Im Land der drei Zypressen. Ute Christoph

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Im Land der drei Zypressen - Ute Christoph

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ich oben im Dorf war, habe ich auf dem gegenüberliegenden Hang Ruinen und drei Zypressen gesehen und bin dorthin gefahren.“

      „Oh, Sie waren auf dem Gut der Héraults?“

      „Ist das der Name der Familie, die dort gelebt hat?“ fragte ich neugierig und legte das Besteck aus der Hand. „Warum wohnt dort niemand mehr?“

      Angele runzelte die Stirn. „Ach, meine Liebe, das Anwesen wurde vor weit mehr als einhundert Jahren verlassen. Seitdem verfällt es.“

      Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ein Gut verlassen? Einfach so? Und es gab niemanden mehr, der dort leben wollte?“

      Angele berührte den Silberknoten an ihrem Hinterkopf und hob die Schultern. „Nun, es gehörte den Héraults. Sie verließen den Hof, einer nach dem anderen. Und keiner von ihnen kehrte jemals zurück. Irgendwann geriet das Gut in Vergessenheit. Nicht jedoch die Geschichte der Héraults.“

      Meine Neugier wuchs.

      „Was wissen Sie über die Héraults?“

      „Die Geschichte, die wir hier von Generation zu Generation weitergeben. Unser Dorf lebt von Geschichten – von alten und von neuen. Hier gibt es ja sonst nicht viel an Unterhaltung.“

      Angele lächelte fast entschuldigend.

      „Würden Sie mir die Geschichte erzählen?“ bat ich.

      Die alte Frau nickte seufzend.

      „Sie hieß Vivienne“, murmelte sie. „Niemand weiß genau, woher sie kam und wohin sie wollte …“

       In den Wäldern zwischen Bédarieux und Olargues, 11. April 1850

      Der schmale Weg durch den Wald war uneben und holprig. Die schlecht gefederte Kutsche schlingerte gefährlich zur Seite, und Vivienne war jedes Mal überrascht, wenn das Gefährt wieder auf allen vier Rädern über die Straße rumpelte. Dichte Baumkronen schluckten das Mondlicht. Tief hängende Zweige schlugen gegen die Fensterscheiben. Es war gespenstig da draußen.

      „Diese Fahrt ist unerträglich. Ich halte das nicht eine Minute länger aus“, sagte die kleine Frau, die Vivienne gegenübersaß, und wischte sich mit einem fleckigen Tuch das rote Gesicht.

      Die Füße der dicklichen Reisegefährtin berührten kaum den Boden und Vivienne, die sich in der rumpelnden Kutsche nicht nur an der ledernen Handschlaufe festklammerte, sondern auch die Füße fest in den Boden stemmte, empfand Mitleid.

      „Uns wird kaum etwas anderes übrig bleiben, bis wir unser Ziel erreicht haben, Liebes“, sagte der Mann neben ihr.

      Im Gegensatz zu seiner Frau war er schlank, ja, fast dürr. Auf dem Schoß hielt er ein etwa dreijähriges Mädchen. Er strich der Kleinen über das blonde, strähnige Haar und legte dann seine Hand beruhigend auf die in ihren Schoß gebetteten Hände seiner Frau.

      „Denk an unser neues Leben“, redete er weiter. „Wir werden es besser haben als jemals zuvor. Ein eigenes kleines Haus, Tiere und Felder, die wir bestellen. Wir werden genug zu Essen und zu Trinken haben. Unserem Kind wird es gut gehen. Und vielleicht bekommt es noch Bruder oder Schwester.“

      Die Frau kicherte verlegen und zwickte ihren Mann in die Daumenwurzel.

      Vivienne schmunzelte.

      „Wir haben etwas gespart und wollen uns jetzt im Dorf meines Schwagers niederlassen“, erklärte die Frau.

      Vivienne nickte und verlagerte das Gewicht auf ihren rechten Fuß.

      „Ach, wie froh werde ich sein, wenn wir endlich da sind“, klagte die Frau.

      Vivienne blickte aus dem Fenster. Angesichts der undurchdringlichen Finsternis fröstelte sie und zog ihren schweren Umhang enger um sich.

