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Vivienne nickte, verließ die Küche und ging vor das Haus. Die Morgensonne spielte mit den Nadeln der drei Zypressen. Die Baumspitzen bogen sich leicht im schwachen Frühlingswind.
Sie haben mir den Weg hierher gewiesen, dachte Vivienne, in das heimelige Zuhause der Héraults.
„Mein Mann hat sie gepflanzt“, hörte sie.
Die junge Frau fuhr erschrocken herum. Ludivine war hinter sie getreten und legte jetzt ihre Hand beruhigend auf Viviennes Rücken. Ihr Blick wanderte angelegentlich zwischen den Spitzen der Zypressen hin und her.
„Als wir heirateten, versprach er mir, für jedes Kind, das ich ihm schenke, eine Zypresse zu pflanzen. Und er hielt sein Wort. Jedes Mal, wenn ich ihm ein Kind gebar, setzte er – nur einen oder zwei Tage später – eine Zypresse“, sagte Ludivine.
„Warum Zypressen?“ fragte Vivienne.
„Nun, sie schienen ihm ein schönes Sinnbild. Diese einfachen Gewächse weisen Menschen den Weg zum lebensnotwendigen Wasser. Sie sind stark und biegsam. Und für unsere Kinder hatte er ebensolche Wünsche. Sie sollten starke Menschen werden, aber bewegt, wenn andere in Not gerieten. Mir gefiel dieses Sinnbild.“ Ludivine schüttelte den Kopf, wie um einen plötzlichen, lästigen Gedanken zu verscheuchen, und sah Vivienne in die Augen. „Philippe wird gleich bei Euch sein. Er wird Euch auf Auziale herumführen und Euch zeigen, was wir tun. Wenn es seine Arbeit erlaubt und Ihr schon kräftig genug dafür seid, reitet er auch mit Euch in den Weinberg. Guten Tag, meine Liebe.“
Vivienne erwiderte den Wunsch und sah der gedankenverloren ins Haus zurückkehrenden Ludivine nach.
Philippe ließ nicht lange auf sich warten. Plötzlich stand er vor ihr und funkelte sie unternehmungslustig an. „Ich habe nun die Pflicht und unzweifelhaft auch das Vergnügen, Euch das Gut zu zeigen. Wir bauen Wein an“, erklärte er, „aber das macht den geringeren Teil an Arbeit und Erträgen aus. Vornehmlich beschäftigen wir uns mit der Seidenraupenzucht. Kennt Ihr Euch damit aus?“
Vivienne schüttelte den Kopf.
Philippe fasste sanft, aber fest ihren Ellbogen und führte sie auf einem schmalen Kiesweg hinter das Haus. Der Kies knirschte angenehm unter ihren langsamen Schritten. Vivienne atmete tief den Duft des Gartens ein.
„Darf ich Euch davon erzählen?“ fragte Philippe, „von der Seidenraupenzucht, meine ich.“
Die junge Frau nickte.
„Die Zucht von Seidenraupen muss sehr sorgfältig vorbereitet und begleitet werden“, begann Philipp. „Seht Ihr? Dort hinten stehen unsere Maulbeerbäume.“ Er wies auf eine große Ansammlung kraftvoller Bäume. „Mit den Blättern dieser Bäume füttern wir die Raupen. Im Frühling, kurz bevor die Maulbeerbäume grün werden, legen wir die Grains, die Eier, zur Ausbrütung in Zimmern aus.“
Philippe zeigte mit der Hand auf die Häuser jenseits des Gartens. „Die Temperatur in den Zimmern erhöhen wir jeden Tag um ein bis drei Grad. Wir fangen bei Null Grad an und hören bei 18 bis 20 Grad auf.“
Er blieb stehen, ließ Vivienne los und strich sich mit den Fingern eine Locke aus der Stirn. Seine Augen leuchteten. „Wir müssen die Grains mit großer Achtsamkeit behandeln. Sie sind sehr empfindlich.“
Philippe schien sich der Aufgabe, mit der die Héraults ihren Lebensunterhalt bestritten, mit einer besonders ambitionierten Leidenschaft zu widmen. Eine solche Passion war ihr fremd. Weder ihr Vater noch ihre Brüder oder der Mann, dem sie versprochen gewesen war, hatten jemals so enthusiastisch von ihrer Arbeit gesprochen. Sie hatten über gute oder exzellente Ernten und Erlöse disputiert und sich in Gesprächen zu übertrumpfen gesucht, wer die besseren Geschäfte machte. Aber nie hatte Vivienne sie so begeistert über ihre Arbeit reden hören wie jetzt Philippe.
