Seefahrtserinnerungen – Anthologie. Jürgen Ruszkowski
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Danach folgte eine für mich sehr lehrreiche Fahrzeit als Jungmann auf der „PERGAMON“ der Deutschen Levante-Linie. Da sowohl die Offiziere (allesamt ehemalige Kapitäne) als auch die Matrosen (alles frühere Bootsmänner) über langjährige Erfahrungen verfügten, habe ich dort das seemännische Know-how gelernt.
Im Sommer 1951stieg ich auf dem in Costa Rica beheimateten Holzschoner „RANNA“ ein, musste jedoch das fast ausschließlich mit Esten bemannte Schiff bereits nach kurzer Zeit wieder verlassen, weil ich aufgrund eines Arbeitsunfalls in Rotterdam wieder abmustern musste. Diesem Umstand verdanke ich wohl mein Leben, denn kurz darauf kollidierte die RANNA bei dichtem Nebel in der Ostsee mit einem großen Pott. Das Schiff sank, und lediglich der Steuermann konnte lebend gerettet werden. Unter den Opfern war auch mein Freund Helmut Gindera aus Borkum.
Nach meiner Genesung heuerte ich mit dem Emder Matrosen Fritz Djuren auf dem unter belgischer Flagge fahrenden 11.000-Tonner „ANVERS“ an. Als Leichtmatrose verdiente ich 50 Prozent mehr als auf einem deutschen Schiff. Mit der ANVERS waren wir in der Erzfahrt von Narvik oder Lulea nach Emden, Rotterdam oder Antwerpen eingesetzt.
Aufgrund meiner zwischenzeitlich erlangten Englischkenntnisse folgte dann ab Ende 1951 eine lange Fahrzeit als Matrose auf der mit 36 Seeleuten aus acht Nationen bemannten „SAINT ANDRE“ der schwedischen Reederei O. Wallenius. Ich blieb eineinhalb Jahre auf dem Schiff.
Viele Seeleute wollten auf diesem Schiff nicht gerne anmustern, da das Schiff in Ballast bis zu 35 Grad überholte. Wir nahmen immer wenig Bunkerkohle an Bord, um mehr Erz laden zu können. Das führte dazu, dass auf einer Reise von Narvik nach Emden wegen Schlechtwetter die Kohle nur bis Borkum reichte und wir alle Lukendeckel aus dem Zwischendeck verfeuern mussten, um in Emden anzukommen.
Die SAINT ANDRE war in den Jahren 1952/53 Stammgast im Emder Hafen. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass allein 24 Besatzungsmitglieder in Emden oder Umgebung ihr Zuhause hatten. Fast alle hatten eine gemeinsam: Es waren nicht nur Seeleute, sondern auch gute Fußballspieler.
Viele Emder Seeleute fuhren damals auf schwedischen Schiffen aufgrund höherer Verdienstmöglichkeiten gegenüber deutschen Schiffen. Ich erhalte übrigens heute noch eine monatliche Rente von 177 schwedischen Kronen.
Da Ende 1951 längere Wartezeiten im Emder Hafen anstanden, dirigierte die Reederei das Schiff zu Weihnachten kurzfristig nach Glasgow um. Dort wurden wir von einem Sturmtief überrascht. Am Morgen des Heiligabends waren noch rund 700 Tonnen Erz im Schiff, die bis Mittag gelöscht werden sollten. An diesem Vormittag hatte ich Bordwache und war damit beschäftigt, die Leinen zu kontrollieren. Der Sturm nahm stetig zu, und plötzlich flog mir die erste Vorleine um die Ohren, eine zweite folgte. Auch die Manilaleinen, die etwas durchhingen, rissen. Mehrere Matrosen kamen mir zur Hilfe, und wir ließen den Steuerbordanker fallen, der über Grund schlidderte, aber nicht hielt. Als das Schiff dann über Steuerbord wegdrehte, rissen sämtliche Achterleinen. Nun trieben wir im Hafenbecken und rammten zwei Schiffe auf der gegenüberliegenden Seite. Als der Anker endlich gefasst hatte, lagen wir achtern bereits „auf Schiet“.
Wir haben Heiligabend und am 1. Weihnachtstag nur Leinen gespleißt, und da der Sturm zwischenzeitlich abgeflaut hatte, verholten wir das Schiff mit Hilfe von Winschen und sechs aneinander geschäkelten Leinen zum ursprünglichen Liegeplatz. Bei der Kollision war unser Schiff noch relativ glimpflich davongekommen; so konnten wir noch eine Ladung in Narvik übernehmen, bevor das Schiff für drei Wochen bei der AG Weser eindockte.
An Bord gab’s eine überaus erfolgreiche Fußballmannschaft.
