Wo du hingehst, will ich nicht hin!. Wilma Burk

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Wo du hingehst, will ich nicht hin! - Wilma Burk

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und kann ruhig ihre Nase rümpfen, wenn sie ihre Stelle sucht. Aber was ist das? Frauchen, lass uns umkehren! Da muss eben erst dieser braune Riese gewesen sein, der mich neulich so böse gejagt hat.“

      Julchen stand wie festgenagelt.

      „Was ist?“, fragte ich und zog an der Leine. Da sah ich ihn, den braunen Feind von Julchen. Doch er war längst vorbei. „Schau, der lauft da hinten bereits davon“, lockte ich sie.

      Zögernd folgte sie mir. Brav setzte sie sich auf dem Friedhof neben die Bank, auf der ich sonst gern verweilte. Heute aber goss ich nur die bunten Stiefmütterchen, die das Grab so lustig, gar nicht traurig erscheinen ließen. Einen Moment blieb ich noch stehen und sprach mit Konrad in Gedanken. Doch wieder war es Susanne, die mich dabei beschäftigte. Fast aufbockend sagte ich in Gedanken: „Ich weiß, auch du wärst der Meinung, sie sollte mit Robert mitgehen und alles aufgeben. Doch warum eigentlich? Weshalb sollte das nicht auch einmal für den Mann gelten?“ Ich wusste, wie überlegen er jetzt lächeln würde, und genauso wie früher begehrte ich auf, als müsste ich ihn überzeugen. „Immer anspruchsvoller werden die Berufe, die Frauen heute ergreifen. Ist es da ein Wunder, dass sie diese dann nicht so leicht wieder aufgeben wollen? In Zukunft werden Paare immer öfter vor dieser Frage stehen, besonders da sich die Arbeitswelt zu verändern scheint. Wird nicht zunehmend von den Menschen die Bereitschaft erwartet, sich zu verändern, mit ihrem Lebenskreis ihrem Wirkungskreis zu folgen? Das kannst du nicht leugnen! Da kann es nicht mehr nur nach dem Mann gehen.“ Ich holte tief Luft, als erwartete ich eine Antwort. Und dann kam mir noch der verrückte Gedanke: „Wenn das so weitergeht, wird es in den Städten bald Stellplätze statt Wohnungen zu mieten geben, worauf die ihrer Arbeit nachziehenden Menschen ihre vielleicht immer komfortableren Wohnwagen abstellen können. Und Mutter hat einen Wohnwagen und Vater hat einen Wohnwagen, manchmal stellen sie diese nebeneinander. Und die Kinder? Wandern die Kinder mit, von einer Schule in die andere, von den einen Freunden zu den andern und mal mit der Mutter und mal mit dem Vater? So, das musste mal gesagt werden!“ Da glaubte ich Konrad hell lachen zu hören. Ich sah mich um, aber es war niemand da. Nur Julchen hatte aufmerksam die Ohren aufgestellt und blickte mich aus großen Augen fragend an. Ich hatte wohl wieder mit mir selbst gesprochen. Wie peinlich! Aber da war ja niemand.

      „Komm, Julchen!“ Ich nahm meine Gießkanne und verließ mit ihr den Friedhof.

      Ich ging über einen Wiesenweg am Rande des Ortes zurück nach Hause. Es war Frühling. Butterblumen säumten den Wegesrand und ließen diese oder jene Wiese wie eine gelbe Matte erscheinen. Die ersten gelben Rapsfelder begannen zu blühen, und ein linder Wind brachte gelben Staub und würzigen Duft von ihnen mit. Von der leichten Höhe aus, über die uns der Weg führte, sah ich unten im Ort Obstbäume blühen. Auch die roten und grauen Dächer von Neuwied konnte ich überblicken, und mittendrin ragte die hohe Turmspitze der alten Kirche heraus. Dieses oder jenes wunderschöne alte Fachwerkhaus säumte noch den Platz davor. Aus Blumenkästen an deren Fenstern quollen üppig die ersten Frühlingsblumen heraus. Sie schmückten die Fassaden, deren heller Putz gegen die dunkelbraun gestrichenen Balken des Fachwerks wirkungsvoll abstach. Einige Ornamente daran waren bunt bemalt. Das Zentrum von Neuwied war ein hübscher alter Ort. Dahinter gab es alte Harzer Häuser, wie sie vom Bergbau errichtet wurden. Die aber waren grau und mit Schieferplatten eingepackt, um Wind und Wetter zu trotzen. Doch auch hier hatte man nicht versäumt, mit Ornamenten aus hellen und dunklen Schieferschindeln den faden Anblick aufzulockern. Am Rand von Neuwied dann zog sich ein Kreis moderner Häuser um den Ort und an einer Seite den Berg hinauf. Der Ort war mit den Jahren gewachsen, und noch immer wurde gebaut. Da, wo die Berge sich öffneten, wurde eine Wiese nach der anderen zu Bauland. Doch jetzt, nach dem Mauerfall, kamen nicht mehr die Berliner hierher und kauften Häuser und Wohnungen, wie wir damals. Jetzt brauchten sie das nicht mehr, seit sie wieder ungehindert ins Umland der Stadt fahren konnten. So leicht wie früher fanden die Baufirmen für ihre hier errichteten Häuser und Eigentumswohnungen keine Käufer mehr.

