Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter
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Читать онлайн книгу Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis - Bettina Reiter страница 30
Die Männer zogen ihre Hüte, die Damen deuteten einen Knicks an. Henriette und Diana erwiderten die Grüße und übersahen die stehengebliebenen Frauen geflissentlich, als hätten sie sich abgesprochen. Unter ihnen befand sich auch die Marquise de Lion. Sie ging am Stock und wärmte mit Vorliebe alte Gerüchte auf. Begleitet wurde sie von Lottis Busenfreundinnen Madame de Rohan, die eine Vorliebe für Puder hatte, und deren Schwester Rosalie.
Als sie die Damen hinter sich ließen, hörte man entrüstete Ausrufe, dann ein Tuscheln. Henriette konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Frauen ihre Köpfe zusammensteckten und lästerten.
„Ich habe überhaupt keine Lust auf den Ball“, bekannte Diana, als sie im Wald waren. Kurz trennten sie sich voneinander, da ihnen ein kolossaler Felsen im Weg stand. Der Schnee war ungehindert auf die kleine Lichtung gefallen. Auf beiden Seiten des Monuments wuchs Moos, einige Pilze ragten heraus. Die meisten waren abgebrochen. Als Henriette und Diana den Stein hinter sich ließen, lächelten sie sich an und hakten sich erneut unter.
„Unsere Fußabdrücke haben sich verewigt“, stellte Henriette mit einem Blick über ihre Schulter fest.
Diana wandte kurz den Kopf. „Stimmt.“
„Ich rede Blödsinn, entschuldige. Aber ich muss mich irgendwie ablenken.“
„Was schwer sein dürfte, denn ich schaffe es auch nicht. Ich könnte Mutter nämlich den Hals umdrehen“, bekannte ihre Schwägerin wütend. „Auch deinetwegen. Es muss doch eine Möglichkeit geben, diese haarsträubenden Pläne zu verhindern.“
„Niemand kann uns zu irgendetwas zwingen.“
„Wenn es so einfach wäre! In der Familienhierarchie steht meine Mutter über uns allen. Außerdem glaubt sie immer noch, dass sie die wahre Königin Frankreichs ist.“ Vorsichtig stiegen sie über einige Wurzeln hinweg. „Du magst der Enkel Frankreichs sein, ich aber bin die Tochter Frankreichs“, zitierte Diana. „Das hat sie einmal zu meinem Vater gesagt. Wie überheblich sie ist! Aber sie hat enormen Einfluss, obwohl mir nicht in den Kopf will, dass vor allem deine Mutter die Pläne unterstützt. Das sieht ihr gar nicht ähnlich, denn dass sie dich liebt, sieht ein Blinder. Umso mehr müsste ihr daran liegen, nicht derart gegen deinen Willen zu handeln. Trotzdem bleibt sie standhaft bei ihrer Entscheidung und wir stehen auf verlorenem Posten. Deshalb …“, sie blieb stehen und zwang auch Henriette dadurch dazu, „solltest du zusehen, dass du schnell erwachsen wirst.“
„Wenn erwachsen sein bedeutet, dass man keine Träume mehr haben darf, dann bleibe ich lieber ein Kind“, konterte Henriette und ging weiter. Diana folgte ihr.
„Man kann nicht ewig ein Kind bleiben, denn das Leben ist keines deiner Märchen.“ Sie waren wieder auf gleicher Höhe.
„Was haben meine Bücher damit zu tun?“
„Sie entspringen der Fantasie“, fauchte Diana sie auf einmal an, „und nicht der Wirklichkeit.“
„Als ob ich das nicht wüsste.“ Auch Henriette wurde wütend. „Aber jeder behandelt mich so, wie es ihm gerade passt. Will ich eine Erklärung, bin ich zu jung dafür. Möchte ich nicht heiraten, heißt es, ich wäre alt genug.“
„Du hast ja recht“, lenkte ihre Schwägerin ein. „Entschuldige. Ich habe meinen Zorn an dir ausgelassen.“
Die Luft kühlte Henriettes erhitzte Wangen. „Schon gut, wir stehen im Augenblick alle etwas neben uns.“ Plötzlich blieb Diana stehen und taumelte leicht. „Was ist mit dir?“ Sofort war Henriette bei ihr und fasste nach ihren Armen, um sie zu stützen.
