wolf vollzustopfen:

      »Ich will nichts.« Torsten ließ sich lang auf das Sofa fallen. Noch während sie den Jungen auszog und ihn zudeckte, war er unter ihren großen Händen eingeschlafen. In aufflammender Besitzgier, seit Tagen unterdrückter Liebe, umarmte sie das schlafende Kind so heftig, daß es noch einmal erwachte und sie kräftig wegschob.

      »Langsam, kleiner Satan«, sagte sie wie erleichtert.

      In der Küche machte sie sich ein Frühstück, vom Essen hätte sie jetzt keinerlei Rührung abhalten können.

      Kapitel 3

      Niemals hatte das Dorf eine richtige Landwirtschaft besessen. Neben Büdnerei und Kätnerei, Kleinwirtschaften mit Kuh oder Ziege und etwas Land, war das Fischen im Meer und im Binnenwasser ein mehr oder minder ertragreiches Gewerbe gewesen. Katen und Buden kuschelten sich noch dicht aneinander, die bemoosten Häupter neigend. Gebaut waren sie aus Schilf, Holz und Lehm, einst bemalt mit Ochsenblut oder Waschblau. Es gab aber auch Straßen, die sich stolz Hafenstraße oder Kapitänsgasse nannten. Die Häuser, die hier von Reedern, Kapitänen und Künstlern errichtet worden waren, als Dauerwohnungen oder als Sommerquartiere, durften als solide gebaut gelten. Dies und manches andere hatten das Dorf so sehr verändert, daß man es kaum noch Dorf nennen konnte. Die Johansen war eine der letzten ganz Alten, im Sinne von eingesessen, und daraus zog sie einen wichtigen Teil ihres Selbstgefühls.

      Wirklich alt war sie jedoch nicht. Ihr Haar war stumpf wie gewässerter Flachs, straff zurückgekämmt und hinten zu einer Zwiebel verknotet. Leicht nach oben gebogen war die Nase, und dank der kurzen Oberlippe schien der Mund stets zu einem Lächeln geöffnet. Auffallend waren ihre Hände, groß, glatt und schaufelartig.

      Diese Hände legte sie auf die Spitzen des Staketenzaunes, der ihr Grundstück von dem der Nachbarin trennte: »Ich bin eben zurück, Frau Dathe.«

      »Das's man schön«, erwiderte die Dathe, eine Frau im Alter der Johansen, ihr aber nicht ähnlich. »Wie sieht es denn nun aus?«

      Die Johansen berichtete nur wenig vom Besuch bei ihrer Tochter und dem Schwiegersohn. Richard Johansen, vor Fremden redete sie von ihren Angehörigen meist wie von sehr fernstehenden Personen, meint, Knut Blinz würde den Arm nie wieder voll gebrauchen können. »Mir ist das gleich, muß ich Ihnen sagen. Man wird ihm schließlich eine Rente zahlen müssen, und meine Tochter verdient ja auch Geld.«

      »Machen Sie sich nicht schlechter, als Sie sind«, rügte die Dathe, schnitt ein paar Dahlien ab und ordnete sie zu einem Strauß.

      Die Johansen zeigte mit einem Finger auf die Dahlien. »Die können Sie doch nicht in einer Vase halten.«

      »Das lassen Sie mal meine Sorge sein«, erwiderte die Dathe, »kommen Sie lieber auf einen Kaffee mit rein.«

      Die Johansen entsann sich des schlafenden Torsten, Sie wollte ihn jetzt nicht allein lassen, und so lehnte sie ab: »Ich habe heute schon dreimal, erst bei meiner Tochter, was die so Kaffee nennt, dann bei Richard Johansen, was der für Kaffee hält, und zuletzt bei mir gerade Kaffee getrunken.«

      »Das 's was anders«, entschied die Dathe, »Sie verstehen ja wohl was von Kaffee, Sie mit Ihrer Schwester in Bremen. - Wieso waren Sie überhaupt so früh auf den Beinen?«

      »Eben habe ich Ihnen das doch erklärt, ich habe Torsten abgeholt, und es war ein Glück, daß Richard Johansen im Hafen lag. So kamen wir ganz gut weg.«

      Die Dathe fragte knapp: »Wat macht he?«

      Diese Frage hätte die Johansen sowohl auf ihren Sohn Richard als auch auf ihren Enkel beziehen können. Sie entschied sich richtig für das Letztere: »He slapt.« Sie seufzte. »Man hat mir das Kind in den paar Tagen vollständig umgekrempelt. Ich muß nun sehen, wie ich zurechtkomme.«

      »Was Ihnen ja nicht schwerfallen wird«, sagte die Dathe.

      Die Johansen überhörte die Spitze, beide Frauen waren an diesen kabbligen Ton auch zu gewöhnt, als daß sie ihm Bedeutung beigemessen hätten.

      »Das Beste wär, sie würden mir den Jungen ganz geben.« In dem runden Gesicht der Dathe zuckte Spott, sie band die Stiele der Dahlien zusammen, klemmte sich den Strauß unter den Arm und sagte: »Um mir das zu vertellen, sind Sie nun an meinen Zaun gekommen? Da drauf wollen Sie hinaus, aber machen Sie sich keine Hoffnungen, Frau Johansen. Als Notnagel, da sind wir ollen Weiber gut.«

      Hier mochten eigene Erfahrungen aufklingen, da waren Söhne, die selten schrieben, noch seltener zu Besuch kamen; kamen sie, wollten sie etwas, da waren rechthaberische Schwiegertöchter, und man hing doch an dieser Familie.

      »Wieso ist das eigentlich Ihr Zaun«, fragte die Johansen.

      Jetzt ging bei heller Sonne ein leichter Regen nieder, ein kleiner Regen, wie die Dathe es nannte, und sie fügte hinzu: »Da fährt ein Bootsmann

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