Seefahrtserinnerungen – Anthologie. Jürgen Ruszkowski

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Seefahrtserinnerungen – Anthologie - Jürgen Ruszkowski

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keinen Sprechfunk und an Bord keinen Rundfunkempfänger gab, hatten die Hafenbehörde und die Wasserschutzpolizei alle Hände voll zu tun. Alle Schiffsführer und Kapitäne mussten mit Hilfe eines Megaphons gewarnt werden.

      Am Montagmorgen flaute der Sturm endlich etwas ab. Die Elbe war immer noch stark aufgewühlt, die Kaimauer und die Hafenanlagen standen teilweise noch unter Wasser. Ich hatte leichtes Fieber, und somit wurde es Zeit für mich, zum Arzt zu gehen. Ich wurde mit einem Beiboot an Land gebracht.

      Der Arzt hatte seine Praxis in St. Pauli. Als ich dort ankam, herrschte im Wartezimmer bereits Hochbetrieb. Nach einer etwa eineinhalbstündigen Wartezeit war ich dann endlich dran. Nachdem ich dem Arzt alles geschildert hatte und von ihm gründlich untersucht worden war, erklärte er mir, dass ich an einer schweren Blasenentzündung leide und diese nur zu Hause in Ruhe auskurieren könne. Daraufhin gab er mir ein Rezept für die Apotheke und eine Bescheinigung für den Kapitän. Er ermahnte mich, sofort von Hamburg direkt nach Emden zu fahren, um mich richtig auszukurieren. Das bedeutete für mich nur eines: ausmustern.

      Nachdem ich in der Apotheke drei verschiedene Medikamente erhalten hatte, machte ich mich auf den Rückweg zum Schiff. Am Schiff angekommen, unterrichtete ich den Kapitän von meiner Lage. Er war darüber sehr traurig, da er mich gerne an Bord behalten hätte. Nun musste er zur Heuerstelle, um einen anderen Schiffsjungen anzuheuern.

      Ich packte in der Zwischenzeit meine Sachen zusammen, um dann mit dem Kapitän zusammen zum Seemannsamt zu gehen, um die Abmusterung im Seemannsbuch eintragen zu lassen. Ich bekam noch einen Rest meiner Heuer und das Fahrtgeld für die Reise nach Emden mit auf den Weg.

      Als ich in Emden ankam, war meine Mutter zwar froh, dass ich wieder zu Hause war, aber auch traurig darüber, dass ich krank war. Ich blieb ca. 14 Tage zu Hause, bis mich ein anderer Arzt wieder gesund schrieb. Gleich am nächsten Tag ging ich wieder zur Heuerstelle und ließ mich als Schiffsjungen eintragen. Dort sagte man mir gleich, dass die Chancen für Schiffsjungen derzeit sehr schlecht seien. Viele Jungen wollten zur See fahren, und es gebe nur wenige Lehrstellen, die an Bord Verfügung stünden. Mittlerweile war in Juni 1948 die neue Währung eingeführt worden, und alle Menschen, ob jung oder alt, wollten Geld verdienen und suchten nach Arbeit.

      Ich fand dann eine andere Arbeitsstelle bei einer Schiffsreinigungs-Firma auf den Nordseewerken. Dort wurden alte Fischdampfer, welche im Krieg als Vorpostenboote gedient hatten, wieder zu Fangschiffen umgerüstet. Ich hatte einen Stundenlohn von 60 Pfennigen plus einen Zuschlag von 10 Pfennigen als so genanntes Schmutzgeld. Die älteren Kollegen bekamen etwas mehr. Freitags war Zahltag. Ich war mit meiner Arbeitsstelle zufrieden. Netto bekam ich ca. 36 DM ausgezahlt. Davon gab ich meiner Mutter Kostgeld, aber für mich blieb auch immer noch was übrig.

      Nach einem halben Jahr gab es für uns immer weniger Arbeit, da sich noch zwei weitere Reinigungsfirmen niedergelassen hatten. Daraufhin wurden einige jüngere, unverheiratete Kollegen, zu denen ich auch gehörte, entlassen.

      Ich suchte also wieder nach Arbeit. Eines Tages traf ich einen meiner Vettern in der Stadt, der einen Karton auf dem Fahrrad befestigt hatte, in dem er Korb- und Schwarzbrot transportierte. Ich erfuhr von ihm, dass er eine Arbeitsstelle als Laufbursche bei dem Kaufmann Folkerts, dessen Geschäft am Appelmarkt lag, gefunden hatte. Falls ich auch an einer Stelle als Laufbursche interessiert wäre, könnte er mir eine besorgen, denn die Bäckerei Hermann & Martin Meyer in der Nordertorstraße würde jemanden suchen. Ich ging gleich am nächsten Morgen dorthin und stellte mich vor. Einer der Meister erklärte mir, was ich tun sollte, und schon am nächsten Tag um 7:30 Uhr konnte ich anfangen. Meine erste Aufgabe war es, einen großen Beutel mit Brötchen, ein paar Weiß- und Korbbrote zu Herrn Joseph Roden an der Ecke Auricher- / Eggena-Straße zu bringen.

