Wo du hingehst, will ich nicht hin!. Wilma Burk

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Wo du hingehst, will ich nicht hin! - Wilma Burk

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jeden Sonntag bei schönem Wetter rollte der Ausflugsverkehr in den Harz hinein, ich aber fuhr hinaus Hannover entgegen. Julchen lag hinten auf der Bank zusammengerollt und richtete sich nur auf, um neugierig hinauszublicken, wenn ich einmal anhielt. Näherten wir uns jedoch der Straße, in der sich das ,,Autohaus Roth“ befand, so wurde sie unruhig, lief auf der Rückbank von einem Fenster zum andern und wedelte aufgeregt mit dem Schwanz, als könne sie riechen, wo wir uns befanden. Zum Autohaus musste ich zum Glück nicht in die Stadt hineinfahren, es lag am Rand von Hannover. Früher war das an einer Landstraße gewesen, die nach der alten Kfz-Werkstatt weiter durch weite Wiesen hinaus ins Land führte. Heute gab es links und rechts der Straße um den großen Komplex des Autohauses herum, Ein- oder Zweifamilienhäuser. Und es wurden weiterhin neue gebaut, die Stadt wuchs in die Landschaft hinaus.

      Nachdem ich dem letzen Bogen der Landstraße gefolgt war, sah ich es vor mir. Die Sonne spiegelte sich in der hohen Glasfront der Ausstellungshalle für die Neuwagen wider. Hinter dem großen Parkhof daran stand das Wohnhaus. Groß und prächtig hatte es einstmals gewirkt, als es dahinter nur eine kleine Reparaturwerkstatt gegeben hatte. Doch jetzt verschwand es beinahe neben der vergrößerten Werkstatt und dem Verbindungsbau zur Ausstellungshalle. Auch der ehemals große Garten, der zum Haus gehörte, war zusammengeschrumpft für einen Anbau an das Haus, damit damals jedes Kind sein eigenes Zimmer haben konnte.

      In dem Verbindungsbau zwischen Werkstatt und Ausstellungshalle waren die Büroräume. Hier saß Traudel und hielt alle Fäden des Betriebes in der Hand. Jedes Mal, wenn ich hierher kam, empfand ich Hochachtung vor der Leistung, mit der hauptsächlich sie aus einer kleinen Kfz-Werkstatt dieses „Autohaus Roth“ gemacht hatte.

      Auch heute am Sonntag war es hier nicht ausgestorben, da kamen die Menschen aus der Stadt, schlichen um die ausgestellten Gebrauchtwagen auf dem Hof herum, schauten und hingen ihrem Wunschtraum nach oder hofften, einen davon zu einem Preis zu finden, den sie bezahlen konnten. Andere wieder drückten sich die Nasen an den hohen Glasscheiben der Ausstellungshalle platt, um besser hineinsehen zu können.

      Ich fuhr auf den Hof, stellte mein Auto vor dem Hauseingang ab und sah zu der von Büschen verdeckten Terrasse hinter dem Haus. Ein Jauchzer war nicht zu überhören. Ich wusste, gleich würde die Haustür aufgehen und Regina käme angesaust. Ich beeilte mich, Julchen die Autotür zu öffnen. Sie fiel vor Aufregung fast heraus, jagte einmal um das Auto herum und stürzte sich dann auf Regina, als sie die Haustür aufriss. Sie hatte kaum Zeit mich zu begrüßen, ich wusste, nun gingen beide erst einmal in den Garten und tobten dort, bis sie atemlos waren.

      Traudel kam mir entgegen. „Der Kaffeetisch wartet schon auf dich“, rief sie mir zu und umarmte mich. Gut sah sie aus, wie immer, selbst in den bequemen langen Hosen mit dem lockeren Pulli darüber behielt sie ihre Haltung einer Chefin. Die hochgesteckten roten Haare glänzten wie Gold in der Sonne. Doch längst waren es jetzt gefärbte rote Haare, womit sie die weißer werdenden Strähnen vertuschte. Eine Strähne davon hatte sie lockig in ihre Stirn gekämmt. „Ein Zugeständnis an die Jahre“, meinte sie, „damit zu den strengen Haaren nicht auch noch die strengen Falten im Gesicht auffallen.“ Wo sah sie nur Falten?

      Karl-Heinz trat aus der Werkstatt zu uns.

      „Was machst du da drin am Sonntag?“, wunderte ich mich.

      „Wenn er nicht wenigstens einmal am Tag durch die Werkstatt geht, fehlt ihm etwas“, lachte Traudel.

      „Na, so schlimm ist es auch wieder nicht!“, wehrte Karl-Heinz ab und umarmte mich. Von ihm ging stets eine Ruhe aus, die gut tat. Man vermochte es sich eigentlich nicht vorzustellen, dass er auch mal unnachgiebig sein konnte, worüber sich Traudel mitunter beklagte. Seine dünnen leicht gelockten Haare lichteten sich und blond, nein blond waren sie wohl nicht mehr, eher grau. Er hatte ja auch wie ich die Sechzig überschritten. Wir waren in einem Alter.

