Welt mit kleinen Fehlern günstig abzugeben. Peter G. Kügler
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Auf jeden Fall viel Alkohol.
Auf jeden Fall zuviel Alkohol.
Der Schleier vor seiner Erinnerung zog sich allmählich zurück und gab langsam den Blick auf den vergangenen Abend frei. Er war auf einer Party. Einer großen Party. Anfangs hatte es ihm nicht sonderlich gefallen. Die vielen fremden Leute und der oft äußerst schmale Smalltalk mochte er nicht besonders, aber irgendjemand hatte ihn überredet und er wollte nicht unhöflich sein. Das war ihm zuwider. Also ging er hin, lies sich blicken und wollte gleich darauf wieder gehen. Und da muss er dann diese Frau gesehen haben, deren pechschwarze Haare erst kurz über der Hüfte endeten und ein bildhübsches Gesicht umrahmten. Obwohl sie von einem komischen Typen mit einer Brille, deren Gläser von einem altmodischen schwarzen Horngestell umrahmt wurden, und dessen Kleidung irgendwie unpassend wirkte, bequatscht wurde, kam sie ihm in der Menge ebenso verloren vor, wie er sich selbst fühlte. Gemeinsam wären sie weniger einsam dachte er pseudophilosophisch und deshalb musste er sie unbedingt ansprechen. Allerdings gab es auf dem Weg zu diesem Ziel ein unüberwindliches Hindernis: ihn selbst. Etwas in ihm hinderte ihn daran, auf sie zuzugehen. Etwas in ihm hinderte ihn daran, sie anzusprechen. Etwas in ihm hinderte ihn daran, sich möglicherweise lächerlich zu machen. Etwas in ihm hinderte ihn daran…
„Ja! Ja! Schon gut! Ich hab´s kapiert! Ich hab´s kapiert! Ich bin schuld!“, nörgelte der Schüchterne in seinem Kopf.
„Nur gut, dass er wusste, wie man dich ausschaltet“, grinste der Draufgänger.
„Bäääähhhh!“, stieß der Schüchterne hervor, während er mit imaginären Fingern den Mund zur Fratze verzog und die Zunge weit vorstieß.
„Huch, hab ich jetzt Angst!“
„Pfft…“
„Auf jeden Fall verträgst du keinen Alkohol, Weichei!“
„Noch ein Wort….“
„Ach komm, reg dich ab. Ein Schlückchen zur Beruhigung gefällig, Weichei?“
„Weichei! Weichei!“, tönte das Kind im Manne, das mittlerweile wieder nach vorne gekommen war.
„Ruhe, Kleiner! So etwas sagt man nicht!“
„Aber der da hat es auch gesagt!“
„Das ist was anderes!“
„Wieso?“
„Geh spielen!“
„Och Menno….“
„Und du, mein lieber Draufgänger…“
Max lies sie streiten und hing wieder seinen eigenen Gedanken an den gestrigen Abend nach. Ja, er hatte wohl den Schüchternen mit Alkohol ausgeschaltet, weil er ganz genau wusste, dass er den nicht verträgt. Vielleicht hatte er dabei sogar ein wenig übertrieben. Und irgendwann hatte dann der Draufgänger immer mehr das Ruder übernommen. Recht erfolgreich, wie es schien. Schöner wäre es natürlich noch gewesen, wenn er sich auch noch daran erinnern könnte…
„MAX, ich bin entsetzt! Wie konntest du nur! Die Situation so schamlos auszunutzen! Das arme unschuldige Mädchen!“
‚Nicht jetzt, Mutter. Nicht jetzt’, dachte Max.
Nachdem sich die beginnende wohltuende Erinnerung mit einem Schlag auf das Gründlichste verflüchtigt hatte, drängte ihn seine Blase zu schnellem Handeln. Er verließ das Schlafzimmer und fand sich gleich darauf im Bad wieder, das glücklicherweise direkt nebenan war. Er setzte sich vorsichtshalber.
