Spätsommer. Helmut H. Schulz

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Spätsommer - Helmut H. Schulz

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Schiff bleiben sollen, da hätten wir die ganze Aufregung nicht. Hier weiß man Bescheid. Ein gutes Schiff wechseln gegen ein anderes zieht das Unglück herab.«

      Aber im Grunde war ihr diese Aufregung doch recht, eine Abwechslung in dem Einerlei. Ruhe ertrug sie am wenigsten.

      »Wenn ich Ihnen was helfen kann, bot die Dathe an. Ich bin auf ein Ei gekommen oder auf ein paar Eier. Wenn der Junge aufwacht, wird er Hunger haben. Jetzt war er übermüdet. In einer Stunde ist er hungrig wie ein Tiger.«

      »Kommen Sie man«, sagte die Dathe gemütlich, »auf ein Ei oder auf eine Mandel Eier.«

      Die beiden Frauen gingen in das Haus, das sich von dem der Johansen unterschied. Es war eine Lehmkate, freilich immer wieder erneuert und ausgebaut, aber eine Kate. Andererseits gab es zwischen den Familien etwas mehr als nachbarliche Beziehungen. Und deshalb durfte die Johansen ein oder ein paar Eier von der Dathe leihen, ohne daß einer der beiden Frauen ein Stein aus der Krone fiel.

      Kapitel 4

      Die Stube der Johansen war ein Gemisch aus wertvollen alten Möbeln und Trödellager. Eine Vitrine, ein Tisch mit geschwungenen Beinen und dazugehörigen Stühlen, eine alte Standuhr mit schweren Messinggewichten, die unter der Feuchtigkeit litten. An den Wänden hingen Ölbilder, Schiffe mit sorgsam ausgepinselten Segeln, rauer See und großen leserlichen Schriftzügen. Das der Johansen wichtigste dieser Bilder zeigte den Schoner „Vineta“.

      Überall lagen Sandelholzfächer, Lackkästen, Edelkorallen, Muscheln herum, und was sonst in einem Jahrhundert an exotischem Kleinkram gesammelt werden konnte.

      Die Johansen setzte sich auf einen der plüschbezogenen Stühle und legte die geborgten Eier vor sich auf den Tisch.

      »Möchtest du, daß ich dir etwas Bestimmtes koche, fragte sie, oder möchtest du, daß wir ins Gasthaus essen gehen?« Hätte die Johansen einen Schimmer von Schulpädagogik besessen, dann würde sie dem Jungen keine Frage gestellt haben, von der zwei gleichstarke Reize ausgingen, Sie erhielt auch eine Antwort, mit der sie nichts anfangen konnte.

      Torsten nickte.

      »Mir dir habe ich es nicht leicht, und ich weiß überhaupt nicht, weshalb ich mich mit dir plage. Ich könnte beispielsweise zu meiner Schwester nach Bremen ziehen.«

      Sie untersuchte die geborgten Eier und stellte fest: »Die werden auch immer kleiner. Möchte wissen, was die Dathe mit ihren Hühnern macht.«

      »Sie hat sie abgeschafft«, sagte Torsten. »Die Eier sind vom Konsum. Seit sie Rentner ist, fehlt ihr die Zeit, sagt sie.«

      »So«, die Johansen winkte ab, »nun frage ich dich, was hat diese Frau den ganzen Tag zu tun? Deshalb kann sie auch am Zaun klönen und einem die Zeit stehlen.«

      »Oma«, Torsten hob den Oberkörper an, dabei rutschte die Decke. Die Johansen stand auf, drückte den Enkel wieder hinunter und deckte ihn zu.

      »Ich würde schon gern essen gehen.« Prüfend sah er ihr in die Augen. Sein Vorschlag fand bei ihr keinen Beifall. Da er befürchten mußte, sie würde ihm jetzt einen langen Vortrag halten, bot er ihr einen Ausweg an.

      »Oder ich esse Omelett?«

      »Mit Konfitüre«, ergänzte die Johansen, erfreut über den Triumph ihrer Voraussicht. »Siehst du, und da kommen uns die Eier von der Dathe zupaß.«

      »Ich will aufstehen.«

      Die Johansen legte die Decken zusammen, brachte sie in ihr Schlafzimmer, schüttelte die Kissen auf und stellte die Ordnung in der Stube wieder her. Dann band sie eine Schürze um und ging in die Küche. Während sie Eier aufschlug und einen Teig mischte, saß Torsten auf einer Bank. Über seinem Kopf baumelten Tiegel und Töpfe.