„Es ist auch möglich, die Grains in Brutöfen aufzuziehen. Aber wir züchten noch nach der konventionellen Methode. Nach zehn bis 15 Tagen schlüpfen die Raupen. Wir heben sie vorsichtig mit jungen Maulbeerblättern auf und betten sie auf Hürden im Aufzuchtlokal. Sowohl die Hürden als auch das Aufzuchtlokal müssen zuvor äußerst penibel gereinigt werden.“
Während Philippe erklärte, beobachtete er aufmerksam das Gesicht der jungen Frau und suchte vergeblich nach Anzeichen gelangweilter Müdigkeit. Sie war interessiert, stellte Philippe erstaunt fest. Er fuhr fort: „Nun müssen die Raupen Tag und Nacht alle drei Stunden mit frischen Maulbeerblättern gefüttert werden. Nur in den Häutungsperioden unterbrechen wir die Fütterung.“
Philippe nahm erneut Viviennes Arm und schlenderte mit ihr an den Gebäuden vorbei, in denen die Seidenraupen gezüchtet wurden. Daneben lagen drei zweistöckige Häuser.
„Hier leben unsere Arbeiter.“ Der junge Mann blieb wieder stehen. „Ihr müsst Euch noch schonen. Bitte setzt Euch. Ich hole Euch Wasser aus dem Brunnen.“ Er bedeutete Vivienne, auf der Bank am Weg Platz zu nehmen.
Entspannt lehnte sie sich zurück und entdeckte einen kleinen Jungen, der vor der Tür eines der Wohnhäuser hockte und aufmerksam den Boden betrachtete.
„Was tust Du da?“ fragte Vivienne.
Der Kleine schaute mit scheuem Blick zu ihr auf. „Ich beobachte die Ameisen“, antwortete er leise, „und Ihr?“
„Ich ruhe mich einen Moment aus.“
„Seid Ihr die Frau, die so lange krank gewesen ist?“
Der Junge machte einige Schritte auf Vivienne zu.
„Ja, ich war sehr lange sehr krank. Aber jetzt geht es mir wieder recht gut. Wie heißt Du?“
„Michel“, antwortete der Junge, „Und Ihr?“
Vivienne nannte ihren Namen, „Wie alt bist Du?“
„Ich bin schon sechs. Aber sie lassen mich noch nicht mitarbeiten. Sie sagen, ich bin noch zu klein. Wenn ich sieben bin, darf ich helfen, sagt meine Maman. Dann bin ich groß genug, um die Betten zu wechseln.“
„Wie das?“ fragte Vivienne erstaunt, „wie willst Du die schweren Damastüberzüge denn von dem noch schwereren Bettzeug nehmen?“
Michel freute sich augenscheinlich, mehr zu wissen als die Erwachsene. „Nein, nein, ich spreche von den Betten der Raupen.“
„Ach so“, machte Vivienne, „das meinst Du“, und verstand überhaupt nicht.
Philippe setzte sich neben sie und reichte Vivienne ein Glas Wasser. „Das erkläre ich Euch später“, flüsterte er. An Michel gerichtet, sagte er: „Du darfst mit Mademoiselle Sésérac noch nicht allzu lang reden. Sie muss noch sehr auf sich achten. Sie ist gerade erst genesen.“
Vivienne schmunzelte, wurde jedoch sofort wieder ernst, denn Michel errötete bis zum Haaransatz. Verlegen zupfte er an seinem Ohrläppchen und trat von einem Bein aufs andere.
„Mein lieber, kleiner Michel“, sagte sie sanft, „es war sehr schön, Dich kennenzulernen. Ich hoffe, dass wir unsere Unterhaltung bald fortsetzen.“ Sie nahm einen Schluck Wasser und rieb sich die Schläfen. „Philippe, ich bin ein wenig erschöpft. Und ich benötige etwas Abkühlung. Macht es Euch etwas aus, mich zum Haus zu begleiten?“