Wo du hingehst, will ich nicht hin!. Wilma Burk

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Wo du hingehst, will ich nicht hin! - Wilma Burk

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freute, besonders auf den kleinen Irrwisch Petra, die in ihrer Art manchmal an sein Nesthäkchen Regina erinnerte, als sie noch klein war.

      Die meinte dazu: „Ich weiß nicht, einfach die beiden Geschäfte aufzugeben, und vielleicht noch einmal von vorne zu beginnen, ob das richtig ist? So Unrecht hat Mutti nicht, wenn sie sagt, es sei egoistisch von Robert, das von Susi zu erwarten.“ Sonst war es Regina nicht so wichtig, ob ihre drei Nichten näher oder ferner waren.

      Ich freute mich darauf, Susanne mit ihrer Familie bald nur ein paar Kilometer von mir entfernt in Harzerode zu wissen. Wenn ich jetzt durch diese Kleinstadt fuhr, versäumte ich nicht, einen Blick auf den großen Komplex des neu erbauten Krankenhauses oben am Hang über der Stadt zu werfen. Welch ein Erfolg für Robert, dass man ihn hier haben wollte. Wenn es nur nicht für Susanne mit dem Verzicht auf ihre Geschäfte verbunden wäre. Das trübte meine Freude. Sie klang jetzt so bedrückt, wenn wir am Telefon miteinander sprachen. Das machte mir Sorgen. Ich erfuhr, dass sie tatsächlich erwogen hatte, ihn allein gehen zu lassen und mit den Kindern in Berlin zu bleiben. „Das wäre aber das Ende unserer Ehe gewesen, und das wollte ich nicht“, sagte sie.

      Ihre Geschäfte zu verkaufen, gelang mühelos. Der Interessent, der selbst drei ähnliche Geschäfte besaß, war sofort bereit, sie zu übernehmen, sogar zu einem sehr guten Preis. So kam der Tag heran, an dem Susanne zum letzten Mal am Abend ihre Ladentüren abschloss. Ich konnte mir denken, was sie dabei empfand. Und wenn auch noch ein gehöriger Zorn auf Robert dabei war, so würde es mich nicht wundern.

      Wochen vergingen. Noch hörte ich nicht, wo sie in Harzerode wohnen würden. Es hieß nur, das Krankenhaus wollte für sie ein Haus mieten. Das Datum ihres Umzugs kam näher.

      *

      Doch vorher, am 1. Juli 1990, fand zwischen der Bundesrepublik und der Noch-DDR die Währungsunion statt. Die D-Mark wurde dort eingeführt.

      Längst waren mir die vielen verplombten Lastwagen aufgefallen, die über die ehemalige Grenze hinüberfuhren. Sie brachten die dort heiß ersehnten neuen Geldscheine und Münzen in die Städte und Dörfer. Und dann war der Tag da. Die Menschen im Osten konnten ihr Ostgeld in D-Mark eintauschen. Noch war die Summe begrenzt, und auch nicht alles, was sie besaßen, konnten sie 1:1 eintauschen. Doch jetzt war es ihnen möglich, mit D-Mark im Portmonee in den Westen zu kommen und einzukaufen wie wir.

      Neugierig fuhr ich in den ersten größeren Ort hinter der Grenze hinüber. Ich nahm Julchen an die Leine und mischte mich unter all die Menschen, die an diesem Sonntag neugierig die Straße entlangschlenderten. Wie die andern blieb ich vor den Schaufenstern stehen, die plötzlich vollgefüllt waren mit Waren aller Art. In den letzten Wochen, war noch gähnende Leere darin gewesen, jetzt aber konnte man hier fast alles finden. Im Fenster eines Schuhgeschäftes drängten sich Schuhe und lederne Handtaschen. Neulich noch, als ich daran vorbeiging, sah ich hauptsächlich Schuhputzzeug darin ausgestellt. Jetzt holten die Geschäftsleute alles hervor, womit sie ihre Lagern längst aufgefüllt hatten, was sie aber vorher für Ostgeld nicht abgeben wollten. Sogar die ehemaligen staatlichen HO-Läden der DDR machten keine Ausnahme dabei. Hoffentlich wird es nun bei uns wieder etwas ruhiger in den Geschäften zugehen, dachte ich. Doch da hörte ich bereits das Gemurmel der Menschen um mich herum und die überraschten Ausrufe: „Das ist ja hier alles viel zu teuer!“ Und dann sah ich es auch: Die gepfefferten Preise! Wollten die jetzt mit Gewalt reich werden? Von hier aus konnten die Leute noch über die offene Grenze zu uns ausweichen und zum Einkaufen kommen, was aber machten diejenigen in den weiter entfernt liegenden Orten?

      Und so war es dann. Statt weniger, kamen schlagartig mehr Menschen zum Einkaufen in die westlichen Orte am Rande der ehemaligen Grenze, sogar von weit her. Sie gingen auch nicht mehr scheu zwischen den Regalen hindurch. Vereinzelt kam sogar dieser oder jener stolz mit einem Westwagen angefahren und packte den Kofferraum voll mit allem, was er erstehen konnte. Dabei fand darin viel mehr Platz, als vorher in einem Trabi.