      Bald saßen wir auf der Terrasse zusammen, der Kaffee dampfte in den Tassen und wir sahen Regina und Julchen zu, die sich um einen Ast zu streiten schienen. Dann waren wir bei dem Problem, das uns alle beschäftigte: Susanne.

      Traudel bekam einen harten Zug um den Mund. „Die finden kein Ende mit dem Streit, weder Susanne noch Robert wollen sich entscheiden. Wie lange soll das noch gehen?“, empörte sie sich.

      „Eine zu schnelle Entscheidung bei einem so schwerwiegenden Problem wäre bestimmt falsch“, meinte Karl-Heinz.

      „Natürlich, du hast wieder Verständnis dafür. Kannst du mir mal sagen, wie lange Susanne das noch aushalten soll, wenn sie von Robert so unter Druck gesetzt wird?“

      „Ich vermute, Susanne wird Robert ebenso unter Druck setzen. Vergiss nicht, Traudel, dass sie sehr eigenwillig sein kann“, warf ich ein.

      „Wie könnt ihr erwarten, dass sie eine schnelle Lösung finden? Die würde nur auf Kosten von einem der beiden gehen“, erklärte Karl-Heinz.

      „Wie kann es auch anders sein? Einer von ihnen wird am Ende auf das, was ihm wichtig ist, verzichten müssen“, antwortete ich.

      „Darauf aber müssen sie von allein kommen. Wenn sie nur aufhören könnten zu streiten. Erst im ruhigen Gespräch miteinander, werden sie fähig sein, einen Ausweg zu finden.“ Darum sorgte sich Karl-Heinz.

      „Wie sollen sie in Ruhe miteinander reden können, wenn keiner bereit ist nachzugeben. Und warum soll Susanne überhaupt nachgeben? Nein, in meinen Augen ist es sehr egoistisch, was Robert von ihr verlangt. Wenn er vernünftig überlegen würde, gäbe es dieses Problem überhaupt nicht“, beharrte Traudel.

      „Ich weiß nicht …“ Nachdenklich sah ich von einem zum andern. Wer hatte Recht? Wie erwartet, stand Traudel auf der Seite von Susanne, während Karl Heinz es am liebsten jedem recht machen würde. Seltsam, wie jeder, der darüber nachdachte, sofort einen Standpunkt dazu einnahm. Helmut hatte für Robert Verständnis gezeigt und sogar Margot würde es wohl richtiger finden, wenn Susanne um der Familie willen nachgibt. Nur raten würde sie ihr das nie.

      Regina und Julchen beendeten unser Gespräch. Sie kamen außer Atem auf die Terrasse gelaufen. Julchen brach zu meinen Füßen zusammen und Regina ließ sich in einen Sessel fallen. Ihre Augen, so grünlich schimmernd wie bei der Mutter, leuchteten. Hastig strich sie sich durch die kurzen roten Haare und den Sand von ihren ausgebeulten Jeans. Das Rumtoben hatte ihr gefallen. Sie war wirklich ein halber Junge. Als Kind war ihr kein Baum zu hoch gewesen, und am liebsten hatte sie sich in der Werkstatt bei ihrem Vater herumgetrieben, zum Leidwesen ihrer Großmutter. Doch ich hatte längst erkannt, dass da manchmal bei ihr ein liebenswerter, weicher weiblicher Zug durchkam. Es war auch nicht so, dass die jungen Männer in ihr nur einen Kumpel sahen.

      Regina hatte gerade Zeit, sich ein wenig in den Sessel zu strecken, da fuhr donnernd ein Motorrad auf den Hof und es hupte vor der Tür. „Das ist Toni“, rief sie aufgeregt und sprang auf. Röte schoss ihr ins Gesicht und ihre Augen blitzten. Sie griff sich hastig ein Stück Kuchen, drückte mir noch einen Abschiedskuss auf die Wange und jagte davon. Ich stand auf und sah ihr von der Terrasse aus nach, wie sie sich den Sturzhelm aufsetzte und sich hinter den behelmten Menschen in schwarzem Leder klemmte, bei dem man nur erraten konnte, dass es sich um einen jungen Mann handelte. Schon brausten sie vom Hof davon.

      Traudel stand neben mir und seufzte: „Dass die Jüngste nun auch schon so weit ist. Wo sind nur die Jahre geblieben?“

      „Du hast es nötig!“, scherzte ich. „Komm mal erst in mein Alter.“

      Auch Karl-Heinz erhob sich. „Ich kann euch jetzt sicher allein lassen?“, murmelte er.

      „Nun geh nur in deine Werkstatt. Um meinetwillen musst du nicht hierbleiben“, antwortete ich.

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