      »Erzähl was«, bat der Junge.

      »Von Vineta?«

      Das war eins ihrer Spiele. Während sie irgendetwas mit ihren Händen tat, erzählte sie.

      »Der Schoner Vineta hat deinem Urgroßvater gehört, ein Kornsegler, klabusterte so die Küsten längs, aber das Schiff ging auch bis rauf nach Riga, Dann kam die andere Zeit, mit den Seglern war es vorbei. Ich hab die Vineta nur noch als Wrack gesehen, aufriggen wollte es auch keiner mehr. Da war ich ein kleines Kind, so wie du.«

      »Aber Vineta war auch eine Stadt.«

      Mit großer Sicherheit dirigierte er die Großmutter auf ein ergiebiges Thema.

      »Vineta soll eine Stadt gewesen sein, da hast du recht. Sie lag in meiner Heimat, sagt man, und in alter Zeit hat noch mancher ihre Glocken gehört und die Stadt im Wasser gesehen, Häuser, Straßen, Seeleute, Marktfrauen und Soldaten.«

      »Und weiter?«

      »Und weiter«, sie vergaß, den Teig zu rühren, »über allem lag eine sonderbare Stille, eine grausame Heiterkeit, will ich mal sagen, ein Silberglanz von Kampf, Sieg, Untergang. Die langen Sturmfahnen flogen, und das Wasser türmte sich übereinander. Dort lag meine Heimat.«

      »Das ist aber lange her«, sagte Torsten, den die Sage interessierte, aber nicht die ihm unverständliche Frage nach der Heimat.

      »Ich wollte damit sagen«, erklärte die Johansen und nahm ihre Arbeit wieder auf, »daß ein Mensch sein Zuhause nicht so leicht vergessen kann, und wenn er noch so alt wird. Du zum Beispiel wirst dich noch im Alter an dieses Haus erinnern, deine Heimat. Ja, ich fühle mich hier wohl, das stimmt, aber ich habe auch das Empfinden, ich könnte mich noch wohler fühlen, es könnte mir besser gehen. Ich meine nicht, daß es mir an Geld fehlt, ich meine es im Allgemeinen.« Sie schwieg nachdenkend und setzte wieder an: »Denke nicht, ich würde zu meiner Schwester gehen. Das alles ist in mir, eine unklare Sehnsucht, ein Gefühl, mir würde Unrecht angetan. Ich würde mein Haus hier niemals im Stich lassen.«

      »Du würdest es lieber anzünden«, bemerkte Torsten. »Was heißt das? Rede keinen Unsinn! Hat dir deine Mutter diesen Blödsinn erzählt?«

      »Du hast es heute früh selbst gesagt.«

      Sie rieb sich mit dem mehlbestäubten Handrücken die Stirn, wischte eine Strähne Haar nach hinten und sagte leichthin, ohne Überzeugung: »Ich werde eben alt und vergeßlich. - Steck das Gas an.«

      Torsten setzte die beiden Flammen des Propanbrenners in Betrieb. Die Johansen stellte zwei Pfannen auf, in denen sie die Eierkuchen briet. Bei dieser Beschäftigung heiterte sich ihr Gemüt wieder auf.

      »Du mußt mich direkt für verfressen halten. Ich habe erst vor einer Stunde, als du schliefst, gefrühstückt, Kaffee, Brötchen und Wurst und Schinken habe ich gegessen. Ich denke, es verhält sich so mit mir, ich habe deinetwegen einen großen seelischen Kummer gehabt, deshalb mußte ich über das Essen mein Gleichgewicht wiederfinden.«

      »Ja, Oma.«

      »Jetzt werde ich kaum etwas essen können oder nur ganz wenig und mehr dir zuliebe.«

      Sie legte die fertigen Kuchen auf zwei Teller, gab Bestecke heraus und ein Glas mit Marmelade. Dann aßen sie, oder sie wollten essen, da fiel der Johansen etwas ein.

      »Hast du dich überhaupt gewaschen? Natürlich nicht, also bitte. Wenn man nicht dauernd hinter dir her ist. Kaum

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