Anschließend verkehrten wir wieder zwischen Narvik und Emden, und wenn das Wetter und die Zeit es erlaubten, spielten wir auf den Ballastreisen nach Narvik Fußball in Luke III. Der schwedische 1. Offizier, Jonas Häglöv, war ein Fußballfanatiker und beauftragte meinen Freund Hinni Rinderhagen und mich, eine Bordmannschaft zu gründen. So entstand die später überaus erfolgreiche Fußballmannschaft der SAINT ANDRE.
Zur damaligen Zeit waren 24 der 36 Besatzungsmitglieder aus Emden und Umgebung. Wir spielten gegen skandinavische Schiffe und gewannen auch ein Freundschaftsspiel gegen Frisia Emden mit 4:1 Toren. Unsere Turnierspiele fanden in Narvik, Emden und Antwerpen statt, und wir holten den 1. Preis der schwedischen Handelsmarine. Im Oktober 1952 fand eine Abschlussfeier im „Lindenhof“ in Emden statt.
Auf der nächsten Reise kam es in Narvik zu einem Zwischenfall, der jedoch glücklicherweise glimpflich endete: Bei Ausbesserungsarbeiten am Heck waren vier Besatzungsmitglieder auf Stellagen heruntergelassen worden. Weil es nachmittags gegen 15 Uhr bereits dunkel wurde, holte ich Sonnenbrenner. Plötzlich machte eine Winsch sich selbständig, ein Jolltau riss, und die Stellagen baumelten wie Schiffsschaukeln hin und her. Dabei fiel mein Freund Jonny Düpree ins kalte Wasser. Geistesgegenwärtig warf ich ihm eine Schmeißleine zu, mit deren Hilfe wir ihn bis zur Gangway zogen. Auch heute noch, nach nunmehr 44 Jahren, heißt es, wenn wir uns treffen: „Weißt du noch?“
An jenem Heiligen Abend griff niemand zum Punsch-Glas
Am 22. Dezember 1952 lagen wir mit dem schwedischen Dampfschiff SAINT ANDRE von der Reederei Wallenius Stockholm unter Kapitän S. Ekwall in der Emder Großen Seeschleuse. Wir waren auf dem Weg nach Narvik in Norwegen, um eine Ladung Eisenerz nach Baltimore in den USA zu bringen. Das Wetter war sehr schlecht, und die Stimmung an Bord war auch nicht sehr viel besser.
Wir hatten bereits fast 25 Reisen mit Eisenerz von Narvik nach Emden und einmal davon noch Glasgow hinter uns gebracht. Der Vertrag mit der schwedischen Gesellschaft für Erzförderung war ausgelaufen, und nun ging es auf große Fahrt in die Vereinigten Staaten. Einige meiner Kollegen und ich freuten uns sehr auf diese Fahrt, obwohl ich die letzten vier Jahre Weihnachten nicht zu Hause gewesen war. Dies fiel mir jedoch nicht schwer, da ich ja alle zwei Wochen in Emden einlief.
Wir standen gerade mit mehreren Leuten an Deck, als plötzlich der Kapitän zu uns kam, um uns etwas Wichtiges mitzuteilen. Etwas aufgeregt berichtete er uns, der Funker hätte gerade eben mitgeteilt, dass das neue Frachtschiff „MELANIE SCHULTE“ aus Emden mit einer Ladung Eisenerz auf der Fahrt von Narvik nach Mobile in den USA verschollen sei. Wir waren alle wie vor den Kopf geschlagen. Keiner von uns konnte das so richtig fassen. Die MELANIE war ein nagelneues Schiff und gerade mal vier Monate alt. Der Kapitän sagte noch, dass wir die Nachricht vorerst noch nicht weiterverbreiten sollten, da noch viele Familienangehörige von der Besatzung an Bord waren, darunter 15 Seeleute aus Emden, sechs Schweden, drei Lettländer, ein Holländer und mehrere Seeleute aus dem Bremer Raum.
Am Heiligen Abend waren wir etwa auf der Höhe von Bergen. Eine weihnachtliche Stimmung wollte aber nicht so richtig aufkommen, denn das Hauptthema war das Unglück, welches die MELANIE SCHULTE ereilt hatte. Auf einer der Bunkerluken in der Nähe der Kombüse stand ein großer Topf mit Punsch. Jeder konnte sich daraus so viel nehmen, wie er wollte. Doch an diesem Tag blieb der Topf fast voll und wurde kalt. Dafür wurde mehr gegessen.
Weihnachten wird in Schweden traditionell groß gefeiert, und dabei wird zwei Tage lang ausgiebig geschlemmt. An Heiligabend gab es Stockfisch, Fischsuppe und Knäckebrot. Dabei wurden wir immer von unserem Funkoffizier mit den neuesten Nachrichten versorgt, doch es gab keine Neuigkeiten über die MELANIE SCHULTE.