      Der Mann neben ihr hielt die Augen geschlossen. Vivienne beneidete den Mann. Wie gern hätte auch sie diese unruhige Fahrt verschlafen. Sie bemühte sich, beim Schaukeln der Kutsche nicht gegen ihn zu stoßen, um ihn nicht zu wecken. Sie gähnte hinter vorgehaltener Hand und sehnte sich nach einem Bett.

      „Wohin wollt Ihr?“ fragte die dicke Frau.

      Vivienne schluckte. Sie hatte von Anfang an gewusst, dass ihr auf ihrer Reise jemand diese Frage stellen würde und sich eine Geschichte ausgedacht.

      Niemals hätte sie die Wahrheit sagen können! Niemand vermochte zu verstehen, warum sie den Mann, den ihre Eltern für sie ausgewählt hatten, nicht heiraten konnte. Die gute Partie, um die sie all ihre Freundinnen beneideten. Er war reich, besaß ein großes Haus mit Bediensteten, die ihm auch den nur kleinsten Wunsch von den Augen ablasen, eine weit über die Region hinaus bekannte Pferdezucht und unzählige Weinberge mit Trauben von exzellentem Ruf.

      Vivienne hingegen sah nicht seinen Wohlstand und den Besitz. Auch nicht all die kleinen und großen Annehmlichkeiten, die eine Ehe mit diesem Mann mit sich gebracht hätte. Sie sah den Ausgewählten selbst. Er war hässlich, grobschlächtig und sein Benehmen ekelte sie. Mit seinen vierzig Lebensjahren war er darüber hinaus mehr als doppelt so alt wie sie selbst.

      Viviennes jüngster Bruder hatte ihr Leid nicht mit ansehen können und ihr bei den Vorbereitungen ihrer Flucht geholfen. An dem Abend, bevor sie für immer gegangen war, hatte er ihr Geld gegeben und gesagt: „Das reicht fürs Erste. In der Stadt bist Du weit genug von hier entfernt. Niemand wird Dich dort suchen.“

      In ihrer Fantasie sah sie sich als Kindermädchen. Doch es wäre nicht einfach, ohne Referenzen eine passende Anstellung zu bekommen. Würden die Menschen nicht rasch bemerken, dass sie bar jeder Erfahrung war? War es möglich, sich darauf zu verlassen, mit ihrer eigenen guten Erziehung die Aufgaben eines Kindermädchens zu meistern? Sie hatte Angst, aber jedes Los schien ihr erträglicher, als ihr ganzes Leben an einen Mann gebunden zu sein, den sie nicht achten, geschweige denn lieben konnte.

      „Ich besuche die Schwester meiner Mutter. Sie lebt mit ihrer Familie in der Stadt“, log Vivienne mit fester Stimme. „Meine Tante kommt bald mit dem vierten Kind nieder und benötigt dringend Hilfe.“

      „Wie reizend von Euch“, bemerkte die dicke Frau. Die Kutsche fuhr durch ein tiefes Schlagloch, und sie stieß unsanft gegen ihren Mann. Das Kind auf seinem Schoß verzog die Mundwinkel.

      „Nein, nicht weinen“, beschwichtigte es der Vater.

      Der Mann neben Vivienne gab leise Schnarchgeräusche von sich.

      Die junge Frau gähnte abermals und rieb sich die großen dunkelbraunen Augen. Die Kopfhaut unter ihrer Haube kribbelte unangenehm. Zu Hause hätte sie schon lange Zeit in ihrem weichen Bett gelegen, die Ruhe der Nacht in ihrem schützenden Elternhaus genossen und sich in dieser Geborgenheit Schlaf und Träumen hingegeben. Vivienne atmete tief ein und seufzte.

      Diese Zeiten sind vorbei, dachte sie traurig. Das alles gibt es nun für mich nicht mehr. Keine Eltern, nicht die Gesellschaft der Brüder und Schwestern, auch nicht die der geliebten Freundinnen. Das alles habe ich vor drei Tagen für immer hinter mir gelassen. Ich muss nach vorn schauen.

      „Hee, Kutscher, anhalten!“

      Vivienne schrak zusammen. Das kleine Mädchen begann zu weinen.

      Der

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