Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis - Bettina Reiter страница 21
Hermanns einziges Laster waren die Frauen und es tat gut, dass auch er schwache Seiten hatte. So räumte er freimütig ein, dass er Frauen beglückte wie er Feinde in die Flucht schlug. Nur in der Liebe schien ihn das Glück zu verlassen. So hatte sich seine Ehe mit der reichen Gräfin Löben als lieblos erwiesen. Über das Ende war er noch heute erleichtert. Anders verhielt es sich mit seiner großen Liebe Adrienne Lecouvreur. Hermann schwärmte oft von ihr. Von der begnadeten Schauspielerin, die vor allem als tragische Heldin vom Publikum und vielen Künstlern gefeiert, jedoch von der Kirche geächtet wurde, die ihr Gotteslästerei unterstellte. Doch ihr größter Feind war die eifersüchtige Herzogin von Bouillon gewesen. Adriennes plötzlicher Tod wurde deshalb ihr zugeschrieben. Sie hatte Hermanns Geliebte angeblich vergiftet. Aber nicht nur Adriennes Tod quälte Lucs Freund, auch die Tatsache, dass die Kirche eine Bestattung in geheiligtem Boden verweigert hatte. Man ließ ihre Leiche auf den Schindanger werfen. Hermann und viele ihrer Anhänger hatten Adrienne dann heimlich am Ufer der Seine beigesetzt. Seitdem hatte er der Liebe abgeschworen.
„Worüber sinnierst du nach?“ Hermann schob mit dem Fuß die angelehnte Tür auf. In den Händen hielt er jeweils einen Holzteller. Den größeren stellte er vor Luc ab. Speck, unförmig geschnittener Käse, dicke Brotscheiben und Wurst befanden sich darauf, sowie Sauerkraut und ungeschälte Kartoffeln. Hinter Hermann trat ein dunkelhäutiges Hausmädchen ein, das einen weißen Porzellankrug und zwei Gläser brachte. Als sie alles auf dem Tisch platziert hatte, zog sie sich mit einem förmlichen Knicks zurück.
„Hast du die Mahlzeit selbst zubereitet?“, erkundigte sich Luc.
Wie erwartet nickte Hermann, der sich zu ihm setzte und seinen Teller ein paar Mal drehte, als könnte er sich nicht entschieden, womit er beginnen sollte. „Meine Köchin hat Bauchschmerzen. Ich habe gerade den Doktor rufen lassen und sie ins Bett geschickt.“ Hermann biss herzhaft vom Brot. „Dabei hätte ich sie dir gern vorgestellt“, sprach er mit vollem Mund weiter. „Marlene ist bezaubernd, aber wählerisch. Wenn ich nicht zu alt wäre … du hingegen hättest sicher Chancen. Außerdem würde dir etwas Ablenkung guttun.“
„Danke für das Angebot.“ Nicht zum ersten Mal versuchte Hermann ihn zu verkuppeln. Luc wusste, dass er es gut meinte. Trotzdem ging ihm das allmählich auf die Nerven. Liebe ließ sich nicht erzwingen, aber leider auch nicht zum Teufel jagen. Insofern war es vielleicht tatsächlich ein Fehler, seine Familie besuchen zu wollen. In Ungarn hatte es sich einfacher angefühlt und er hatte das Gefühl gehabt, sich wieder halbwegs im Griff zu haben. Obendrein wollte er wissen, ob es allen gut ging. Doch jetzt in diesem Augenblick wurde ihm klar, dass er sich nur etwas vorgemacht hatte, denn wozu gab es Briefe. Nein, es war die Sehnsucht, Henriette zu sehen, die ihn hergeführt hatte. Und sei es nur für einen kurzen Augenblick. „Die Kartoffeln sind roh“, stellte Luc fest und hob eine davon in die Höhe. Es schadete nicht, das Thema zu wechseln.
Hermann schluckte seinen Bissen hinunter, schaute ihn verwundert an und klopfte auf die Kartoffel. „Und steinhart.“
Nun musste Luc schmunzeln. „Mich wundern die Bauchschmerzen der Köchin nicht, wenn ihr eure Mahlzeiten auf diese Weise zubereitet.“
„Sie wird es überleben und du auch. Gegessen wird, was auf den Tisch kommt“, meinte Hermann ungerührt, nahm den vor sich stehenden Krug und verteilte den purpurschimmernden Wein in beide Gläser, deren Kristall–Schliff ebenfalls das sächsische Wappen zeigte. Dann stellte er den Krug ab. Seine rauchblauen Augen suchten Lucs Blick. „Wie lang bleibst du?“
„Willst du mich schon wieder loswerden?“
„Im Gegenteil. Also, wie lange darf ich dich um mich haben?“
„Ein, zwei Tage. Dann reise ich zu meiner Familie weiter“, erwiderte Luc und schob sich ein Stück Wurst in den Mund, obwohl ihm der Hunger vergangen war, denn er war zwischen seiner Vernunft und seinem Herzen hin– und hergerissen.
