Im Land der drei Zypressen. Ute Christoph

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Im Land der drei Zypressen - Ute Christoph

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      Ich nahm das hohe Glas aus der Mikrowelle, schäumte die heiße Milch auf und schüttete behutsam den Maschinenkaffee in den weißen Schaum. Latte Macchiato für Arme, dachte ich und trat auf den Balkon. Ich setzte mich an den kleinen, beigefarbenen Tisch und nippte gedankenverloren an meinem Latte Macchiato. Die warme Aprilsonne strahlte auf die mit viel Grün angelegte Neubausiedlung, in die ich nach der Trennung von Tim vor drei Monaten gezogen war. Sie gab mir die nötige Anonymität, die ich für meinen Neuanfang brauchte. Das intensive Gelb der Forsythiensträucher in den Gärten, die zu den Erdgeschosswohnungen gehörten, leuchtete in den verschiedensten Tönen, als der Wind sie sanft bewegte. Der Duft der gelben Blüten zog durch die laue Luft.

      Ich betrachtete die gegenüberliegenden Häuser – dreistöckige, weiße Gebäude mit roten Ziegeldächern und rotem Klinker um die Häusereingänge und Flurfenster.

      Lautlos öffnete sich eine Haustür, und ein Pärchen schob Fahrräder auf den Bürgersteig. Sie drehten eine kleine Runde in dem zwischen den Häuserzeilen liegenden Wendekreis. Der Mann inspizierte den Hinterreifen ihres Fahrrads und rief ihr freundlich zu anzuhalten. Die Frau legte eine Hand auf seinen Rücken, während er sich mit einer Luftpumpe am Ventil zu schaffen machte.

      Ein Mann und eine Frau schoben einen Kinderwagen über die Straße. Sie lachten.

      Eine Mitte vierzigjährige Frau mit leuchtend rotem Haar und üppigem Busen beugte sich aus einem Fenster und warf einem Mann, der gerade mit dem Auto vorgefahren war, einen Schlüssel zu. Ich beobachtete, wie er den Schlüssel aufhob und zu einem grünen Clio schlenderte. Er öffnete den Kofferraum, warf sich einen Sack Blumenerde über die Schulter und verschwand dann im Haus.

      Überall glückliche Paare. Ich wehrte mich nicht gegen die aufkommende Bitterkeit und seufzte tief. Tim hatte nie schwere Einkäufe aus dem Auto in die Wohnung gebracht oder die Reifen meines Fahrrads aufgepumpt. Er war der Ansicht, eine Frau sollte zu solchen Dingen selbst in der Lage sein. Meine Mundwinkel zuckten.

      Ich zündete mir eine Zigarette an.

      Selbstmitleid ist wie Treibsand. Er schüttet Dich zu. Und trotzdem fiel es mir schwer, etwas anderes zu empfinden als Selbstmitleid. So viele verlorene Illusionen, so viel Traurigkeit. Manchmal war das Leben einfach ungerecht! Aber hatte mir jemand etwas anderes versprochen? Nein!

      Als ich in diesen, für mich völlig fremden Teil am anderen Ende der Stadt gezogen war, hatte ich das übermächtige Gefühl, jeder sah mir an, dass ich mich gerade getrennt hatte, dass auf meiner Stirn in Großbuchstaben das Wort ‚Versager’ geschrieben stand – ob beim Einkaufen oder bei Gesprächen mit den neuen Nachbarn im Treppenhaus. Ich hatte versagt. Meine Ehe war gescheitert. Ich war ein Versager.

      Nachdem ich mich eingelebt hatte, die Verkäuferinnen mich kannten und freundlich grüßten und die Nachbarn wussten, dass mein Mann und ich uns getrennt hatten, verschwand das Gefühl, versagt zu haben. Das Zusammenleben mit Tim hatte nicht mehr funktioniert. Warum hätte ich künstlich etwas aufrechterhalten sollen, was es doch tatsächlich gar nicht mehr gab?

      Aber dann waren das Selbstmitleid und diese quälenden Fragen gekommen: Warum hatte das ausgerechnet mir passieren müssen? Warum hatte ich nicht, wie so viele Menschen um mich herum, das Glück, den richtigen Mann zu finden, zu heiraten, ein gemütliches Nest zu bauen und eine eigene Familie zu gründen? Warum? Warum? Warum?

      Aber ich kannte die Antworten. Ich kannte sie seit dem einsamen Tag am Strand vor einem halben Jahr.

      Ich schluckte schwer.

