Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter
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Der Freitag schien sich endlos hinzuziehen und es herrschte ein Wetter wie im April. Die Sonne kam und ging, genau wie der Regen. Doch jetzt lag zwielichtige Düsterkeit über der Landschaft, gleichzeitig herrschte drückende Schwüle vor. Henriette saß wie üblich in ihrem ausrangierten Sessel im Salon und empfand die Laune der Natur wie eine Warnung. Deshalb konnte sie sich kaum auf ihre Stickarbeit konzentrieren, die das Wappen ihrer Familie zeigte.
Nach einer Weile vergeblichen Bemühens legte sie den Rahmen auf den Beistelltisch und beobachtete ihre Mutter, die am Tisch wieder eifrig Briefe an die Geschwister schrieb. Alle – bis auf Tante Alexandrine – hatten ihre Teilnahme am Ball abgesagt. Besser gesagt: Keine Antwort war auch eine Antwort. Doch ihre Mutter nahm das nach wie vor hin. Sollte sie doch, Henriette war es egal, weil sie noch immer wütend auf sie und Lotti war.
Antoine ahmte den Laut eines Pferdes nach. Er saß zu Dianas Füssen, die ein Leintuch ausbesserte, und spielte vergnügt mit den Holztieren, die Louis für ihn geschnitzt hatte. Die Großmutter schlenderte von einer Vase zur nächsten und arrangierte die darin gewässerten Gartenblumen ständig neu. Doch weder das kräftige Gelb, Rot und Weiß der Blüten noch der zarte Duft konnten die angespannte Stimmung verscheuchen. Die Ankunft der Großtante stand unmittelbar bevor und Henriette musste unwillkürlich an ein weiteres Märchen Perraults denken: ´Cendrillon ou la petite pantoufle de verreˋ. An das Aschenputtel mit dem gläsernen Schuh, die mit einer bösen Stiefmutter und deren verdorbenen Töchtern gestraft war.
Als Stimmengewirr in der Halle draußen die Ruhe aufscheuchte, zuckte die Großmutter unmerklich zusammen. Vermutlich einige Dienstboten, die sie eigens für das Fest eingestellt hatten. Sogar ein Orchester hatte Lotti verpflichtet, einige neue Kleider beim Schneider bestellt und die besten Köche weit und breit engagiert. Einen solchen Aufwand hatte sie noch nie betrieben und das auch noch angesichts der hohen Schulden!
„Warum soll das heurige Fest so pompös werden?“, rutschte es Henriette heraus, ehe sie sich zurückhalten konnte.
„Sieh an, deine Tochter spricht wieder mit uns“, sagte Lotti mit Blick auf die Mutter, die jedoch weiterschrieb, als hätte sie nichts gehört. „Nun, deine Zukunft wird in diesem Jahr besiegelt, Henriette. Dazu benötigt es einen angemessenen Rahmen. Das ist die schlichte Erklärung.“
„Ach, ihr tut das mir zuliebe?“ Henriette hätte am liebsten laut gelacht. „Die Wahl meines Ehemannes steht ohnehin fest. Warum der Aufwand? Oder lasst ihr euch von meinem Zukünftigen schon jetzt alles bezahlen?“
Diana blickte von ihrer Arbeit hoch. „Gib dem Herzog eine Chance, Henriette. Mein Bruder hat eine hohe Meinung von ihm und das will etwas heißen, denn er ist sehr wählerisch, was den Umgang mit anderen betrifft.“ Da ihre Schwägerin häufig Bettruhe hielt, hatte bisher die Gelegenheit gefehlt, um ihr von der Wendung zu erzählen. Vor allem davon, dass Dianas Bruder Henriettes zukünftiger Schwiegervater war! Ein Phantom, das sie bisher nie zu Gesicht bekommen hatte. Nicht einmal an Dianas Hochzeit hatte der Duc teilgenommen. Angeblich lebte Dianas Bruder sehr zurückgezogen und galt als äußerst menschenscheu.
„Du bist nicht ganz auf dem Laufenden, Diana, denn der Herzog …“, hob Henriette zu einer Erklärung an, „ist längst nicht mehr im …“
„Das Personal ist äußerst schlampig“, fuhr Lotti lautstark dazwischen und drehte die Vase nach allen Seiten. „In die Mitte des Tisches, habe ich gesagt. In die Mitte! Und jetzt hört auf zu reden, Kinder. Ich muss nachdenken.“
Offensichtlich wollte die Großmutter verhindern, dass Diana hinter ihre Pläne kam und hatte Henriette deshalb unterbrochen. Aber früher oder später würde es ihre Schwägerin ohnehin erfahren. Oder hatte Lotti Angst, dass sich Diana auf ihre Seite schlagen und versuchen würde, ihnen die Sache auszureden bevor sie unter Dach und Fach war? Schade, es wäre interessant gewesen, was ihre Schwägerin dazu gesagt hätte. Immerhin kannte sie Philippe am besten von allen in diesem Raum. Doch im Augenblick konnte sie schlecht danach fragen, weil Lotti eine Missachtung ihrer Anweisungen nicht duldete und Henriette hatte keine Lust auf weiteren Streit. Die Auseinandersetzung, die ihr womöglich bevorstand, würde ohnehin hart genug werden, denn kampflos würde sie nicht in diese Ehe gehen!
