Doppelspitze. Gerhard Weis
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»Nix da mit Promi-Bonus, Angela! Wir sind hier bei Fingers. Bei uns wird sich nicht vorgedrängelt! Runter auf den Boden, zehn Liegestütze – aber dalli, dalli! Das nächste Mal stellst du dich wie alle andern hinten an! Klaro?«
Ein ausgeprägter Gerechtigkeitssinn zeichnete mich aus. Dazu gehörte die strikte Wahrung des Gleichbehandlungsprinzips, und zwar ohne Wenn und Aber. Mir ging nicht die Muffe, wenn ich es mit den oberen Zehntausend oder, früher in meinem Leben, einem diktatorischen Vorgesetzten zu tun hatte. Während meiner Karriere als Schutzmann, mit dieser ersparte ich mir nach einer bewegten Schulzeit den Barras, hatte ich mit einigen Exemplaren zu tun, die man allem Anschein nach bei der Entnazifizierung der Republik vergessen hatte. Der Gerechtigkeit halber sollte ich erwähnen, dass man bei der Bewertung solcher Dinge die Umstände nicht aus den Augen verlieren darf. Adenauer zog den Vergleich mit schmutzigem Wasser, welches man auch nicht wegschüttet, solange noch kein frisches vorhanden ist. Man vermutete die Ursache für mein Revoluzzertum in meiner Erziehung und behauptete, insbesondere mein Vater hätte mir als Vorbild gedient.
Ja, mein Papa. Wäre er doch nur ein paar Jahre früher auf diese gottlose Welt gekommen! Alfons Finger hätte »das uns teuerste aller Leben, das wir auf Erden kennen«, wie Joseph Goebbels, des Abgotts fanatischster Mundlanger, nach der missglückten Operation Walküre voller Pathos formulierte, bestimmt auf die ein oder andere Weise abgemurkst. Getrieben von einer tiefen Verachtung des Nazihäuptlings und dessen Vasallen hätte Papa entweder den Zeitzünder im Münchener Bürgerbräukeller eine Viertelstunde vorgestellt oder, mit Braunhemd und Hakenkreuzschürze maskiert, dem stimmgewaltigen Vegetarier am Rednerpult eine leckere Portion Nazi-Goreng zum Malzbier serviert. Und hätte das Amatoxin der nach Schafchampignons ausschauenden Knollenblätterpilze die Braunauer Leber nicht ausreichend attackiert, hätte er Stauffenberg fünf Jahre später halt zwei Finger seiner linken Hand ausgeliehen.
Vielleicht wäre er auch – frech wie Rust! – höchstpersönlich auf dem »Braunen Platz« gelandet, um sich ungeniert eine der Lagerbaracken der Wolfsschanze vorzunehmen. Ein Furz nur, und die Bude wäre zur Gaskammer erblüht. Bruno Gesche, Kommandant des Führerbegleitkommandos und bekennender Alkoholiker, hätte den jungen Mann mit der über die Nase reichenden Vollvisierbrille passieren lassen, Papas Knicks bei dessen gekonnter Telemark-Landung als eine neue, durchaus interessante Form der Respektbezeugung vor seinem Arbeitgeber interpretiert. Der schielende Herr Sturmbannführer wäre gewiss der Auffassung gewesen, der Uraufführung des Deutschen Knickses, einer längst überfälligen Erweiterung des Grußes aller Grüße, beizuwohnen. Dass bei Papas Version des mit flacher Hand auf Augenhöhe schräg nach oben gestreckten rechten Arms nur der mittlere seiner fünf Finger salutiert hätte, wäre Bruno vermutlich entgangen. Den gewaltigen Knick in des Leibwächters Optik hätte auch ein ausgiebiger Frühschoppen nicht korrigieren können.
Folgerichtig wäre von einem unverdorbenen Jungspund Geschichte gepupst worden. Der einer aufrechten Bäuerin entsprungene Gegenentwurf zum Hitlerjungen hätte im Führerhauptquartier den brutalst möglichen Stinke-Finger fahren lassen – ohne Rücksicht auf Verluste! Geräuschlos und alles Organische ringsum in Sekundenschnelle vernichtend. Der blutjunge Exekutant hätte gewiss kein Aktentäschchen unter den Tisch gestellt, sondern … mitten in den Raum gekoffert! Papas Faulgasbombe, ein Produkt heimischer Hausmannskost (Dünnbier, Korn und ein Potpourri aus Zwiebelkuchen, Sauerkraut und »Löffelches Bohnesupp«), wäre zwar nicht krachend detoniert, aber dennoch das krasse Gegenteil eines Blindgängers geworden. Eine einzige seiner selbstproduzierten Bio-Waffen hätte genügt, und dem Wahnsinn wäre der Garaus durch die Nase gekrochen.
