Die Geschwister Bourbon-Conti - Ein fatales Familiengeheimnis. Bettina Reiter
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„Welche Zofe?“, fragte Alexandrine wie zur Bestätigung und schaute an sich herunter. „Ach herrjeh, ich habe ja kaum etwas an“, entsetzte sie sich dann, grinste jedoch, als sie den Kopf hob. „So schlecht sehe ich gar nicht aus für mein Alter.“
„Stimmt.“ Henriette lachte. „Deswegen sollten wir dringend zusehen, dass wir wegkommen, bevor einige Damen ungehalten werden, weil ihren Männern die Augen aus dem Kopf fallen.“
Geschmeichelt schweifte Alexandrines Blick durch den Saal, bevor sie ihn mit Henriette verließ. Im Schlafzimmer angekommen, suchte die Tante ein Kleid in ihrem üppigen Bestand. Allerdings dauerte es, bis sie sich entschieden hatte. Doch schließlich reichte sie Henriette ein rotes Seidenkleid.
„Wenn mein Mann das noch erleben könnte“, brach es nach einer Weile aus Alexandrine heraus, als Henriette das Kleid im Rücken verschnürte. „Wie gern würde ich ihn heute Abend bei mir haben. Und sei es nur für einen Tanz.“
„Das wäre schön.“ Eine schlichte Lüge, denn keiner kannte diesen ominösen Ehemann. Alexandrine behauptete jedoch vehement, geheiratet zu haben. Doch seinen Namen hatte sie nie preisgegeben und anscheinend war er nur einen Tag nach der Hochzeit gestorben.
Was sich in Alexandrines Kopf abspielte, konnte man deshalb nur erahnen. Sie puderte ihr Haar statt der Perücke, zog Pantoffeln zu Galaroben an, nippte an Suppentellern und schöpfte mit dem Löffel Weingläser leer. Oder sie trug wie vorhin nur ein Unterkleid.
„Fertig.“ Henriette richtete sich auf und wollte die Bauschärmel ordnen, aber die Tante gab ihr einen Klaps auf die Finger.
„Schluss jetzt, schöner werde ich in diesem Leben nicht mehr. Allerdings täte mir ein Mittagsschlaf gut. Sag Lotti und Babette bitte, dass ich mich lieber hinlegen möchte, statt mit ihnen Karten zu spielen. Sie werden sich die Zeit bis zum Ball schon anderweitig vertreiben können.“ Alexandrine gähnte ungeniert. Zwischen den Zähnen zeigten sich Essensreste.
„Natürlich“, versprach Henriette lächelnd, zog einen Augenblick später die Tür hinter sich zu und entschloss sich spontan dazu, Élisabeth einen Besuch abzustatten. Seit ihrer Ankunft hatten sie kaum fünf Sätze miteinander gesprochen. Davon abgesehen liefen die Vorbereitungen ohnehin wie am Schnürchen. Sie konnte ja später noch einmal nach dem Rechten sehen.
Als sie an Élisabeths Tür klopfte, hörte sie ein kaum hörbares „Herein“. Henriette betrat das Zimmer. Dianas Schwester saß auf der Chaiselongue neben dem Fenster. Ihre schmucklosen Hände lagen untätig im Schoß. Trotz der Uhrzeit trug sie einen Morgenrock in glänzend blauer Seide, was wunderbar mit ihrem kupferfarbenen Haar kontrastierte.
„Wie geht es dir?“, erkundigte sich Henriette, machte die Tür zu und setzte sich neben Élisabeth, nachdem diese zur Seite gerückt war. Ihr Gesicht wirkte aufgequollen wie die Hände. Ob sie an Wassereinlagerungen litt?
„Es geht“, erwiderte Élisabeth lächelnd und strich mit der rechten Hand über die weiche Stofflehne. „Ich habe ja die letzten Jahre ziemlich zurückgezogen im Palais du Luxembourg gelebt. Deswegen graut mir ein wenig vor heute Abend. So viele Menschen sind ungewohnt für mich. Andererseits freue ich mich darauf, denn ich fühle mich seit langem wieder lebendig. In der Stille meines Palais habe ich nämlich fast vergessen, wie schön die Welt ist. Da ist das Singen der Vögel, das Rauschen des Windes, ich rieche den Schnee und sehe die ersten Frühlingsboten. Man stumpft ab, wenn man sich nur mit sich selbst beschäftigt.“
Henriette nahm Élisabeths Hand in ihre und drückte sie sanft. Obwohl sie sich kaum kannten, hatte sie trotzdem das Gefühl, als wäre es anders.