      Es fiel schwer, das zu verstehen, waren die Geschäfte drüben bei ihnen jetzt doch voller Waren. Und trotzdem kamen sie zu uns mit ihren mit D-Mark frisch gefüllten Portmonees. Sie stürzten sich regelrecht in einen Kaufrausch. Weiterhin wurden Berge von Bananen und Apfelsinen gekauft, nun aber auch Kleidung preiswerte transportable Radios, Stereoanlagen und Fernseher. Das ging weg bis zum letzten Stück. Bald hieß es in den Geschäften: „Ausverkauft, die nächste Lieferung kommt dann und dann.“ Und die Geschäftsleute konnten sicher sein, auch diese Lieferung würden sie wieder völlig loswerden. So mancher Ladenhüter mag da noch seinen Käufer gefunden haben. Die Kassen der Geschäfte klingelten.

      Ganze Paletten mit Joghurt, mit H-Milch, vielleicht zehn Pakete Fischstäbchen auf einmal aus der Gefriertruhe wurden aus den Supermärkten mitgenommen. Sie schienen gleich für einen ganzen Ort einzukaufen. Oft reichte ihnen für ihren Einkauf nicht ein Einkaufswagen. Dafür stand ich nun manchmal ratlos vor teilweise leeren Regalen und die Paletten mit neuer Ware versperrten die Wege durch die Gänge. Die Angestellten des Supermarktes kamen mit dem Auspacken der Waren nicht mehr nach.

      Dabei rollten unentwegt riesige Lastwagen die schmalen Straßen zur Grenze hin nach dem Osten. Was wurde da nur an Waren hinübergeschafft. Doch für die Menschen, die einen Ort im Westen erreichen konnten, war es immer noch reizvoller bei uns einzukaufen als in ihren Läden. Wie oft hörte ich, drüben sei alles viel zu teuer.

      So musste ich mich an den Kampf um einen Parkplatz beim Supermarkt gewöhnen und an das Gedränge im Laden. Wie oft bekam ich jetzt nicht alles, was ich haben wollte und musste kurzfristig umplanen, was wir doch längst nicht mehr gewöhnt waren. Ja, ich erwischte mich sogar dabei, als ich endlich wieder einmal Fischstäbchen in der Gefriertruhe vorfand, nahm auch ich nicht nur eine Packung mit, sondern gleich drei. Denn wer konnte schon wissen, wann es wieder welche gab.

      Irgendwann jedoch musste sich das wieder normalisieren, irgendwann musste auch der Trubel im Ort wieder abnehmen. Längst sprachen nicht mehr Fremde mit Fremden als wären sie langjährige Freunde. Es war vorbei, dass es, wie in den ersten Tagen nach der Grenzöffnung, einen aus dem Osten drängte, jemandem seine Freude darüber mitzuteilen und der aus dem Westen ihm ebenso freudig zustimmte. Im Gegenteil, jetzt konnte man bereits dies und jenes ungeduldige Wort von einem Einheimischen über diese Invasion aus dem Osten hören, wenn die Straßen wieder verstopft, die Läden überfüllt und die Regale teilweise leer waren.

      *

      In West-Berlin war es auch nicht anders. „Im Berufsverkehr ist kaum noch ein Durchkommen auf den Straßen. Aus dem Grunewald brauche ich jetzt am Morgen ewig lange bis ich zum Betrieb in die Stadt komme“, berichtete Helmut.

      Auch Susanne machte das zu schaffen, besonders jetzt, weil sie alles zum Umzug fertig machen musste. „Zu meinen Geschäften brauche ich mich ja nicht mehr durch den Verkehr zu kämpfen“, sagte sie bitter. Die waren nun endgültig verkauft.

      Mit den Mädchen hatte sie auch ihren Kummer. Christine, die Große, meuterte, sie wollte nicht in so ein Kaff ziehen und von ihrem ersten Freund getrennt werden. Daniela tat sich wie immer schwer mit Veränderungen und war von Angst vor allem Neuen beherrscht. So war es bereits gewesen, als sie in den Kindergarten und später zu einer fremden Frau in eine zeitweise Pflegestelle musste. An Susanne festgekrallt hatte sie sich geweigert, dort zu bleiben. Nur bei Margot hatte sie nie Schwierigkeiten gemacht, die schien sie mitunter sogar mehr zu akzeptieren als ihre eigene Mutter. Jetzt aber sollte sie noch ihre einzige Freundin zurücklassen. Dabei war sie sich sicher, so eine Freundin nie wieder finden zu können. Also ging sie Susanne klagend und jammernd auf die Nerven. Nur die kleine Petra war zufrieden. Sie, die gebockt und getobt hatte, als sie mit ihren drei Jahren nur begriff, dass ihr geliebter Vati allein nach Harzerode ziehen könnte, sie war wohl die Einzige, die sich auf diesen Umzug freute, weil sie damit auch in die Nähe von Julchen kam, in die sie vernarrt war.

      Am liebsten hätte ich Susanne in den Arm genommen,

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