„Keine Ahnung.“ Diana schloss kurz die Augen. Als sie sie wieder öffnete, atmete sie tief durch und auf einmal erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. „Fühl mal.“ Sie fasste nach Henriettes Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Das Kind bewegte sich. „Es ist sehr kräftig“, stellte Henriette fest und lächelte ebenfalls.
„Ich werde sie Claire nennen.“ Dianas Lachen hatte etwas Ansteckendes. Das mit Hölle und Himmel schien tatsächlich zu stimmen. „Es wird nämlich ein Mädchen.“
„Du klingst so überzeugt, dass ich dir beinahe glauben möchte.“
„Ich bin überzeugt. Als Mutter hat man oft einen siebten Sinn.“
„Es ist wunderbar, dich so gelöst zu sehen“, stellte Henriette fest, bereute ihre Aussage jedoch in der nächsten Sekunde, weil Diana die Stirn runzelte.
„Seit Mutters Ankunft denke ich ernsthaft darüber nach, mit Louis und den Kindern woanders ein neues Leben zu beginnen“, gestand sie. „So wie Luc. Er hat das Richtige getan.“
Henriette schluckte hart und zog ihre Hand zurück. „Er ging, ohne sich zu verabschieden und das findest du in Ordnung?“
„Luc ist kein Mann, der sich verbiegen lässt. Weder von Lotti noch von deiner Mutter. Lieber ist er fortgegangen. Aber langsam könntest du ihm verzeihen.“
„Das habe ich längst getan.“
„Du hörst dich aber an wie eine verlassene Ehefrau.“
Henriette setzte sich in Bewegung. Sie konnte nicht mehr stillstehen. Mit zwei Schritten hatte Diana sie eingeholt. „Was für einen Blödsinn redest du da?“, verteidigte sie sich. „Darf eine Schwester nicht wütend sein? Außerdem hast du keine Ahnung, wie kalt Luc vor seinem Verschwinden gewesen ist. Das hat wehgetan. Genau wie die Tatsache, dass ich mir sein Verhalten bis heute nicht erklären kann.“
„Es musste nicht zwangsläufig etwas mit dir zu tun haben. Sieh mich an, ich habe dich vorhin auch angefahren, obwohl du das zuletzt verdient hast.“ Ihre Schwägerin schwieg kurz. „Du erzähltest von seinem Streit mit Lotti. Manchmal ist man auf einen Menschen böse und lässt es alle anderen spüren. Erst recht jene, die einem am nächsten sind. Nun, Luc kommt ja bald wieder. Und mit ihm die Wahrheit.“ Äste knackten unter ihren Schritten. „Bis dahin werde ich versuchen, einen Ausweg für uns alle zu finden. Zumal Louis niemals freiwillig seine Heimat verlassen würde. Dazu hängt er zu sehr an diesem Leben. Doch vielleicht gibt es eine andere Möglichkeit, denn ich werde das Gefühl nicht los, dass an der Sache mit Philippe irgendetwas faul ist.“ Diana legte den Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. „Sollte es tatsächlich so sein, werde ich es herausfinden, verlass dich darauf.“
„So kämpferisch kenne ich dich gar nicht.“
„Ich mich auch nicht“, erwiderte ihre Schwägerin ernst, „aber es Zeit, dass ich mich endlich zur Wehr setze. Ich habe mir schon viel zu viel von meiner Mutter gefallen lassen.“
Auf einmal zerriss ein Schuss die Stille. Diana und Henriette fuhren erschrocken auseinander und schauten um sich.
„Vermutlich sind einige Höflinge auf der Jagd“, fasste sich Henriette als Erste. In Dianas Zustand war jede Aufregung Gift. „Wir sollten lieber ins Schloss zurückgehen.“ Sie drehten um und eilten durch den Wald. Als ein weiterer Schuss fiel, beschleunigten sie ihre Schritte. „Kommt Jeanne eigentlich auch zum Ball?“, erkundigte sich Diana schnaufend. „Ich würde sie gern kennenlernen, nachdem du so viel von ihr erzählt