Das ungleiche Ticken der Standuhren klang durch den Raum, die sich am jeweiligen Ende der Fensterfront gegenüberstanden. Die Großmutter hatte sie unsinnigerweise hereinstellen lassen. Jede Uhr zeigte eine falsche Zeit, egal wie oft man sie einstellte.
Gelangweilt schaute Henriette aus dem Fenster. In der Nähe der Kapelle flanierten einige Höflinge durch den Park, die bereits ihre Unterkunft bezogen hatten. Vor zwei Tagen waren sie angekommen. Mit ihnen Philippe, dessen Blick gerade über die Fassade schweifte. Henriette sank tiefer in den Sessel, obwohl er sie unmöglich sehen konnte. Trotzdem. Bisher war sie ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen und daran würde sie freiwillig nichts ändern. Sehr zum Ärger der Mutter, die zu allem Überfluss am Vortag sogar behauptet hatte, dass Philippe gar nicht schlecht aussehen würde. Pah!
Zugegeben, er war manierlich gekleidet, hatte weder einen Buckel noch war er grün im Gesicht. Der Schnurrbart wirkte frisch gestutzt. Das war es aber schon mit den positiven Seiten. Seine Haut war uneben, als hätten sich winzige Würmer von Pore zu Pore gewühlt. Das dunkelblonde, ins rötlich stechende Haar war ziemlich schütter und er hatte abstehende Ohren. Sicher, ein Oger wie aus einer ihrer Geschichten war er bestimmt nicht, aber weit entfernt von einem Traumprinzen. Von seinem Charakter ganz zu schweigen. Mit Schaudern dachte Henriette an die Begrüßung zurück. Er war blasiert aufgetreten und hatte Unnahbarkeit ausgestrahlt. Vielleicht, weil sie eine Frau war. Immerhin wurde ihm nachgesagt, dass er sich im Bett lieber mit Männern vergnügte. Natürlich würde ihn das nicht davon abhalten, sich eine Frau zu nehmen, um den Schein zu wahren.
Der Herzog von Penthiévre hatte das Schloss indessen nach einer halben Stunde wieder verlassen. Mit hängendem Kopf, weil die Mutter ihm vor Augen hielt, dass er ihrer Tochter nicht das Leben bieten könne, das ihr zustünde. Leider hatte Henriette vom Rest des Gespräches nur Bruchstücke verstanden, als sie an der Tür gelauscht hatte und fand es widersinnig, dass sie den Herzog für nichts und wieder nichts den weiten Weg zugemutet hatten. Vor allem, da die Argumente gegen eine Hochzeit eine Farce waren! Der Herzog war ein steinreicher Mann. Das wusste er, das wussten sie. Am liebsten wäre sie ihm nachgelaufen, denn mit ihm hätte sie sich anfreunden können. Ein stiller und bescheidener Mann. Zwar bezweifelte Henriette, dass sie ihn jemals würde lieben können, doch mit Philippe im Nacken wäre sie sogar vor dem Herzog auf die Knie gefallen, um ihm für den Antrag zu danken. Wie schnell sich das Blatt wenden konnte!
„Luzifer ist im Anmarsch“, verkündete Lotti und wollte aus dem Fenster zeigen, blieb aber mit ihrem Spitzenärmel an den Blumen hängen. Feiner Blütenstaub wirbelte hoch. Die Vase fiel um. Das Wasser verteilte sich in alle Richtungen und durchweichte die Briefe. Doch die Mutter regte sich nicht auf, sondern starrte auf den gelben Blütenstaub, der wie hauchzartes Pulver auf die glänzende Tischplatte oder in die Lache rieselte. „Macht euch bereit.“ Als hätte Lotti mit diesem Satz einen Schuss abgefeuert, sprangen plötzlich alle in die Höhe. Antoine stolperte über sein Spielzeug und drängte sich an Diana, die wie Lotti und die Mutter ans Fenster trat. Henriette blieb, wo sie war.
„Ich bin froh, wenn die Kutsche wieder in die andere Richtung fährt“, ließ Diana verlauten.
„Wem sagst du das“, stimmte die Großmutter zu. „Himmel, sogar die Pferde sehen hochnäsig aus. Seht nur, wie sie den Kopf nach oben halten.“ Mit spitzen Fingern betastete Lotti die Löckchen, die sie sich kunstvoll in die Stirn kämmen und zu einem Halbmond modellieren lassen hatte. Das