„Bleib lieber bis Sonnabend.“ Hermann griff zu seinem Glas, neigte es ein wenig zur Seite und hielt es wieder gerade. Ein öliger Fleck blieb an der bauchigen Glaswand zurück. Eingehend betrachtete Hermann den Wein, bevor er einen Schluck trank. Mit genießerischer Miene stellte er das Glas zurück, behielt es jedoch in der Hand. „Ein Hausierer ist heute dagewesen. Er kommt jedes Jahr mit den schönsten Teppichen, edlem Email und anderen Dingen vorbei. Ich habe ihm fast alles abgekauft, aber du kennst diese Leute ja. Sie sind wie Plaudertaschen, wenn man ihnen den kleinen Finger reicht.“ Er räusperte sich. „Am Wochenende gibt deine Großmutter ihren Sommerball, zu dem auch ich eine Einladung erhielt. Allerdings habe ich sie wieder vergessen, weil ich ohnehin aus Termingründen nicht teilnehmen könnte.“ Er schaute Luc zwingend in die Augen. „Du solltest es auch bleiben lassen. Arbeite stattdessen mit mir eine Taktik gegen die Österreicher aus und begleite mich.“ Hermann fixierte wieder das Glas und drehte es. Vermutlich feilte er in Gedanken bereits an einem Angriffsplan.
„Beteiligt sich Sachsen am Erbfolgekrieg?“ Luc schob den Teller von sich und lehnte sich zurück. Hermanns verlorener Feldherrenblick konzentrierte sich wieder voll und ganz auf ihn.
„Das wird sich zeigen, aber die Österreicher werden es schwer haben, nachdem sie in der Schlacht gegen die Türken viele Männer einbüßten. Maria Theresias Heer ist geschwächt, das der Preußen zu allem bereit und legendär in der Kampfführung. Sie haben sich im Frühjahr mit Frankreich verbündet, seit einigen Tagen mit Bayern und Spanien. Dein Heimatland und Österreich sind seit jeher Erzfeinde. Spanien wird sich das zunutze machen und versuchen, verlorene Gebiete in Italien zurückzuerobern.“ Hermann zupfte an seiner nachtblauen Halsbinde herum. „Derzeit besetzen die Bayern Passau und Althaus. Die Engländer ziehen sich zurück und es sieht danach aus, als würde auch Sachsen in die Allianz eintreten. Es laufen Verhandlungen mit dem Kurfürsten von Bayern. Man bietet ihm einen Kuhhandel an, so sehe ich das zumindest. Unter anderem macht man ihm eine neue Ordnung der Erbländer schmackhaft. Obendrein sichert man ihm die Unterstützung in seiner angestrebten Königswürde zu. Mal sehen, ob ihr Wort etwas wert ist.“
„Glaubst du, Karl Albrecht verbündet sich mit Frankreich?“
„Er will König werden, dafür wird er alles tun. Frankreich ist ein mächtiger Alliierter.“
„Du ziehst also in den Kampf?“
„Meine Uniform liegt seit Tagen auf dem Bett.“ Hermann riss sich das Band unwirsch vom Hals und warf es auf den Tisch. „Ich frage mich, weshalb ich mich diesem Modediktat unterwerfe. Es schnürt einem die Kehle zu.“ Ein kratzendes Geräusch war zu hören, als er über seine stoppeligen Wangen fuhr. Sein fülliges Haar war fast zur Gänze silbergrau, nur die Spitzen waren noch braun wie die dichten Augenbrauen. Die Nase war energisch, die Lippen schmal, auf denen meist ein nicht ernstzunehmender Spott lag. Am Kinn hatte er eine kleine Einkerbung. Ansonsten war Hermann muskulös und konnte es mit jedem Milchbart aufnehmen. Davon abgesehen wirkte er auch im Gesicht um einiges jünger als vierzig.
„Du starrst mich an, Kleiner“, riss Hermann ihn aus seinen Gedanken.
„Weil ich gerade daran gedacht habe“, erwiderte Luc grinsend, „welche Schönheit wir mit dir auf dem Schlachtfeld haben.“
„Neidisch?“
„Träum weiter.“
„Nun, wenn es dich tröstet: Du verdrehst auch vielen den Kopf. Damit meine ich jedoch nicht die Soldaten.“ Hermann lachte und zeigte ein teegelbes kräftiges Gebiss. „Zugegeben, ich bin neidisch auf dich.“
„Über mangelnde Frauenbekanntschaften musst du dich zuletzt beklagen.“
Hermann