„Es ist lange her, dass mir jemand nahe war.“ In Élisabeths Augen schwammen plötzlich Tränen. „Glaubst du, manche kommen auf diese Welt, um bestraft zu werden?“, sprach sie weiter und schniefte. „Schon nach der Geburt wurde ich beiseitegeschoben. Dieses Desinteresse zog sich wie ein roter Faden durch mein gesamtes Leben. Deswegen war ich ein trotziges Kind, für das Gewalt an der Tagesordnung stand. Aber wenigstens wurde ich wahrgenommen, und sei es nur einige Schläge lang. Mit zwölf musste ich den spanischen Thronfolger heiraten. Du hast ja keine Ahnung, welche Hölle mein Leben in Madrid war. Vom Volk wurde ich verunglimpft und von der königlichen Familie gehasst. Mein Spiegelbild zeigte damals eine junge Frau, die sogar mir fremd war.“ Henriette war überrascht, dass Élisabeth so viel von sich preisgab. Andererseits brauchte sie vielleicht jemanden, mit dem sie darüber reden konnte und sie war eben zufällig da.
„Diana hat gesagt, dass du nur einige Monate Königin gewesen bist“, warf Henriette zaghaft ein. „Zu kurz, um sich zu beweisen.“
Élisabeth löste die Berührung und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. „Manchmal habe ich meinen Mann dafür verflucht, dass er an Pocken starb.“ Sie stieß ein heiseres Lachen aus. „Weil er aus diesem Leben erlöst wurde, während ich zu allem Übel auch noch kinderlos zurückblieb. Wenigstens durfte ich nach Frankreich heimkehren, aber die Zeit in Madrid werde ich nie vergessen.“
„Hast du dich deshalb regelrecht von der Außenwelt abgeschottet?“
„Je weniger ich mit Menschen konfrontiert bin, desto weniger kann man mich verletzen. Aber die Einsamkeit war manchmal genauso unerträglich wie das andere. Nun habe ich einen Schritt nach draußen gewagt und bin hier, Henriette. Es tut mir übrigens leid, wie sich meine Mutter aufführt.“
„Dafür kannst du nichts“, beteuerte Henriette. „Du bist anders. Genau wie Diana.“
Jetzt war ihr Lächeln verlegen und Élisabeth zeigte eine Reihe gelber Zähne. Plötzlich hörte Henriette jemanden würgen. Das Geräusch kam aus dem Nebenzimmer. Sie wollte aufspringen, aber Élisabeth hielt sie am Arm zurück. „Das ist Charlotte“, teilte sie ihr mit der Selbstverständlichkeit einer Eingeweihten mit.
„Es hört sich an, als würde sie sich übergeben“, folgerte Henriette. „Ist sie krank?“
„Wie man es nimmt. Meine Schwester hat das, was Maria einst hatte.“
„Messalina?“ Henriette schlug sich mit einer Hand auf den Mund. „Verzeih, ich wollte deine verstorbene Schwester nicht beleidigen.“
„Die Bezeichnung trifft durchaus zu“, beruhigte Élisabeth sie. „Ich habe Maria um ihre Schönheit beneidet, ihre Art jedoch verabscheut. Die vielen Abenteuer, Orgien … wie Mutter sprach sie dem Alkohol zu und hat sich damit systematisch selbst zerstört. Vielleicht lag es an den Fehlgeburten, an ihrem spielsüchtigen Mann oder …“ Eine Träne löste sich aus Élisabeths Augen. „Mit zwanzig begann Maria das Essen zu erbrechen, das sie vorher förmlich in sich hineingeschaufelt hat. Sogar bei Tisch kam es mitunter vor. Meine Güte, ich sehe sie jetzt noch vor mir: Das Erbrochene lag im Teller, haftete an ihrem Kinn und auf ihrem Kleid. Trotzdem stopfte sie sich gleich danach mit bloßen Händen wahllos Fleisch, Süßspeisen und Gemüse in den Mund. Kaum fähig, die enormen Mengen schlucken zu können. Alles in ihrem Dasein ging weit über jede Grenze hinaus. Sie konnte nicht anders, auch wenn sie es gewollt hätte, denn wir Schwestern sind fürs Leben gezeichnet. Auf die eine oder andere Art.“
Wieder hörte Henriette das Würgen von Charlotte.
Élisabeths Blick verlor sich. „Es war Juni. Die Luft war lau, durchzogen von den Gerüchen des Festessens, das Maria eigens für unseren