»Um 12:42 Uhr wird zurückgefurzt! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft!«, wären die drei letzten Sätze gewesen, die zwei Dutzend Arier zu hören bekommen hätten. Freilich auf saarländische Mundart. Statt: »Es ist etwas Furchtbares passiert, der Führer lebt!«, hätte der Nachrichtenoffizier Erich Fellgiebel General Thiele im Bendlerblock »Operation Walküre, der Führer ist tot!«, mitteilen können. Über die Goebbels-Schnauze, wie der für läppische sechsundsiebzig Reichsmark erhältliche Volksempfänger in dessen Munde genannt wurde, hätte sich das vermutlich so angehört: »Das Herz unseres tapferen Führers hat aufgehört zu schlagen. Adolf Hitler und dreiundzwanzig seiner engsten militärischen Mitarbeiter sind heute Mittag durch ein feiges Giftgas-Attentat eines abgrundtief bösen und verworfenen Untermenschen grausam ums Leben gekommen. Paul Joseph Goebbels, Leiter des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, wollte den Führer in seiner schwersten Stunde nicht alleine lassen und folgte ihm mit einer großdeutschen Portion Zyankali in den Heldentod. Gott schütze das deutsche Volk!« Für einen Kretin wie Goebbels war es bekanntermaßen ein Leichtes, persönlich von einer Welt ohne Führer Abschied zu nehmen.
Keinesfalls aber hätte Papa, wäre er schon flügge gewesen, amerikanische Panzer in die Luft jagen wollen. Kluge Köpfe konnten den erzürnten Knaben gerade noch eben von seinem waghalsigen Vorhaben abhalten. Der naive Pimpf glaubte, sich unbedingt gegen die GI's zur Wehr setzen zu müssen. Papas Köpfchen wuchs in der Folge recht schnell selbst zu einem klugen heran und konnte Gut von Böse präzise unterscheiden. Als Erwachsener sprach er dann jeden mit Du an und machte unmissverständlich klar, wenn ihm etwas gegen den Strich ging. Nicht selten zum Missfallen seiner Leute.
»Du bist ein sturer Bock, Alfons!«, war ein häufig gesprochener Satz, der nicht nur meiner Mutter regelmäßig über die Lippen kam. Von ihr hatte ich meine kompromisslose Einstellung jedenfalls nicht geerbt. Maria Finger wäre in vielen Situationen diplomatischer vorgegangen. Sie hätte den Gleichheitsgrundsatz, wenn es sich nach landläufiger Ansicht geschickt hätte, schon einmal zurechtgebogen und vor der Queen einen Knicks gemacht. Mama hatte viel zu oft Angst um mich, befürchtete schon beizeiten, ihr Erstgeborener könne durch seinen ausgeprägten Eigenwillen Nachteile erleiden. Ihre Furcht war fast immer unbegründet. Selbst als ich die georgischstämmige Frau Dr. Dr. Anastasja Ichmachwasichwilli als Mittdreißiger mehr hart als zart am Arm packte, ihr zeigte, wo der Zimmermann das passende Loch für sie ließ, und zum Abschied höflich aber bestimmt: »Auf Nimmerwiedersehen, Anastasja!«, wünschte, konnte man anschließend nur Vorteilhaftes als Konsequenz dieser dringend gebotenen Maßnahme feststellen. Die Dame mit den beiden Doktortiteln war um eine wichtige Erfahrung reicher und die überschaubare Gruppe bösartiger Biester an meinem Arbeitsplatz um ein Exemplar ärmer geworden. Irgendwann würde ich diese Sorte draußen haben und die allseits respektierte Begegnungsstätte für leibeserzieherische Maßnahmen am bedürftigen Weibe hexenfrei sein. Davon war ich überzeugt. Der von meiner Mutter befürchtete Aderlass unter den Intelligenzbolzen unserer Kundschaft war wieder einmal ausgeblieben.
Ich besuchte auch keine Konferenzen, um mich der Gesinnung anderer zu vergewissern. Berlin und der Wannsee konnten mich mal. Sonderbehandlungen für die Hautvolee hätte schon mein bisweilen überbordender Stolz nicht zugelassen. Und natürlich mein Glaube. Als Christ empfand ich es als schmählich, ja sogar als Sünde, vor den »schVIPs« einen Diener zu machen. Statt eines:
»Schönen guten Tag, Frau Professor. Hach, sind das aber schicke Leggings, die Sie heut tragen. Das pinklilane Blümchenmuster steht Ihnen ja so was von gut! Escada?«,
oder:
»Gertrud, sei doch bitte so lieb und trage unserer verehrten Frau Bürgermeister die Sporttasche hoch in die Umkleide!«,
haben die Damen die Wahrheit:
»Menschenskind, Frau Prof. Dr. Dralle-Schenkel, wie sehen Sie denn aus? Furchtbar, wie in die Wurst gepellt! Wer hat Ihnen denn den Fummel aufgeschwatzt? Eine ziemlich beste Freundin vielleicht? Die Person gehört in den Knast! Mal ehrlich, hat es lange gedauert, bis Ihre strammen Beinchen in diesen Schlauch gepresst waren? Hier, ziehen Sie das drüber! Sie wollen sich doch nicht vor den andern lächerlich machen, oder?«,
und nichts als die Wahrheit gehört:
»Hallöchen,