Mutter war überall.
Während sein Geschäft vor sich hin plätscherte wanderte sein Blick über Schminkkoffer, Wattepads und Tamponschachteln. Flaschen mit Spülungen für vor, während und nach dem Haare waschen bildeten mit einem Duschgel namens „Strawberry smooth“ – war das nicht etwas zum essen? - eine Schicksalsgemeinschaft. Direkt neben seinem Sitzplatz fand eine Modezeitschrift ihre vorläufig letzte Ruhe. Ja, er war in der Wohnung einer Frau. Eindeutig. Er hoffte inständig, dass sie keinen Hund hatte. Jedenfalls keinen größeren, denn falls dieser ihn finden und als Eindringling einstufen würde, hätte er momentan definitiv schlechte Karten. In der meditativen Ruhe dieses Örtchens begann Max über seine Lage nachzudenken. Dieses Vorhaben wurde jäh durch seinen Magen unterbrochen, der sich nachdrücklich über einen Mangel an Arbeit und Aufmerksamkeit beklagte und seine Gedanken mit einem Hungergefühl der Dringlichkeitsstufe Eins belegte. Um seinem Wunsch Nachdruck zu verleihen, schob er noch ein deutlich vernehmbares Grummeln nach. Max wollte gerade die Küche suchen als er wieder umkehrte und seine Hände wusch.
„So ist´s recht! Braver Junge.“
„Schon gut, Mutter.“
In der Küche war bereits ein Frühstück vorbereitet, das nur darauf wartete, vernascht zu werden. Seine Augen wanderten über die Marmelade zu Käse und Wurst bis hin zu den noch warmen Brötchen. Der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee durchzog den Raum. Glückshormone durchfluteten seinen Körper.
„Ich kann mich zwar nicht genau an dich erinnern, unbekannte Schöne. Jedenfalls noch nicht. Aber eins weiß ich jetzt schon ganz sicher: ICH LIEBE DICH! WILLST DU MICH HEIRATEN?“, rief er in den leeren Raum.
„Vielleicht sind wir gestorben und jetzt im Paradies?“, mutmaßte jemand in seinem Kopf.
„Nein, dann könnten wir uns noch an die letzte Nacht erinnern. Und zwar an alles…“
„Ich muss doch sehr bitten!“
‚Ach Mutter…’
Nachdem das Frühstücksei in seinem Magen Gesellschaft von drei Brötchen bekommen hatte, wollte er sich eine zweite Tasse Kaffee gönnen. Dabei fiel ihm auf, dass die Milchkanne leer war. Bestimmt war im Kühlschrank noch welche zu finden. Er hatte sich nicht geirrt. Es war zwar nur noch eine Tüte da, doch die würde für heute Morgen auf alle Fälle reichen. Nach dem Frühstück würde er gleich Neue besorgen. Ganz bestimmt. Gerade hatte er die Milchtüte in der Hand, als eine Stimme ertönte: „Nachbestellung ausgelöst!“. Max erschrak fast zu Tode. Sein Herz pochte. Er bekam die Tüte noch im letzten Moment wieder zu fassen. „Mann hast du mich erschreckt“, sagte er und fühlte sich wie ein Kind, das bei etwas Verbotenem ertappt worden war. „Hör mal, tut mir leid, dass ich einfach so an deinen Kühlschrank gegangen bin. Ich wollte nach dem Frühstück auch gleich los, um frische Milch zu kaufen. Ehrlich!“ Max drehte sich um und wollte sie mit seinem süßesten Lächeln besänftigen, als er mitten in der Bewegung inne hielt und sein Lächeln zu einem dümmlichen Grinsen erstarrte.
Nicht, dass sein Lächeln vorher besser ausgesehen hätte.
Max starrte in eine leere Küche.
„Na toll, dabei hab ich mich so bemüht mit dem Lächeln…“, ging es in seinem Kopf los.
„Hört, hört. Er hat sich bemüht…“ Das