      Julchen hob den Kopf und schnüffelte in die Luft. Ich spürte es auch, ich sah es auch. So früh am Morgen begann sich bereits eine blaue Dunstwolke über dem Ort zu bilden. Auf der nicht weit entfernten Zufahrtsstraße blubberte ein Trabi hinter dem andern aus dem Osten in den Ort, den stinkenden blauen Dunst aus ihrem Auspuff in die Luft blasend. Seit die Grenze offen war, riss der Strom derer nicht ab, die aus der DDR zu uns kamen. Sie bewegten sich durch Straßen und Geschäfte wie Kinder in einem Schlaraffenland, die staunend umherblickten. Ich wusste ja, wie es drüben jenseits der Grenze aussah, nur ein paar Kilometer von hier entfernt. Ach was, wie es gleich hinter dem letzten Zaun der ehemaligen Grenzsperranlage mit dem kahlen breiten Todesstreifen aussah. Als ich dort zum ersten Mal hinfuhr, kam ich mir schlagartig vor, wie in einer anderen Welt. Grau, trist, farblos und öde wirkte alles. Abwechslungsreiche Felder gab es nicht. In riesigen Flächen dehnten sie sich aus über die Höhen und Täler. Hässliche Baracken der Landes-Produktionsgenossenschaften, welche die Stallungen für die Massentierhaltung waren, lagen außerhalb der Orte. Daneben große Anlagen für den anfallenden Mist. Und die Bauernhöfe in den Orten zerfielen. In schönen Städten wie Aschersleben oder Quedlinburg ließ man die herrlichen kleinen Fachwerkviertel einfach verfallen. Ein großer Platz um die Kirche von Aschersleben war total abgerissen worden. Trostlose öde Leere, mitten in einer Stadt. Da wo Bergwerke in Betrieb waren, erhoben sich hohe Abraumhalden, die mit ihrem Staub die Gegend bedeckten.

      Aus dieser Welt drängten die Menschen über die Grenzübergänge, von denen mehr und mehr geöffnet wurden, zu uns. Sie kamen in unsere Welt der hellen freundlichen Häuser, der frei umherblickenden Menschen, der Geschäfte voller Waren, der leuchtenden Reklame, die darum warb, ihre Artikel zu kaufen. Nichts musste hier durch Beziehung oder unter dem Ladentisch beschafft werden, wie bisher bei ihnen. Niemand musste hier auf ein Auto dreizehn Jahre lang warten, wie sie auf einen kleinen Trabant, den Trabi, wie er liebevoll genannt wurde. Noch hatten sie Ostmark, noch konnten sie nur ausgeben, was ihnen Freunde oder Verwandte aus dem Westen zukommen ließen. Manch einer tauschte auch Ostmark zu einem hohen Kurs bei den Geldinstituten ein, nur um etwas von dem verlockenden Angebot mit nach Hause nehmen zu können. Die Supermärkte waren voll von ihnen. Hatte man es eilig, wollte mit seinem Einkaufswagen durch die Gänge der Regale laufen, so kam man nicht voran. Wie oft standen sie mit Augen wie Kinder staunend davor, konnten nicht fassen, was es bei uns alles gab, und vergaßen dabei die Welt um sich. Man sagte, drüben solle die Versorgung noch katastrophal sein. So wurden sogar einfache Dinge für den täglichen Bedarf gekauft. Ohne Bananen und Apfelsinen ging aber wohl niemand von ihnen zurück. Was mussten sie diese entbehrt haben. Berge davon wurden vor den Läden aufgebaut. Ständig rollten die Laster heran und brachten Nachschub von allem, was die Menschen aus dem Osten begehrten. Die hundert D-Mark Begrüßungsgeld, die ihnen bei uns nach dem Fall der Grenze gezahlt wurden, waren längst ausgegeben. Ich sah auch die, die sich kaum Westgeld beschaffen konnten, die nur sehnsüchtig dastanden und auf etwas blickten, was sie sich nicht kaufen konnten. Kinder bekamen hier manchmal große Augen, und so manche Mark habe ich ausgegeben, um ihnen die Süßigkeit zu verschaffen, die sie so stumm und sehnsüchtig anschauten. Manchmal schämten sich die Eltern und wollten es nicht annehmen. Wenn sie aber die aufkeimende Hoffnung ihres Kindes wieder verlöschen sahen, gaben sie nach. Was für eine Zeit!

      Ich sah auf die dichter werdende blaue Wolke um den Kirchturm und seufzte. Ich musste noch einkaufen fahren, ehe Margot und Helmut kamen, und wusste, es würde wieder ein Kampf um einen Parkplatz beim Supermarkt werden, von dem fürchterlichen Gedränge im Laden abgesehen. Dort wurde fast nur noch Thüringisch oder Sächsisch um einen herum gesprochen. Man brauchte es nicht zu hören, man sah auch, wer aus dem Osten kam. Sie gingen noch scheu und zurückhaltend umher, als trauten sie dem ganzen Geschehen nicht.

      Wie ich es vermutet hatte, so kam es dann. Gerade erwischte ich noch einen Parkplatz, gerade brachte jemand einen Einkaufswagen zurück, den ich ergattern konnte, während all die vielen anderen unterwegs im Laden waren. Mühsam bahnte ich mir meinen Weg durch die Gänge zwischen den Regalen. Es war Freitag. Vor dem Wochenende war es besonders schlimm. Doch es half nichts, bald würden Margot und Helmut vor der Tür stehen.

      War ich froh, danach endlich wieder

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