Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter

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Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis - Bettina Reiter

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lieber nicht wecken! „Ich bin nur neugierig, wie weit du für den Applaus gehen würdest.“

      „Selbst mir ist nicht ständig nach Applaus, schon gar nicht auf Kosten unserer Freundschaft. Außerdem genieße ich zurzeit mein beschauliches Leben in der Champagne, habe in Émilie eine wunderbare Geliebte und alles andere im Sinn, als zu flüchten oder aus Paris verbannt zu werden, wofür du mit Sicherheit sorgen würdest. Womit es also einige Gründe gibt, die gegen ein Gedicht über dich sprechen. Außerdem wüsste ich nichts, das dich bloßstellen würde.“

      „Ich auch nicht“, schwindelte Louis. „Aber was nicht ist, könnte ja noch werden.“ Zwar traute er Voltaire keinen Verrat zu, aber diese Bescheidenheit klang überhaupt nicht nach ihm.

      Sein Freund kratzte sich am Bauchnabel. „Ob ich die Kirche oder unseren König kritisiere, spöttische Gedichte und respektlose Aufführungen inszeniere, selbst ich habe meine Grenzen. Obwohl ich ein Glückskind bin und immer wieder davonkomme.“ Das war wieder der Voltaire, den Louis kannte. „Viele beneiden mich um meine guten Verbindungen zum Adel und zu den Preußen“, schnitt er weiter auf. „Friedrich ist ein angenehmer Mann und einer meiner größten Wohltäter. Mir geht es gut, und in den vierzig Jahren meines Lebens habe ich viel erreicht. Darauf bin ich stolz. Trotzdem fühle ich mich manchmal zu alt, um mich zu ändern und dann wiederum zu jung, um es nicht zu tun. Aber es gibt Prinzipien, denen ich treu bleibe. Wenn es auch nicht viele sind.“

      „Was immer du Louis damit sagen willst“, mischte sich Denis ein, der sich auf den umgedrehten Holzeimer vor dem Ofen setzte. Der Bader stand in voller Montur neben ihm. „Himmel, diese Hitze hält ja kein Mensch aus.“ Denis sprang sogleich wieder hoch. Die Rippenknochen zeichneten sich deutlich unter dem weißen Fleisch ab. Auf seiner Hühnerbrust zeigte sich kein einziges Haar, denn er rasierte sich regelmäßig. Auch andere Stellen, an denen sich Läuse einnisten konnten, fielen der Rasur zum Opfer. Anders verhielt es sich mit seinem Kopfhaar. Mit nur achtundzwanzig Jahren litt er an kreisrundem Haarausfall und beneidete Voltaire um dessen Lockenpracht, die sich weit über die Schultern hinunterkräuselte, obwohl er dessen ungeachtet mit Vorliebe Perücken trug.

      „Wärst du eine Mahlzeit, würde ich kaum satt“, brummte Voltaire. „Wenn ich mir Louis dagegen ansehe … bei ihm ist alles groß. So wie bei mir.“

      Louis schlug ihm mit der flachen Hand auf den Arm. Als er wieder zu Denis blickte, suchte dieser mit beleidigter Miene seine Kleidung zusammen.

      „Deine Vorliebe für Blau ist mittlerweile in ganz Paris legendär, wusstest du das?“, schmeichelte Louis ihm, weil er Denis gut genug kannte, um zu wissen, dass ihn Voltaires Aussage getroffen hatte. In vielerlei Hinsicht. „Damit machst du dich unverwechselbar.“ Denis trug bevorzugt Westen, Hosen, Unterkleider und Taftmäntel in dieser Farbe. Das meiste schenkte ihm Voltaire entweder aus seinem Privatbestand oder aus dem Fundus des Théâtre–Français.

      „Trotzdem stehe ich immer im Schatten von anderen. Vor allem was meine Arbeit betrifft.“ Denis – der durchaus über Humor verfügte – verstand in dieser Hinsicht keinen Spaß und dass der fleischgewordene Erfolg leibhaftig vor seiner Nase saß, tat sicher sein Übriges. Denn während Voltaire tonangebende Mäzene um sich scharte, hielt sich Denis mit der Schriftstellerei mehr schlecht als recht über Wasser. Deswegen nahm er jeden Auftrag an, den er kriegen konnte. „Ich hasse diese stupiden Arbeiten“, wetterte Denis los und knüllte die Hose zu einem Bündel zusammen. „Das Übersetzen von sinnfremden Texten langweilt mich zu Tode. Dabei hätte ich viele Ideen, um sie interessanter zu machen. Mon dieu, manchmal frage ich mich, ob ein Theologiestudium nicht doch der bessere Weg gewesen wäre.“

      „Deine Liebe zum Schreiben ist so stark wie meine“, äußerte sich Voltaire, der den Ernst der Lage scheinbar auch erkannt hatte. „Und um deine Liebe zu Nanette beneidet dich ohnehin jedermann. Du hast also durchaus etwas vorzuweisen, worauf du stolz sein kannst.“