      Von nun an lieferte ich jeden Tag von 7:30 Uhr bis 18:30 Uhr Brot, Brötchen oder Kuchen aus. Ich belieferte auch Privatkunden mit allerlei Torten, welche im Karton verpackt waren oder Backbleche mit Teekuchen. Bei den Kunden gab es für mich auch hin und wieder ein Trinkgeld. Die meisten der Kunden wohnten in einem zentralen Gebiet der Straßen Zwischen-beiden-Bleichen und der Neutorstraße. In diesem Bereich waren während des Krieges nicht so viele Häuser bombardiert worden, wie in anderen Teilen der Stadt. Zum Transport standen uns zwei Fahrräder mit Anhänger und ein Kastenwagen, der mit zwei Rädern aus einem alten Flugzeug bestückt war, zur Verfügung.

      Der Umgang mit diesem Wagen war ein sehr schwieriges Unterfangen. In den Wagen passten ca. 100 Brote. Eine solche Ladung wurde jede Woche einmal nach Borssum gebracht - unabhängig vom Wetter.

      Mein Arbeitslohn betrug 15 DM, dazu freies Mittagessen. Zusätzlich bekamen wir zwei Korbbrote und ein Rosinenbrot am Samstag. Bei Hochbetrieb vor Feiertagen kam es schon mal vor, dass ich erst um 20:00 Uhr Feierabend machen konnte. Dann bekam ich immer ein Abendessen beim Bäcker und noch 5 DM extra.

      Vor Weihnachten half auch mein Bruder mit, der sich ebenfalls ganz gut auskannte. Er arbeitete zwar auf den Nordseewerken, hatte aber Samstagmittag und natürlich am Heiligabend frei. Wir bekamen immer genug Brot und Kuchen mit nach Hause, so dass die Haushaltskasse meiner Mutter entlastet wurde.

      Leider gab es auch ab und zu mal Unfälle. Mir passierte es in der Mittagsstunde, als ich noch schnell einen großen Beutel mit ca. 100 Brötchen und ein paar Weißbrote ausliefern musste. Die Weißbrote waren in einem Korb auf dem Gepäckträger platziert, und die Brötchen befanden sich in einem Sack am Lenker, den ich mit der linken Hand festhalten musste. Der Empfänger war Friedrich Jansen, die Lieferung sollte schnell erfolgen. Ich fuhr gerade am Delft entlang, und vor mir fuhr eine Straßenbahn. Überholen war da zwecklos. Plötzlich kam ich mit dem Vorderreifen in die Schienenspur, dies brachte mich aus dem Gleichgewicht und ich stürzte. Mein Brötchensack platze auf, der Inhalt der Tüte und die Brote auf dem Gepäckträger wurden auf der Straße verteilt. Im Nu stürzten sich die größeren Jungs, die zufälligerweise gerade aus der Berufsschule kamen, auf die Backwaren und nahmen sie mit. Ich habe mir dabei am ganzen Körper üble Verletzungen zugezogen und konnte drei Wochen lang nicht arbeiten. In der Zwischenzeit haben zwei Lehrlinge meine Aufgaben übernommen und die Backwaren ausgetragen.

      Durch eine Verletzung am linken Arm hatte ich oft Schwierigkeiten beim Auf- und Absteigen vom Fahrrad, sowie beim Tragen von Backblechen.

      Es wurde nun langsam Frühling, die Tage wieder länger und wärmer. Eines Tages beschloss ich, mal bei der Seemännischen Heuerstelle vorbei zu schauen, um zu sehen, ob es vielleicht wieder ein Schiff gab, und siehe da, es klappte. Man hatte tatsächlich etwas für mich. Da ich meine Infektion nun schon gut ein halbes Jahr auskuriert hatte, konnte ich endlich wieder auf einem Schiff anheuern.

       Kohle nichts als Kohle – Auf der ELISE SCHULTE

      Laut Potsdamer Vertrag war es Deutschland erlaubt, Schiffe bis 3.500 Tonnen zu bauen oder zu kaufen. Viele der Reedereien kauften hauptsächlich ältere Schiffe von den Engländern. Ich konnte dann auf solch einem Schiff anmustern, das „ELISE SCHULTE“ getauft war. Es gehörte der Reederei Schulte und Bruns aus Emden.

      Nachdem das Schiff aus England geholt worden war, wurde es zur Einhaltung der deutschen Vorschriften auf der Werft von Schulte & Bruns umgerüstet.

      Zuerst unternahm die ELISE SCHULTE zwei Reisen mit Schlammkohle für verschiedene Gaswerke in Hamburg. Erst dann wurde die volle Mannschaft in Emden angeheuert. Ich gehörte ebenfalls dazu. Angemustert wurde ich als Decksjunge, sollte aber auch den Heizern in der Messe helfen, bis in Hamburg ein Messejunge dazu stoßen würde. Ich kündigte also meine Stelle bei dem Bäcker, und mit dem Restlohn und etwas Urlaubsgeld konnte ich mich dann für die Reise mit Seife, Waschmitteln und anderen Toilettenartikeln ausrüsten.

      Da ich bereits im Aufwaschen von Tellern und Tassen, sowie im Backen Erfahrung hatte, konnte ich leicht am ersten Morgen an Bord mithelfen. Es hat

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