      Ich will hier raus!

      Der Gedanke tat gut. Einfach alles stehen und liegen lassen, einfach alles hinter mir lassen.

      Weg! Raus!

      Und wieso nicht?

      Der Zeitpunkt war perfekt. Ich verfügte noch über meinen gesamten Jahresurlaub, und die Redaktion war vollständig besetzt, kein einziger Kollege, der krank oder im Urlaub war. Gleich Morgen könnte ich mit meinem Chefredakteur sprechen und bereits übermorgen den ersten freien Tag genießen. Die Suche nach einem neuen Job konnte zwei Wochen warten.

      Weg! Raus!

      Und wohin?

      Schon immer hatte ich davon geträumt, mit dem Auto Südfrankreich zu erkunden. Ich würde mich einfach in meinen kleinen Golf setzen und Richtung Süden fahren.

      Eine Unterkunft? Ach, die würde sich finden.

      Ich drückte die halb aufgerauchte Zigarette aus, trank den letzten Schluck laufwarmen Kaffee und ging zurück in die Wohnung. Nachdem ich meine Mutter und Anne und Markus, meine Freunde aus Kindertagen, telefonisch über meine spontanen Pläne unterrichtet hatte, und mit einem plötzlichen Energieschub zu packen anfing, schweiften meine Gedanken wieder in die Vergangenheit.

      Tim und Elke – wir waren für alle immer das Traumpaar gewesen. Wir hatten uns gegenseitig durch das Studium geholfen, nur hundert Kilometer von unserer Heimat entfernt Arbeit gefunden, uns gemütlich eingerichtet und waren für unsere Familien und Freunde immer die perfekten Gastgeber gewesen. Aber wir hatten auch niemand wirklich einen Blick hinter die Kulissen werfen lassen. Selbst letztes Jahr nicht, als ich plötzlich schwanger geworden war…

       Olargues, 2. Mai 1997

      Ich lenkte den Wagen geschickt über die kurvige Landstraße. In einer kleinen Straßenbucht parkte ich den Golf, stieg aus, lehnte mich gegen das Auto und betrachtete mit verschränkten Armen die bezaubernde Landschaft.

      Ein kurzer starker Regenschauer hatte den Staub aus der Luft gewaschen, und nun brannte die Sonne wieder heiß und erbarmungslos auf die südfranzösische Landschaft. In der aufsteigenden Feuchtigkeit mischten sich die Düfte der Umgebung. Der würzige Geruch alter Bäume vermengte sich mit dem Duft des klaren Wassers aus dem Fluss neben der Landstraße, während unzählige bunte Blumen eine milde Süße ausströmten. Ich sog den atemberaubenden Duft gierig ein.

      Das Licht war nach dem Regen besonders intensiv. Die glänzenden Blätter der immergrünen Montpelliereichen reflektierten die Sonne, jedes anders, sodass die Baumkronen in den unterschiedlichsten Grüntönen schimmerten. Ihr Wuchs war bizarr und bildete mit den schroffen Felsen der Gegend eine wildromantische Einheit.

      Ich rieb meine Oberarme und genoss die Berührung der sonnengewärmten Haut. Alles war perfekt. So musste das Paradies sein.

      Was ich sah und atmete, stand in krassem Gegensatz zu den Eindrücken, die ich tagsüber in St. Pons gesammelt hatte. In den engen Gassen blätterte die vor Jahrzehnten aufgepinselte Farbe von alten Häusern und hinterließ faustgroße graue Flecken. Bunte Neonbuchstaben über Ladeneingängen, deren Türen sich noch mit einer Klinke öffnen ließen, bildeten einen fast morbiden Kontrast zu vergilbten Werbeschildern aus Emaille. Küchengerüche waberten aus den Wohnungen über den Geschäften. Ganz schwach nahm ich dazwischen den Duft frisch gewaschener Wäsche wahr, die auf roten Plastikleinen zwischen schmiedeeisernen Balkongittern quer über die Straßen gespannt trocknete.

      Während ich über den Markt bummelte, hörte ich den lautstark feilschenden Händlern und Kunden zu, ohne ein Wort zu verstehen, lauschte dem sanften Klang der französischen Sprache und bestaunte das breite Angebot: Zwischen ausladenden Ständen mit bunter Kleidung und noch bunteren Schuhen, mit eingelegten Oliven und Tapenade, zahllosen Brot- oder Fischsorten gab es kleinere Stände mit Obst und Gemüse, Eiern und Käse oder Gewürzen.

      Jetzt

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