      In dieser Hinsicht hätte Louis gern widersprochen, was er jedoch Denis’ zuliebe unterließ. Aber die Wäscheverkäuferin war alles andere als attraktiv und die Letzte, worum er seinen Freund beneidete. Zumal Nanette weniger Brust hatte als Denis. Nur die Liebe zwischen den beiden suchte tatsächlich seinesgleichen, denn sein Freund hatte viel auf sich genommen, um sie zu heiraten. Sogar gegen den Vater hatte er sich gestellt, der ihm die Ehe nicht nur verboten hatte, sondern ihn in einem Kloster gefangen halten ließ, um sie zu verhindern. Seitdem war auch Denis nicht mehr gut auf die Kirche zu sprechen, dem letztendlich die Flucht gelang. Kurz danach hatte er das einfache Mädchen geheiratet. Doch die Ehe litt unter der Kinderlosigkeit, da besonders Nanette den Tod ihrer Tochter kurz nach der Geburt nicht verwinden konnte. Zu allem Überfluss war sie bislang nicht mehr schwanger geworden, was Denis in seiner Männlichkeit kränkte.

      „Manchmal beneide ich euch tatsächlich“, stellte Louis fest.

      „Wieso das denn?“ Denis knöpfte sich die Hose zu, während der Bader hinauseilte, und setzte sich dann zu ihnen. „Du gehörst dem Oberhaus des Parlaments an und bist Ludwigs Cousin. Schon diese Tatsache lässt uns weit hinter dir. Von deinem Titel als Prinz ganz abgesehen. Wenn also jemand neidisch sein könnte, sind wir das.“

      „Aber Adel verpflichtet.“

      „Na und? Wir müssen uns das Ansehen hart erarbeiten, einer wie du genießt es von Geburt an und vom vielen Geld kann unsereins nur träumen.“

      Wenn er wüsste! „Geld ist vergänglich.“

      „Da müsste man schon dumm sein, um ein solches Vermögen in den Wind zu schießen.“ Denis machte eine theatralische Geste. „Ich sehe die Überschrift schon förmlich vor mir: Der Prinz de Conti am Bettelstab.“ Louis sandte ihm einen grimmigen Blick und wurde wütend. „Keine Angst, ich habe dich und Voltaire vorhin gehört und stehe zu hundert Prozent hinter seiner Aussage. Für kein Geld der Welt würde ich unsere Freundschaft verkaufen. Aber wir sind nicht die einzigen, die reißerische Texte schreiben.“

      Wie Louis das hasste! Was, wenn sie tatsächlich alles verlieren würden? Umso mehr hieß es die Zähne zusammenzubeißen und Geld heranzuschaffen. Egal wie. Denn er war ein Prinz von Geblüt. Der Gedanke zum verarmten Adel zu gehören, jagte ihm kalte Schauer über den Rücken. Dafür war er zu gerne reich und genoss sein Ansehen, womit es ebenfalls vorbei wäre. Verdammt! Lottis Lebenswandel war wie eine Kettenreaktion, die auch ihn ruinieren könnte. Aber mit Henriettes Hochzeit wäre zumindest ein kleiner Anfang gemacht.

      „Vielleicht übernimmst du tatsächlich irgendwann den Thron.“ Voltaire löste das moosgrüne Band, das seine Haarpracht zu einem Pferdeschwanz zusammengehalten hatte. „Du könntest es bis ganz nach oben schaffen. Ehrgeiz genug hast du ja.“ Er ließ das Band durch seine Finger gleiten. „Nicht umsonst nennt man dich mitunter ´Frondeurˋ. Du solltest deinen Einfluss nutzen und eine Opposition gründen, statt Ludwig dabei zu helfen, die Prinzen in Schach zu halten.“ Voltaire legte das Band neben sich und fuhr sich glättend über das Haar.

      „Das ist im Augenblick mein geringstes Problem“, rutschte es Louis heraus.

      „Also hast du doch Sorgen.“ Voltaire beugte sich nach vorne und stützte seine Unterarme auf die Oberschenkel auf. „Dein abweisendes Gesicht macht allerdings deutlich, dass du nicht darüber reden willst. Aus Erfahrung weiß ich jedoch, dass alles irgendwann ans Licht kommt. Doch bis dahin könnten wir für deine Zerstreuung sorgen. Mir schwebt ein Besuch im Procope vor. Anschließend hätte ich einen Vorstoß zu Madame Gourdan geplant.“ Voltaire grinste Denis an, der sich auch hin und wieder ein Amüsement im Hurenhaus gönnte.

      Louis’ Lust hielt sich in Grenzen, zumindest was den Besuch bei Madame Gourdan betraf. Die alte Frau betrieb ein Freudenhaus in der Rue de Deux Portes. Zu ihren Kunden gehörten hohe Adelige, Geistliche und reiche Privatmänner.

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